12.12.2017

Insolvenzordnung: Zur Abgrenzung von Aufklärungsmaßnahmen zu Verwaltungshandeln

Der Senat folgt der Rechtsprechung des 7. Senats des FG Köln, nach der es nicht in der Rechtsmacht des Schuldners steht, am Insolvenzverwalter vorbei die Insolvenzmasse zu belasten. Weil das Verhältnis des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und § 35 Abs. 2 InsO zu einander und die sich hieraus ergebenden Folgen für die Fragen der Steuerfestsetzung höchstrichterlich noch nicht ausreichend geklärt ist, wurde zur Fortbildung des Rechts die Revision zugelassen.

FG Köln 11.10.2017, 9 K 3566/14
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist seit Juli 2012 Insolvenzverwalter über das Vermögen des Rechtsanwaltes A. Beim Finanzamt wurde unter der Steuernummer 1 die A-KG i. L. geführt. Diese reichte bis einschließlich Oktober 2012 Umsatzsteuervoranmeldungen ein. Hierin erklärte die KG steuerpflichtige Umsätze i.H.v. 118.280 € und Vorsteuern i.H.v. rund 5.142 €. Auf den Zeitraum vor Insolvenzeröffnung entfielen Umsätze i.H.v. 75.338 € und Vorsteuern i.H.v. 3.314 €. Die Voranmeldungen waren nicht vom Komplementär der Gesellschaft unterzeichnet. Dieser teilte gegenüber der Finanzverwaltung mit, die KG habe keine Beratungstätigkeiten aufgenommen. Ein aktiver Geschäftsbetrieb sei nicht geführt worden. Es habe sich während der gesamten Zeit um eine inaktive Gesellschaft gehandelt.

Im Rahmen einer bei der KG durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung kam das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass die Gesellschaft keinen Geschäftsbetrieb entfaltet habe. Steuerpflichtige Umsätze seien dem A. als Einzelunternehmer und nicht der Gesellschaft zuzurechnen. Hiervon abweichend kam die Steuerfahndung zu der Auffassung, dass die in Rede stehenden Umsätze nicht dem A, sondern der KG zuzuordnen seien, weil diese im Außenverhältnis gegenüber den Mandanten als Vertragspartner aufgetreten sei.

Da weder der Kläger als Insolvenzverwalter noch der Kanzleivertreter des Insolvenzschuldners im Streitjahr 2012 Umsätze erzielt hatten, gab der Kläger keine Umsatzsteuererklärung 2012 ab. Eine Freigabe von Vermögen i.S.d. § 35 Abs. 2 InsO erklärte der Kläger gegenüber dem Insolvenzschuldner nicht. Aufgrund der Rechtsauffassung der Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging das Finanzamt davon aus, dass nicht die KG, sondern der Insolvenzschuldner die streitigen Umsätze erzielt habe. Auf Basis der für die KG eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen schätzte es die Umsatzsteuer 2012 daher auf 6.330 € und vertrat insoweit die Rechtsauffassung, es handle sich um eine Masseschuld.

Hiergegen wandte sich der Kläger. Er wies darauf hin, dass der Insolvenzschuldner mit einem Berufsverbot belegt worden sei. Daher habe dieser die Umsätze allenfalls über andere Gesellschaften getätigt. Er - der Kläger - habe keine Kenntnis darüber, ob der Insolvenzschuldner berufsverbotswidrig weiterhin eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt habe. Erträge seien nicht zur Masse gelangt. Er gehe davon aus, dass sich der Insolvenzschuldner an das Berufsverbot halte und keine selbständige Tätigkeit ausführe.

Das FG gab der Klage statt. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Zu Unrecht hat das Finanzamt die Umsatzsteuer als sonstige Masseverbindlichkeit gegen den Kläger festgesetzt. Nach § 35 Abs. 1 InsO in der für das Streitjahr geltenden Fassung ist Insolvenzmasse das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt.

Ob ein Gegenstand zur Insolvenzmasse gehört, bestimmt sich ausschließlich nach § 35 Abs. 1 InsO. Danach gehört zur Insolvenzmasse nach der InsO auch der Neuerwerb des Schuldners während des Insolvenzverfahrens. Vor diesem Hintergrund ist die Beteiligung des A. an der KG bzw. - was im Streitfall offen ist - wäre das Vermögen, das A. aus einer selbstständigen Tätigkeit nach Mutmaßung des Beklagten erworben hat, zur Insolvenzmasse gehörig. Daraus folgt jedoch nicht, dass ein etwaiger Umsatzsteueranspruch des Finanzamtes gegen die KG oder aber gegen A. eine Masseverbindlichkeit darstellen. Ob eine sonstige Masseverbindlichkeit vorliegt, bestimmt sich dabei allein nach der Regelung in § 55 InsO. Nur wenn es sich bei der Abgabenforderung um eine Masseverbindlichkeit handelt, darf sie in einem gegen den Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheid festgesetzt werden.

Sonstige Masseverbindlichkeiten sind gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO solche Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Nach dem Wortlaut der Vorschrift muss die Verbindlichkeit insoweit auf eine wie auch immer geartete Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen sein. Ein Unterlassen des Insolvenzverwalters genügt zur Begründung von Masseverbindlichkeiten nur dann, wenn er dadurch eine Amtspflicht zum Tätigwerden verletzt. Die bloße Duldung einer (freiberuflichen) Tätigkeit des Insolvenzschuldners durch den Insolvenzverwalter oder dessen bloße Kenntnis macht die Einkommensteuer, die aufgrund dieser Einkünfte entsteht, noch nicht zu einer Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.

Das gilt nach Auffassung des erkennenden Senates für Umsatzsteuerverbindlichkeiten gleichermaßen. Infolgedessen lagen die vorgenannten Voraussetzungen entgegen der Rechtsauffassung des Finanzamtes in Bezug auf die von ihm unterstellte selbstständige Tätigkeit des A. nicht vor. Für die Behörde erschwerend hinzukam, dass ein Großteil der Sachverhaltsaufklärungshandlungen des Klägers erst nach Durchführung der Leistungen erfolgt war, so dass der Senat erhebliche Zweifel an einer Kausalität zwischen den Handlungen des Klägers und der Entstehung der Umsatzsteuerverbindlichkeit hegte. Im Übrigen folgt der Senat der Rechtsprechung des 7. Senats des FG Köln, nach der es nicht in der Rechtsmacht des Schuldners steht, am Insolvenzverwalter vorbei die Insolvenzmasse zu belasten.

Der Senat hat allerdings die Revision zugelassen, weil das Verhältnis der Vorschriften des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und § 35 Abs. 2 InsO zu einander und die sich hieraus ergebenden Folgen für die Fragen der Steuerfestsetzung höchstrichterlich noch nicht ausreichend geklärt ist, so dass eine Entscheidung des BFH der Fortbildung des Rechts in diesem Bereich dient.

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