Haben gesetzlich zum Unterhalt verpflichtete Personen einen Anspruch auf Berücksichtigung des Pflegefreibetrags nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG?
Niedersächsisches FG 21.3.2015, 3 K 35/15Die Klägerin ist Tochter und Miterbin der im August 2012 verstorbenen M. Die Erblasserin hatte im Jahr 2001 bei einer Herzoperation ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten und wurde zum Pflegefall. Sie fiel in ein Wachkoma, war gelähmt und konnte nicht sprechen. Darüber hinaus erlitt sie Spastiken und musste über eine Magensonde ernährt werden. Außerdem war es erforderlich, den Schleim aus den Luftwegen abzusaugen. Die Klägerin hatte ihre Mutter ab Dezember 2001 bis zu ihrem Tod in ihr Haus in ein eigens dafür hergerichtetes Zimmer aufgenommen und auf eigene Kosten die Pflege in Gestalt des Absaugens der Luftwegssekrete, des Fütterns über die Magensonde, der Verabreichung von Medikamenten und Spritzen, des regelmäßigen Umlagerns sowie der Körperpflege übernommen.
Die Pflegekasse hatte die M. in die Pflegestufe III eingeordnet und ihr ab November 2001 ein Pflegegeld i.H.v. letztlich rund 664 € im Monat bewilligt. Die Erblasserin hinterließ Grundvermögen sowie ganz erhebliches Kapitalvermögen von 785.543 €. Das Finanzamt erließ zunächst gegenüber der Klägerin einen Erbschaftsteuerbescheid, in dem es die Erbschaftsteuer auf 50.835 € festsetzte. Dieser beruhte auf einer gesonderten Feststellung des Belegenheitsfinanzamts, das den Grundstückswert für das Grundstück AdE auf 702.660,- € feststellte. Aufgrund eines geänderten Grundlagenbescheides, durch den der Grundstückswert auf 163.954,- € herabgesetzt wurde, änderte die Steuerbehörde den Erbschaftsteuerbescheid und setzte die Erbschaftsteuer auf 4.865,- € herab.
Hiergegen wandte sich die Klägerin und beantragte die Berücksichtigung des Freibetrages gem. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG i.H.v. 20.000 €. Das FG gab der Klage statt. Allerdings wurde seitens der Steuerbehörde Revision eingelegt. Das Verfahren ist beim BGH unter dem Az.: II R 37/15 anhängig.
Die Gründe:
Steuerfrei bei der Erbschaftsteuer bleibt gem. § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG ein steuerpflichtiger Erwerb bis zu 20.000 €, der Personen anfällt, die dem Erblasser unentgeltlich oder gegen unzureichendes Entgelt Pflege oder Unterhalt gewährt haben, soweit das Zugewendete als angemessenes Entgelt anzusehen ist. Zu den begünstigten Pflegeleistungen zählen - in Anlehnung an die in § 14 Abs. 4 SGB XI angeführten Hilfeleistungen - die Unterstützung und Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Bereich der Körperpflege (z.B. Waschen, Duschen, Kämmen), der Ernährung (z.B. Zubereiten und Aufnahme der Nahrung), der Mobilität (z.B. selbständiges Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen, Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung) und der hauswirtschaftlichen Versorgung (z.B. Einkaufen, Kochen, Reinigen der Wohnung, Spülen, Wechseln und Waschen der Wäsche und Kleidung).
Die Klägerin hat im Einzelnen dargelegt, dass sie für ihre Mutter intensive und umfassende Hilfeleistungen im Bereich der Ernährung, Körperpflege, Medikamentierung, des Umlagerns und der Absaugung der Atemwegssekrete i.d.S. erbracht hatte. Dass eine Pflegebedürftigkeit hohen Grades vorlag, ergab sich bereits daraus, dass die Mutter schon im November 2001 - und damit über den gesamten Pflegezeitraum von Ende 2001 bis zu ihrem Tod im August 2012 hinweg - in die Pflegestufe III eingruppiert worden war. Orientiert man sich für die Bewertung der von der Klägerin erbrachten Pflegeleistungen an dem gezahlten Pflegegeld von bereits zu Beginn monatlich rund 660 €, so ist evident, dass der Wert der Pflegeleistungen angesichts des extrem langen Zeitraums der Erbringung von Pflegeleistungen von insgesamt rund 10 1/2 Jahren weit über den Freibetrag von 20.000 € hinausging.
Entgegen der Meinung des Finanzamtes stand der Gewährung des Freibetrages nicht entgegen, dass die Klägerin als Tochter der Erblasserin gem. § 1601 BGB abstrakt verpflichtet war, ihrer Mutter Unterhalt zu gewähren. Die Klägerin war ihrer Mutter gegenüber nicht unterhaltsverpflichtet. Die Inanspruchnahme des gesetzlich Unterhaltsverpflichteten setzt gem. § 1602 Abs. 2 BGB immer die fehlende Leistungsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten voraus. Die Mutter wäre aber aufgrund ihres umfangreichen Kapitalvermögens und des ihr bewilligten Pflegegeldes durchaus in der Lage gewesen, selbst für die Kosten der Pflege aufzukommen. Insofern hatte die Klägerin mit ihren Pflegeleistungen ein freiwilliges Opfer erbracht, das mit dem Freibetrag nach § 13 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG zu honorieren war.
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