10.05.2019

Handelt es sich bei einer vollstationären Pflegeeinrichtung für Demenzkranke um Wohnungen?

Dass Türen, die zu Wohngruppen in einer vollstationären Pflegeeinrichtung für Demenzkranke führen, theoretisch verschließbar sind, wenn der Blindzylinder ausgetauscht wird, führt nicht zwangsläufig dazu, dass eine Wohnung i.S.d. GrStG vorliegt. Der Bauherr einer Einrichtung mit Pflege- und Betreuungsleistungen hat vielfältige Vorschriften zu beachten, insbesondere im Hinblick auf den Brandschutz. Die Revision war zuzulassen, da eine Vielzahl vergleichbarer Einrichtungen in verschiedenen Bundesländern betroffen ist.

FG Münster v. 13.12.2018 - 3 K 34/16 EW
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine gemeinnützige GmbH (gGmbH). Sie hatte eine Wohnanlage für Senioren (Pflegeeinrichtung für 80 Bewohner) errichten lassen, die im Jahr 2013 bezugsfertig geworden ist. Bei der Einrichtung handelt es sich um eine vollstationäre Pflegeeinrichtung, die insbesondere von Menschen mit schwerer und mittelschwerer Demenz bewohnt wird. Fast 70 % der Patienten wiesen eine sog. eingeschränkte Alterskompetenz auf. Dies bedeutet, dass sich die Bewohner selbst nicht versorgen können und ständiger medizinischer und pflegerischer Betreuung bedürfen. Außen am Gebäude befindet sich ein Briefkasten mit der Aufschrift "Altenzentrum". Für die gesamte Einrichtung gibt es nur eine Klingel. Die Zimmer der Bewohner sind abschließbar, d. h. die Bewohner können sie von innen bzw. außen verschließen. Die Türen sind aber von außen mit dem Schlüssel jederzeit öffenbar, auch wenn innen der Schlüssel steckt.

Die Klägerin beantragte die Befreiung von der Grundsteuer nach § 5 Abs. 1 GrStG i. V. m. §§ 3 und 4 GrStG. Das Finanzamt folgte dem Antrag allerdings nicht und bewertete das Grundstück als Mietwohngrundstück und setzte einen Einheitswert fest. Die Klägerin war der Ansicht, weder die einzelnen Zimmer der Bewohner noch die sechs Wohngruppen seien als Wohnungen i.S.v. § 5 Abs. 2 GrStG zu behandeln. Bei den einzelnen Zimmern der Bewohner sei darauf hinzuweisen, dass diese Räumlichkeiten nicht über eine Küche bzw. Kochmöglichkeiten verfügten.

Das FG gab der Klage statt. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Bei Anwendung der von der Rechtsprechung entwickelten Rechtsgrundsätze zum Wohnungsbegriff i.S.d. Bewertungs- und Grundsteuerrechts, hat der Senat die Auffassung gewonnen, dass im Streitfall keine Wohnungen vorliegen.

Nach BFH-Rechtsprechung ist für das Vorliegen einer Wohnung entscheidend, dass fremde Dritte keinen freien Zugang haben (BFH-Urt. v. 30.4.1982, III R 33/80 und v. 11.4.2006, II R 77/04). Im vorliegenden Fall haben aber fremde Dritte freien Zugang. Dieser ist für jeden Besucher bis 18 Uhr ungehindert durch die Automatiktür zum Gebäude möglich und von dort über das Treppenhaus bzw. den Aufzug zu den Wohneinheiten, die aus dem Gemeinschaftsraum mit Küche und den einzelnen Zimmern der Bewohner führen. Dass die Automatiktür ab 18 Uhr verschlossen ist, ändert am ungehinderten Zugang zu den Wohnbereichen nichts, denn wenn der Türöffner nach Klingeln durch das Pflegepersonal betätigt wird, hat der Besucher wieder ungehinderten Zugang. Der Bewohner kann diese Tür von seinem Zimmer aus weder verschließen noch öffnen.

Es fehlt weiter an der Abgeschlossenheit. Dass die Türen, die zu den Wohngruppen führen, theoretisch verschließbar sind, wenn der Blindzylinder ausgetauscht wird, führt im Streitfall nicht dazu, dass eine Wohnung i.S.d. GrStG vorliegt. Denn die Türen sind nicht deswegen mit Blindzylindern versehen, weil es sich um Entscheidung des Bauherrn bzw. des Eigentümers handelt. Der Bauherr einer Einrichtung mit Pflege- und Betreuungsleistungen hat vielfältige Vorschriften zu beachten, insbesondere im Hinblick auf den Brandschutz. Gewähreistet werden muss, dass die Bewohner im Brandfall schnell geöffnet können, und zwar sowohl in Fluchtrichtung als auch in der Gegenrichtung.

Zu beachten ist u. a. § 54 der Landesbauordnung für NRW, wonach für sog. Sonderbauten, wie z. B. die Pflegeeinrichtung der Klägerin, besondere Vorschriften u. a. für den Brandschutz bestehen. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall auch von dem BFH-Urteil v. 11.4.2006 (II R 77/04). Denn dort waren die zu den einzelnen Wohngruppen vom Hauseingang bzw. Treppenhaus herführenden Türen abschließbar. Auch ist es im Streitfall nicht so, dass tatsächlich abschließbare Türen aufgrund der konkreten Nutzung nicht abgeschlossen werden. Vielmehr ist die Nichtabschließbarkeit der zu den Wohngruppen führenden Türen Teil des bauordnungsrechtlichen Brandschutzkonzepts.

Die Revision war zuzulassen, da eine Vielzahl vergleichbarer Einrichtungen in verschiedenen Bundesländern betroffen ist.

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