Haftung des Eigentümers nach § 74 AO erfasst auch grundstücksgleiche Rechte
BFH 23.5.2012, VII R 28/10Der Kläger war mit 50 % als Kommanditist an der Firma F-KG beteiligt. Geschäftsführender Komplementär war die Firma L-GmbH, die u.a. vom Kläger vertreten wurde. Die F-KG betrieb auf einem seit 2002 im Eigentum einer anderen GmbH & Co. KG stehenden Grundstück einen Autohandel. Dieses Grundstück ist mit einem Erbbaurecht zugunsten der Firma A-KG belastet. Komplementär der A-KG ohne Kapitalanteil ist die Firma A-GmbH, an der der Kläger neben dem K. zu 50 % beteiligt ist. Zudem sind der Kläger und K. als Kommanditisten zu je 50 % an der A-KG beteiligt. Die A-KG, deren Gesamthandsvermögen nur aus dem Erbbaurecht bestand, überließ das Grundstück mit Gebäude pachtweise der F-KG.
Im Oktober 2001 wurde die F-KG zahlungsunfähig, im Januar 2002 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet. Wegen rückständiger Umsatzsteuer erließ das Finanzamt zwei auf § 74 AO gestützte Haftungsbescheide, in denen die Haftung gegenständlich auf das Erbbaurecht am Grundstück beschränkt wurde. Der Kläger war der Auffassung, bei einem Erbbaurecht könne es sich nicht um einen dienenden Gegenstand i.S.d. § 74 AO handeln. Nichtkörperliche Wirtschaftsgüter fielen nicht in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift. Außerdem hafte nur der Eigentümer des einem Unternehmen überlassenen Gegenstands. Hier sei jedoch nicht er, der Kläger, sondern die A-KG Eigentümerin gewesen.
Das FG wies die Klage ab. Die Revision des Klägers blieb vor dem BFH erfolglos.
Die Gründe:
Das FG hatte zu Recht das der F-KG eingeräumte Erbbaurecht als einen im Miteigentum des Klägers stehenden Gegenstand i.S.d. § 74 AO angesehen, so dass die Voraussetzungen für eine Haftung nach § 74 Abs. 1 AO erfüllt waren.
Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Haftung des § 74 AO nicht nur auf körperliche Gegenstände beschränkt. Nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch bezeichnet der Begriff "Gegenstand" eine körperliche Sache, an der Eigentum und Besitz erlangt werden können. Ein solches - an zivilrechtlichen Vorgaben ausgerichtetes - Begriffsverständnis würde jedoch dem Sinn und Zweck des § 74 AO nicht gerecht. Bei der Bestimmung des Gegenstands der Haftung erscheint eine Differenzierung zwischen körperlichen Sachen und immateriellen Wirtschaftsgütern jedenfalls dann nicht sachgerecht, wenn in solches Vermögen vollstreckt werden kann. Denn in beiden Fällen wird dem Unternehmen ein Wirtschaftsgut überlassen, das die Aufnahme oder die Fortsetzung des Geschäftsbetriebs ermöglicht und das einer Verwertung im Rahmen einer Zwangsvollstreckung zugänglich ist.
Die Möglichkeit der Vollstreckung in ein Grundstück, z.B. durch die Eintragung einer Zwangshypothek oder durch Zwangsversteigerung, steht außer Frage. Auch ein Erbbaurecht, d.h. das Recht auf oder unter der Oberfläche eines Grundstücks ein Bauwerk zu haben, unterliegt als grundstücksähnliche Berechtigung nach § 864 Abs. 1 ZPO der Immobiliarvollstreckung. Es ist kein hinreichender Grund ersichtlich, warum ein an einem Unternehmen wesentlich Beteiligter, der die Aufnahme des Geschäftsbetriebs durch Verpachtung eines Grundstücks ermöglicht, der Haftung des § 74 AO unterliegt, während ein ebenso Beteiligter, der den Bau eines Betriebsgebäudes und damit ebenfalls die Aufnahme des Geschäftsbetriebs durch die Einräumung eines Erbbaurechts ermöglicht, nicht dem mit § 74 AO verbundenen Haftungsrisiko ausgesetzt sein sollte.
Die Haftung nach § 74 AO war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil das Erbbaurecht nicht dem Kläger selbst, sondern der A-KG zustand. Die Haftung wird in solchen Fällen dann nicht ausgeschlossen, wenn Gesellschafter der KG ausschließlich der Haftende und eine andere am Unternehmen wesentlich beteiligte Person sind. Hier war der Kläger in mehrfacher Hinsicht an der A-KG beteiligt. Zum einen war er zusammen mit K. als Kommanditist zu 50 % an ihr beteiligt; zum anderen war er zusammen mit K. auch zu 50 % an der A-GmbH, der Komplementärin der A-KG, beteiligt. Das Gesamthandsvermögen der A-KG bestand lediglich aus dem Erbbaurecht, das nur den Kommanditisten zustand; die A-GmbH hatte keinen eigenen Kapitalanteil.
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