Kein Billigkeitserlass allein wegen Anrechnung zu Unrecht gewährten Kindergeldes auf Sozialleistungen
BFH v. 13.9.2018 - III R 19/17Die Klägerin ist Mutter eines im Oktober 1995 geborenen Sohnes, für den sie zunächst Kindergeld bezog. Sie lebte mit ihrem Sohn und vier weiteren Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft, für die sie ALG II-Leistungen erhielt. Das gesamte Kindergeld wurde als Einkommen gem. § 11 SGB II auf die Sozialleistungen angerechnet.
Der Sohn begann im August 2013 eine Ausbildung. Am 31.7.2014 wurde er aufgrund eines Haftbefehls in Untersuchungshaft genommen, am 16.6.2015 wurde er rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Klägerin teilte dem Jobcenter die Inhaftierung persönlich mit. Der Sohn wurde daraufhin ab September 2014 aus der Bedarfsgemeinschaft herausgenommen.
Die Klägerin informierte die Familienkasse allerdings nicht über die Inhaftierung. Auch das Jobcenter gab die Information nicht an die Familienkasse weiter, so dass das Kindergeld fortgezahlt wurde. Durch Bescheid vom 25.11.2015 hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für den Sohn ab dem Monat September 2014 auf. Sie forderte von der Klägerin die Erstattung des Kindergelds von 2.209 €, das für den Zeitraum September 2014 bis Juli 2015 gewährt worden war.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Es bejahte einen Anspruch auf Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen. Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.
Gründe:
Zu Unrecht ging das FG davon aus, dass die Einziehung der Kindergeldrückforderung sachlich unbillig und ein Erlass zwingend geboten sei.
Allein der Umstand, dass das Kindergeld im Streitfall auf die von der Anspruchsberechtigten bezogenen Sozialleistungen angerechnet worden war, verpflichtete die Familienkasse nach nicht zu einem Billigkeitserlass. Denn die Anrechnung kann nach der Rechtsprechung der Sozialgerichte nicht rückabgewickelt werden, weil es allein auf den tatsächlichen Zufluss des Kindergelds beim Hilfeempfänger ankommt und die nachträgliche Gewährung von Sozialleistungen ausgeschlossen ist.
Es fehlt zwar eine gesetzliche Regelung der systemübergreifenden Rückabwicklung von zu Unrecht gewährtem Kindergeld, das auf ALG II - Leistungen angerechnet wurde. Dies ist jedoch noch kein Grund, in einschlägigen Fällen einen Billigkeitserlass als zwingend anzusehen.
Im vorliegenden Fall musste der Umstand, dass das Jobcenter die Familienkasse nicht über die Inhaftierung des Kindes informierte, bei der Entscheidung über den Billigkeitsantrag außer Betracht bleiben, da Jobcenter zu einer derartigen Information nicht verpflichtet und auch nicht befugt waren. Es lag somit an der Anspruchsberechtigten, der Familienkasse die Informationen zu übermitteln, die für die Kindergeldfestsetzung von Bedeutung waren. Denn ein Kindergeldberechtigter ist nach § 68 Abs. 1 EStG verpflichtet, alle Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen.
Ein Billigkeitserlass könnte dann in Betracht kommen, wenn der Kindergeldberechtigte seiner Mitwirkungspflicht nachgekommen ist, der Rückforderungsanspruch aber aufgrund eines über Gebühr langen Zuwartens der Familienkasse entstanden ist oder sich erhöht hat, ferner, wenn die Familienkasse aus den ihr bekannten Tatsachen die unzutreffenden Schlüsse gezogen hat. Für einen Erlass aus Billigkeitsgründen kann auch von Bedeutung sein, ob ein Beteiligter eine falsche Auskunft erteilt hat oder einen gebotenen Hinweis unterlassen hat oder ob eine gebotene Rückfrage an den Kindergeldberechtigten unterblieben ist.
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