Hinzuschätzungen bei einer Spielhalle
Niedersächsisches FG v. 11.10.2019 - 1 V 91/19
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller betreibt mehrere Spielhallen mit Geldglücksspielgeräten sowie eine Spielhalle. Er war zunächst in Vollzeit nichtselbständig tätig, mittlerweile ist er bei der B-GmbH angestellt, deren Geschäftsführerin seine Schwester ist. Der Antragsteller ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG und erklärte Verluste i.H.v. 29.000-40.000 €. Das Finanzamt erließ erklärungsgemäße Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und über den Gewerbesteuermessbetrag, die bis auf einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen.
Im Rahmen einer Außenprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, die Aufzeichnungen des Antragstellers seien formell nicht ordnungsgemäß. Er rügte insbesondere, die Statistikteile der Auslesestreifen der Geräte seien regelmäßig nicht ausgedruckt bzw. nach dem Ausdruck vom Auslesestreifen abgeschnitten worden. Es lägen fast ausschließlich nur sog. Kurzstreifen vor. Ohne die Angaben im Statistikteil sei die Beweiskraft eines Auslesestreifens nicht gegeben. Da in diesem Teil neben der Spielstatistik u.a. die Seriennummer, die Fehlermeldungen, die Ereignisliste und die Liste der Türöffnungen abgebildet würden, träte eine Beweiskraft dieser Belege i.S.v. § 158 AO als Teil der Buchführung erst mit Vorlage des vollständigen Auslesestreifens (sog. Langstreifen) ein. Es handele sich um einen Verstoß gegen § 147 Abs. 1 Nr. 4 AO. Die Buchführungsmängel erschütterten die Beweiskraft der Buchführung (§ 158 AO), sodass die Buchführungsergebnisse hinsichtlich der Vollständigkeit der Erlöse nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden könnten. Die Buchführungsergebnisse seien gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu schätzen.
Der Prüfer sah es als sachgerecht an, eine Schätzung ausgehend von den erklärten Betriebsausgaben nach dem amtlichen Richtsatz für den Reingewinn vorzunehmen, weil die Betriebsausgaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollständig in den Aufzeichnungen erfasst seien. Das Finanzamt erließ der Rechtsauffassung des Prüfers entsprechende Änderungsbescheide. Außerdem änderte es den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag, weil der ursprünglich angerechnete Verlust entfallen war. Sämtliche Bescheide sind mit Einsprüchen angefochten, über die noch nicht entschieden ist. Das Finanzamt hat einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der streitigen Bescheide abgelehnt. Der Antragsteller begehrt, sämtliche streitigen Bescheide in voller Höhe von der Vollziehung auszusetzen.
Das FG gab dem Antrag im Wesentlichen statt.
Die Gründe:
Bei der gebotenen summarischen Betrachtung bleiben ernstliche Zweifel, ob das Finanzamt zur Schätzung befugt ist. Die streitige Frage, ob die Buchführung ordnungsgemäß ist, lässt sich nicht sicher verneinen.
Es ist unklar, ob das Fehlen des sog. Statistikteils in den Kurzstreifen einen Buchführungsmangel darstellt. Mangels einer nachvollziehbaren Erläuterung der ertragsteuerlichen Auswirkungen lässt sich nicht sicher beurteilen, inwieweit sich "durch Hand eingestellte Kreditbeträge und Sonderspiele" an einem Geldglücksspielgerät bei einem Steuerpflichtigen, der wie der Antragsteller seinen Gewinn durch Einnahmeüberschussrechnung ermittelt, auf den Gewinn auswirken und deshalb die Statistikteile der Auslesestreifen mit den diesbezüglichen Angaben für die Besteuerung von Bedeutung sind. In dem "Datenausdruck für Geldspielgeräte" des Herstellers ist von solchen Einstellmöglichkeiten per Hand ebenso wenig die Rede wie - folgerichtig - von der Notwendigkeit, per Hand Hinzurechnungen zu dem für die elektronisch gezählte Kasse ausgewiesenen Betrag vorzunehmen.
Der Fachprüfer des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen, den das Finanzamt um eine Stellungnahme gebeten hatte, rügt die fehlende Überprüfbarkeit durch Hand eingestellter Kreditbeträge und Sonderspiele in seinem ausführlichen, 25 Seiten (ohne Anlagen) umfassenden Gutachten ebenfalls nicht. Soweit das Finanzamt durch den Zusatz "unter anderem" andeutet, es gäbe noch weitere Beträge, die der elektronisch gezählten Kasse hinzuzurechnen seien, ist dieser Vortrag unsubstantiiert. Es ist nicht nachvollziehbar, worauf sich das Finanzamt bezieht. Der Antragsteller bestreitet die im Rahmen der Außenprüfung behaupteten Buchführungsmängel mit substantiiertem Vortrag.
Selbst wenn eine Schätzungsbefugnis gegeben wäre, ist ernstlich zweifelhaft, ob die Schätzung des Finanzamts methodisch fehlerfrei durchgeführt worden ist. Es erscheint fraglich, ob die aus der Buchführung ersichtlichen Beträge für Betriebsausgaben als Ausgangspunkt der Schätzung geeignet sind. Der Prüfer hat mittels der Reingewinnsätze der Richtsatzsammlung die Betriebseinnahmen errechnet, die angesichts der erklärten Betriebsausgaben notwendig sind, um einen nach der Richtsatzsammlung mittleren Reingewinn zu erzielen. Die errechneten abzüglich der erklärten Betriebseinnahmen ergeben den Nettobetrag der Hinzuschätzung. Diese Vorgehensweise könnte im Streitfall fehlerhaft sein, weil sich die Richtsätze auf Betriebe beziehen, in denen der Inhaber unentgeltlich mitarbeitet. Das dürfte dem Antragsteller vorliegend nicht möglich gewesen sein.
Linkhinweis:
Rechtsprechungsdatenbank der niedersächsischen Justiz
Der Antragsteller betreibt mehrere Spielhallen mit Geldglücksspielgeräten sowie eine Spielhalle. Er war zunächst in Vollzeit nichtselbständig tätig, mittlerweile ist er bei der B-GmbH angestellt, deren Geschäftsführerin seine Schwester ist. Der Antragsteller ermittelte seinen Gewinn durch Einnahmenüberschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG und erklärte Verluste i.H.v. 29.000-40.000 €. Das Finanzamt erließ erklärungsgemäße Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und über den Gewerbesteuermessbetrag, die bis auf einen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergingen.
Im Rahmen einer Außenprüfung kam der Prüfer zu dem Ergebnis, die Aufzeichnungen des Antragstellers seien formell nicht ordnungsgemäß. Er rügte insbesondere, die Statistikteile der Auslesestreifen der Geräte seien regelmäßig nicht ausgedruckt bzw. nach dem Ausdruck vom Auslesestreifen abgeschnitten worden. Es lägen fast ausschließlich nur sog. Kurzstreifen vor. Ohne die Angaben im Statistikteil sei die Beweiskraft eines Auslesestreifens nicht gegeben. Da in diesem Teil neben der Spielstatistik u.a. die Seriennummer, die Fehlermeldungen, die Ereignisliste und die Liste der Türöffnungen abgebildet würden, träte eine Beweiskraft dieser Belege i.S.v. § 158 AO als Teil der Buchführung erst mit Vorlage des vollständigen Auslesestreifens (sog. Langstreifen) ein. Es handele sich um einen Verstoß gegen § 147 Abs. 1 Nr. 4 AO. Die Buchführungsmängel erschütterten die Beweiskraft der Buchführung (§ 158 AO), sodass die Buchführungsergebnisse hinsichtlich der Vollständigkeit der Erlöse nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden könnten. Die Buchführungsergebnisse seien gem. § 162 Abs. 2 Satz 2 AO zu schätzen.
Der Prüfer sah es als sachgerecht an, eine Schätzung ausgehend von den erklärten Betriebsausgaben nach dem amtlichen Richtsatz für den Reingewinn vorzunehmen, weil die Betriebsausgaben mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollständig in den Aufzeichnungen erfasst seien. Das Finanzamt erließ der Rechtsauffassung des Prüfers entsprechende Änderungsbescheide. Außerdem änderte es den unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag, weil der ursprünglich angerechnete Verlust entfallen war. Sämtliche Bescheide sind mit Einsprüchen angefochten, über die noch nicht entschieden ist. Das Finanzamt hat einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung der streitigen Bescheide abgelehnt. Der Antragsteller begehrt, sämtliche streitigen Bescheide in voller Höhe von der Vollziehung auszusetzen.
Das FG gab dem Antrag im Wesentlichen statt.
Die Gründe:
Bei der gebotenen summarischen Betrachtung bleiben ernstliche Zweifel, ob das Finanzamt zur Schätzung befugt ist. Die streitige Frage, ob die Buchführung ordnungsgemäß ist, lässt sich nicht sicher verneinen.
Es ist unklar, ob das Fehlen des sog. Statistikteils in den Kurzstreifen einen Buchführungsmangel darstellt. Mangels einer nachvollziehbaren Erläuterung der ertragsteuerlichen Auswirkungen lässt sich nicht sicher beurteilen, inwieweit sich "durch Hand eingestellte Kreditbeträge und Sonderspiele" an einem Geldglücksspielgerät bei einem Steuerpflichtigen, der wie der Antragsteller seinen Gewinn durch Einnahmeüberschussrechnung ermittelt, auf den Gewinn auswirken und deshalb die Statistikteile der Auslesestreifen mit den diesbezüglichen Angaben für die Besteuerung von Bedeutung sind. In dem "Datenausdruck für Geldspielgeräte" des Herstellers ist von solchen Einstellmöglichkeiten per Hand ebenso wenig die Rede wie - folgerichtig - von der Notwendigkeit, per Hand Hinzurechnungen zu dem für die elektronisch gezählte Kasse ausgewiesenen Betrag vorzunehmen.
Der Fachprüfer des Finanzamts für Fahndung und Strafsachen, den das Finanzamt um eine Stellungnahme gebeten hatte, rügt die fehlende Überprüfbarkeit durch Hand eingestellter Kreditbeträge und Sonderspiele in seinem ausführlichen, 25 Seiten (ohne Anlagen) umfassenden Gutachten ebenfalls nicht. Soweit das Finanzamt durch den Zusatz "unter anderem" andeutet, es gäbe noch weitere Beträge, die der elektronisch gezählten Kasse hinzuzurechnen seien, ist dieser Vortrag unsubstantiiert. Es ist nicht nachvollziehbar, worauf sich das Finanzamt bezieht. Der Antragsteller bestreitet die im Rahmen der Außenprüfung behaupteten Buchführungsmängel mit substantiiertem Vortrag.
Selbst wenn eine Schätzungsbefugnis gegeben wäre, ist ernstlich zweifelhaft, ob die Schätzung des Finanzamts methodisch fehlerfrei durchgeführt worden ist. Es erscheint fraglich, ob die aus der Buchführung ersichtlichen Beträge für Betriebsausgaben als Ausgangspunkt der Schätzung geeignet sind. Der Prüfer hat mittels der Reingewinnsätze der Richtsatzsammlung die Betriebseinnahmen errechnet, die angesichts der erklärten Betriebsausgaben notwendig sind, um einen nach der Richtsatzsammlung mittleren Reingewinn zu erzielen. Die errechneten abzüglich der erklärten Betriebseinnahmen ergeben den Nettobetrag der Hinzuschätzung. Diese Vorgehensweise könnte im Streitfall fehlerhaft sein, weil sich die Richtsätze auf Betriebe beziehen, in denen der Inhaber unentgeltlich mitarbeitet. Das dürfte dem Antragsteller vorliegend nicht möglich gewesen sein.
Linkhinweis:
- Der Volltext der Entscheidung ist in der Rechtsprechungsdatenbank der niedersächsischen Justiz veröffentlicht.
- Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.