Höhe der Säumniszuschläge von 1 % pro Monat wegen enthaltenem Zinsanteil verfassungswidrig?
FG Münster v. 29.5.2020 - 12 V 901/20 AO
Der Sachverhalt:
Der Antragsgegner erließ am 10.3.2020 einen Abrechnungsbescheid, in dem er entstandene Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer August 2018. Die im Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Forderungen sind durch Aufrechnung vollständig erloschen. Der Antragsteller wandte sich am 17.3.2020 mittels Einspruch gegen den geänderten Abrechnungsbescheid und begehrt die Aufhebung der Vollziehung des Abrechnungsbescheides, soweit darin Säumniszuschläge höher als X € ausgewiesen sind.
Zur Begründung führt er u.a. aus, dass die Rechtsprechung des BFH Rückschlüsse darauf zuließe, dass die Erhebung von Säumniszuschlägen i.H.v. 1 % auf der Grundlage von § 240 AO verfassungswidrig hoch sei. Die Zinshöhe von 0,5 % werde seitens des BFH als verfassungsrechtlich bedenklich hoch eingestuft und insoweit sei Aufhebung der Vollziehung seitens des BFH gewährt worden. Dies betreffe ausdrücklich auch den Zeitraum von Oktober bis November 2018. Wenn jedoch die Zinsen für 6 % für herausgeschobene Steuerzahlungen verfassungswidrig hoch seien, könne für die Zinsen im Rahmen von Säumniszuschlägen grundsätzlich nichts anderes gelten. Da dieses eine generelle Frage und keine Frage der persönlichen oder sachlichen Billigkeit sei, sei ihm insoweit Aufhebung der Vollziehung zu gewähren.
Das Finanzamt lehnte den Antrag des Antragstellers im Schreiben 24.3.2020 mit der Begründung ab, dass die Rechtsprechung bestätigt habe, dass der Säumniszuschlag i.H.v. 1 % je angefangenem Monat der Säumnis dem Grunde nach verfassungsgemäß sei und insbesondere keinen Zinsanteil enthalte. Auch das BVerfG habe festgestellt, dass Säumniszuschläge eine Art Zwangsgeld darstellten, um die Zahlung der festgesetzten Steuerschuld zu erreichen. Sie seien weder Nebenleistungen noch verdeckte Zinszahlungen für die Steuerschuld. Aufgrund dieser Annahme der Rechtsprechung könnten auch die Grundsätze der Rechtsprechung zum hälftigen Erlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung auch nicht auf die allgemeine Anwendung des § 240 AO übertragen werden. Es handele sich insoweit um eng begrenzte Einzelfälle, die einer Übertragung auf die allgemeine Anwendung entgegenstünden.
Das FG wies den Antrag ab.
Die Gründe:
Die begehrte Aufhebung der Vollziehung ist nicht zu gewähren.
Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf eines Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO). Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der festgesetzten und kraft Gesetzes sofort zu leistenden Steuerschuld anhalten soll, so dass sie insoweit eine Art Zwangsmittel darstellen. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen.
Der Senat hat keine Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des § 240 AO. Nach Auffassung des Senats hat sich dies auch nicht deswegen geändert, weil inzwischen gegen die Höhe des Zinssatzes schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Aufgrund des vorrangigen Zwecks der Säumniszuschläge als Druckmittel zur pünktlichen Entrichtung der Steuerschuld stellen verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der im Gesetz angeordneten Zinshöhe nicht zugleich die grundsätzliche Vereinbarkeit der in § 240 AO angeordneten Höhe der Säumniszuschläge von 1 % je Monat in Frage. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO einen Zinsanteil i.H.v. 50 % enthalten, so dass nach den vom BFH in den Beschlüssen vom 25.4.2018 (IX B 21/18) sowie vom 3.9.2018 (VIII B 15/18) genannten rechtlichen Erwägungen ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken am vollen Ansatz der Säumniszuschläge bestünden, folgt der Senat dieser Auffassung nicht.
Säumniszuschläge sind in erster Linie ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuern. Sie sind weder Zinsen noch Strafen, sondern ein Mittel, den Steuerpflichtigen zur pünktlichen Zahlung anzuhalten. Soweit den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, dass der Finanzausschuss dem Säumniszuschlag den Charakter eines "Zinsersatzes zuweisen wollte, hat sich diese Auffassung nicht durchgesetzt. Der den Säumniszuschlägen innewohnende Zinseffekt stellt lediglich einen Nebeneffekt dar und aktualisiert sich erst in den Fällen, in denen der Normzweck des Druckmittels nicht eingreift und der Zweck der Verzinsung in den Vordergrund tritt. Erst in den Situationen, in denen der Säumniszuschlag nicht mehr als Druckmittel fungiert, entsteht die Situation, dass lediglich der Verzinsungszweck das Erheben von Säumniszuschlägen rechtfertigt. Dies offenbart sich indes erst im Einzelfall und kann keine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 240 AO im Allgemeinen begründen.
Rechtsprechungsdatenbank NRW
Der Antragsgegner erließ am 10.3.2020 einen Abrechnungsbescheid, in dem er entstandene Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer August 2018. Die im Abrechnungsbescheid ausgewiesenen Forderungen sind durch Aufrechnung vollständig erloschen. Der Antragsteller wandte sich am 17.3.2020 mittels Einspruch gegen den geänderten Abrechnungsbescheid und begehrt die Aufhebung der Vollziehung des Abrechnungsbescheides, soweit darin Säumniszuschläge höher als X € ausgewiesen sind.
Zur Begründung führt er u.a. aus, dass die Rechtsprechung des BFH Rückschlüsse darauf zuließe, dass die Erhebung von Säumniszuschlägen i.H.v. 1 % auf der Grundlage von § 240 AO verfassungswidrig hoch sei. Die Zinshöhe von 0,5 % werde seitens des BFH als verfassungsrechtlich bedenklich hoch eingestuft und insoweit sei Aufhebung der Vollziehung seitens des BFH gewährt worden. Dies betreffe ausdrücklich auch den Zeitraum von Oktober bis November 2018. Wenn jedoch die Zinsen für 6 % für herausgeschobene Steuerzahlungen verfassungswidrig hoch seien, könne für die Zinsen im Rahmen von Säumniszuschlägen grundsätzlich nichts anderes gelten. Da dieses eine generelle Frage und keine Frage der persönlichen oder sachlichen Billigkeit sei, sei ihm insoweit Aufhebung der Vollziehung zu gewähren.
Das Finanzamt lehnte den Antrag des Antragstellers im Schreiben 24.3.2020 mit der Begründung ab, dass die Rechtsprechung bestätigt habe, dass der Säumniszuschlag i.H.v. 1 % je angefangenem Monat der Säumnis dem Grunde nach verfassungsgemäß sei und insbesondere keinen Zinsanteil enthalte. Auch das BVerfG habe festgestellt, dass Säumniszuschläge eine Art Zwangsgeld darstellten, um die Zahlung der festgesetzten Steuerschuld zu erreichen. Sie seien weder Nebenleistungen noch verdeckte Zinszahlungen für die Steuerschuld. Aufgrund dieser Annahme der Rechtsprechung könnten auch die Grundsätze der Rechtsprechung zum hälftigen Erlass von Säumniszuschlägen bei Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung auch nicht auf die allgemeine Anwendung des § 240 AO übertragen werden. Es handele sich insoweit um eng begrenzte Einzelfälle, die einer Übertragung auf die allgemeine Anwendung entgegenstünden.
Das FG wies den Antrag ab.
Die Gründe:
Die begehrte Aufhebung der Vollziehung ist nicht zu gewähren.
Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf eines Fälligkeitstages entrichtet, so ist für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO). Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der festgesetzten und kraft Gesetzes sofort zu leistenden Steuerschuld anhalten soll, so dass sie insoweit eine Art Zwangsmittel darstellen. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen.
Der Senat hat keine Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des § 240 AO. Nach Auffassung des Senats hat sich dies auch nicht deswegen geändert, weil inzwischen gegen die Höhe des Zinssatzes schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Aufgrund des vorrangigen Zwecks der Säumniszuschläge als Druckmittel zur pünktlichen Entrichtung der Steuerschuld stellen verfassungsrechtliche Zweifel hinsichtlich der im Gesetz angeordneten Zinshöhe nicht zugleich die grundsätzliche Vereinbarkeit der in § 240 AO angeordneten Höhe der Säumniszuschläge von 1 % je Monat in Frage. Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, dass Säumniszuschläge nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO einen Zinsanteil i.H.v. 50 % enthalten, so dass nach den vom BFH in den Beschlüssen vom 25.4.2018 (IX B 21/18) sowie vom 3.9.2018 (VIII B 15/18) genannten rechtlichen Erwägungen ebenfalls verfassungsrechtliche Bedenken am vollen Ansatz der Säumniszuschläge bestünden, folgt der Senat dieser Auffassung nicht.
Säumniszuschläge sind in erster Linie ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuern. Sie sind weder Zinsen noch Strafen, sondern ein Mittel, den Steuerpflichtigen zur pünktlichen Zahlung anzuhalten. Soweit den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist, dass der Finanzausschuss dem Säumniszuschlag den Charakter eines "Zinsersatzes zuweisen wollte, hat sich diese Auffassung nicht durchgesetzt. Der den Säumniszuschlägen innewohnende Zinseffekt stellt lediglich einen Nebeneffekt dar und aktualisiert sich erst in den Fällen, in denen der Normzweck des Druckmittels nicht eingreift und der Zweck der Verzinsung in den Vordergrund tritt. Erst in den Situationen, in denen der Säumniszuschlag nicht mehr als Druckmittel fungiert, entsteht die Situation, dass lediglich der Verzinsungszweck das Erheben von Säumniszuschlägen rechtfertigt. Dies offenbart sich indes erst im Einzelfall und kann keine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 240 AO im Allgemeinen begründen.