Keine allgemeine Änderungssperre durch § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG
Kurzbesprechung
BFH v. 30.9.2020 - VI R 34/18
EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 41c Abs. 3 S. 1, § 41c Abs. 3 S. 4
AO § 155, § 164 Abs. 2 S. 1, § 167 Abs. 1 S. 1, § 168 S. 1, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst c, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 173 Abs. 2
FGO § 101 S. 1, § 101 S 2, § 102 S. 1, § 136 Abs. 1 S. 1
Ob nach Abgabe einer Lohnsteuer-Anmeldung durch den Arbeitgeber deren Änderung im Wege einer Steuerfestsetzung nach den §§ 155, 167 Abs. 1 Satz 1 AO zulässig ist, richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Korrekturvorschriften. Eine solche Änderung ist insbesondere zulässig, solange noch ein Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) besteht. Nach § 168 Satz 1 AO steht nämlich die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit werden die Rechtsfolgen einer Steuerfestsetzung unmittelbar an die Steuererklärung geknüpft.
§ 41c Abs. 3 EStG a.F. stand einer Änderung der Steuerfestsetzung bislang nicht entgegen. Zwar ist nach § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG die Änderung des Lohnsteuerabzugs nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig. Nach der Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung kann der Arbeitnehmer eine Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr verlangen; denn diese ist ein Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, so wie er tatsächlich stattgefunden hat. Nach Auffassung des BFH ist der tatsächliche Lohnsteuerabzug im Zusammenhang mit der Änderung einer Lohnsteuer-Anmeldung oder eines an deren Stelle tretenden Festsetzungsbescheids indes nicht von Bedeutung, weil es sich bei der darin festgesetzten, mit der Zahlung des Arbeitslohns entstehenden Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers um einen gesetzlich bestimmten "Sollbetrag" und nicht um einen durch den tatsächlichen Lohnsteuerabzug bestimmten "Istbetrag" handelt.
Mit Art. 2 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 --KroatienAnpG-- (BGBl I 2014, 1266) hat der Gesetzgeber § 41c Abs. 3 EStG um einen Satz 4 ergänzt, wonach eine Minderung der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig ist, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde. Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des KroatienAnpG ist die Vorschrift erstmals auf den laufenden Arbeitslohn anzuwenden, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird.
Im Streitfall stand einer Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2012 bis Dezember 2013 nach Maßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG schon deshalb nicht entgegen, weil die Vorschrift erstmals auf laufenden Arbeitslohn anzuwenden ist, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird. Der BFH folgt insbesondere nicht einer in der Literatur vertretenen Ansicht, wonach § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG auf alle Änderungsanträge anzuwenden ist, über die nach dem 31.12.2013 zu entscheiden ist, unabhängig davon, ob sie Lohnsteuer-Anmeldungen für Veranlagungszeiträume vor 2014 betreffen. Denn nach § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des KroatienAnpG kommt es auf die Zahlung des Arbeitslohns an.
Aber auch einer Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2014 bis Juni 2014 nach Maßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO stand § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG nicht entgegen. Die Vorschrift regelt ihrem Wortlaut nach nur den Fall einer nachträglichen Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO. Diese ist nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde. Damit ist zwar eine Änderung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO in allen anderen von § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG nicht erfassten Fällen ausgeschlossen, nicht dagegen eine Änderung nach Maßgabe der übrigen Korrekturvorschriften. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit eindeutig. Eine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut zulasten des Steuerpflichtigen kommt nicht in Betracht.
Soweit der Gesetzgeber mit der Regelung eine darüber hinausgehende, allgemeine Änderungssperre bezweckt haben sollte --worauf die Entstehungsgeschichte hindeutet--, hat dieser Wille keinen Niederschlag in der Norm gefunden.
Im Streitfall hatte das FG zu Recht eine Änderungsmöglichkeit nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO bejaht. Nach dieser Vorschrift darf ein Steuerbescheid geändert werden, soweit er durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist. Zwar setzt die Vorschrift im Regelfall eine Täuschung des FA voraus. Im Streitfall bestand jedoch die Besonderheit, dass es sich um Lohnsteuer-Anmeldungen eines Arbeitgebers handelte, die gemäß § 168 Satz 1 AO einer Festsetzung der Lohnsteuer unter Vorbehalt der Nachprüfung durch das FA gleichstehen. Die Lohnsteuer-Anmeldungen hatte die Arbeitnehmerin gegenüber der Steuerpflichtigen durch arglistige Täuschung bewirkt. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO lässt dabei sowohl eine Änderung zugunsten wie zulasten des FA zu.
Auch steht § 173 Abs. 2 AO einer Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO nicht entgegen. Die Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO steht jedoch im Ermessen der Finanzbehörde. Wird ein Steuerbescheid, durch den die Steuer aufgrund unlauterer Mittel zu niedrig festgesetzt wurde, von einem Dritten erwirkt, ist bei der Ermessensentscheidung zu beachten, ob der Steuerpflichtige die Fehlerhaftigkeit des Bescheids weder kannte noch erkennen konnte.
Nichts anderes gilt für die Situation des Streitfalls, in der die Steuer aufgrund unlauterer Mittel zu hoch festgesetzt wurde. Der BFH wies den Streitfall an die Vorinstanz zurück, da das FA nun im Rahmen einer zu treffenden Ermessensentscheidung prüfen muss, ob eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO zulässig ist. Bei der Ermessensentscheidung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Steuerpflichtige die mehr als fünf Jahre falsch übermittelten Lohnsteuerdaten nicht von Anfang an oder jedenfalls im Laufe der Zeit hätte erkennen können oder sogar müssen. Ebenso ist in die Ermessensprüfung einzubeziehen, dass der Ehemann der Arbeitnehmerin und die Steuerpflichtige sich im Vergleichswege auf eine Schadenskompensation durch Zahlung eines bestimmten Betrags geeinigt hatten. Ferner muss das FA berücksichtigen, ob und in welchem Umfang die Versteuerung der "Arbeitslöhne" und die Anrechnung der einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer im Rahmen der Einkommensbesteuerung der Eheleute rückgängig gemacht wurde.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 41a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 41c Abs. 3 S. 1, § 41c Abs. 3 S. 4
AO § 155, § 164 Abs. 2 S. 1, § 167 Abs. 1 S. 1, § 168 S. 1, § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Buchst c, § 173 Abs. 1 Nr. 2, § 173 Abs. 2
FGO § 101 S. 1, § 101 S 2, § 102 S. 1, § 136 Abs. 1 S. 1
Ob nach Abgabe einer Lohnsteuer-Anmeldung durch den Arbeitgeber deren Änderung im Wege einer Steuerfestsetzung nach den §§ 155, 167 Abs. 1 Satz 1 AO zulässig ist, richtet sich grundsätzlich nach den allgemeinen Korrekturvorschriften. Eine solche Änderung ist insbesondere zulässig, solange noch ein Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) besteht. Nach § 168 Satz 1 AO steht nämlich die Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Damit werden die Rechtsfolgen einer Steuerfestsetzung unmittelbar an die Steuererklärung geknüpft.
§ 41c Abs. 3 EStG a.F. stand einer Änderung der Steuerfestsetzung bislang nicht entgegen. Zwar ist nach § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG die Änderung des Lohnsteuerabzugs nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig. Nach der Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung kann der Arbeitnehmer eine Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr verlangen; denn diese ist ein Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, so wie er tatsächlich stattgefunden hat. Nach Auffassung des BFH ist der tatsächliche Lohnsteuerabzug im Zusammenhang mit der Änderung einer Lohnsteuer-Anmeldung oder eines an deren Stelle tretenden Festsetzungsbescheids indes nicht von Bedeutung, weil es sich bei der darin festgesetzten, mit der Zahlung des Arbeitslohns entstehenden Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers um einen gesetzlich bestimmten "Sollbetrag" und nicht um einen durch den tatsächlichen Lohnsteuerabzug bestimmten "Istbetrag" handelt.
Mit Art. 2 des Gesetzes zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25.07.2014 --KroatienAnpG-- (BGBl I 2014, 1266) hat der Gesetzgeber § 41c Abs. 3 EStG um einen Satz 4 ergänzt, wonach eine Minderung der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig ist, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde. Gemäß § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des KroatienAnpG ist die Vorschrift erstmals auf den laufenden Arbeitslohn anzuwenden, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird.
Im Streitfall stand einer Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2012 bis Dezember 2013 nach Maßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG schon deshalb nicht entgegen, weil die Vorschrift erstmals auf laufenden Arbeitslohn anzuwenden ist, der für einen nach dem 31.12.2013 endenden Lohnzahlungszeitraum gezahlt wird. Der BFH folgt insbesondere nicht einer in der Literatur vertretenen Ansicht, wonach § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG auf alle Änderungsanträge anzuwenden ist, über die nach dem 31.12.2013 zu entscheiden ist, unabhängig davon, ob sie Lohnsteuer-Anmeldungen für Veranlagungszeiträume vor 2014 betreffen. Denn nach § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des KroatienAnpG kommt es auf die Zahlung des Arbeitslohns an.
Aber auch einer Änderung der Lohnsteuer-Anmeldungen Januar 2014 bis Juni 2014 nach Maßgabe der allgemeinen Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. AO stand § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG nicht entgegen. Die Vorschrift regelt ihrem Wortlaut nach nur den Fall einer nachträglichen Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO. Diese ist nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung nur dann zulässig, wenn sich der Arbeitnehmer ohne vertraglichen Anspruch und gegen den Willen des Arbeitgebers Beträge verschafft hat, für die Lohnsteuer einbehalten wurde. Damit ist zwar eine Änderung nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO in allen anderen von § 41c Abs. 3 Satz 4 EStG nicht erfassten Fällen ausgeschlossen, nicht dagegen eine Änderung nach Maßgabe der übrigen Korrekturvorschriften. Der Wortlaut des Gesetzes ist insoweit eindeutig. Eine Auslegung gegen den eindeutigen Wortlaut zulasten des Steuerpflichtigen kommt nicht in Betracht.
Soweit der Gesetzgeber mit der Regelung eine darüber hinausgehende, allgemeine Änderungssperre bezweckt haben sollte --worauf die Entstehungsgeschichte hindeutet--, hat dieser Wille keinen Niederschlag in der Norm gefunden.
Im Streitfall hatte das FG zu Recht eine Änderungsmöglichkeit nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO bejaht. Nach dieser Vorschrift darf ein Steuerbescheid geändert werden, soweit er durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist. Zwar setzt die Vorschrift im Regelfall eine Täuschung des FA voraus. Im Streitfall bestand jedoch die Besonderheit, dass es sich um Lohnsteuer-Anmeldungen eines Arbeitgebers handelte, die gemäß § 168 Satz 1 AO einer Festsetzung der Lohnsteuer unter Vorbehalt der Nachprüfung durch das FA gleichstehen. Die Lohnsteuer-Anmeldungen hatte die Arbeitnehmerin gegenüber der Steuerpflichtigen durch arglistige Täuschung bewirkt. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO lässt dabei sowohl eine Änderung zugunsten wie zulasten des FA zu.
Auch steht § 173 Abs. 2 AO einer Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO nicht entgegen. Die Änderung eines Steuerbescheids gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO steht jedoch im Ermessen der Finanzbehörde. Wird ein Steuerbescheid, durch den die Steuer aufgrund unlauterer Mittel zu niedrig festgesetzt wurde, von einem Dritten erwirkt, ist bei der Ermessensentscheidung zu beachten, ob der Steuerpflichtige die Fehlerhaftigkeit des Bescheids weder kannte noch erkennen konnte.
Nichts anderes gilt für die Situation des Streitfalls, in der die Steuer aufgrund unlauterer Mittel zu hoch festgesetzt wurde. Der BFH wies den Streitfall an die Vorinstanz zurück, da das FA nun im Rahmen einer zu treffenden Ermessensentscheidung prüfen muss, ob eine Änderung nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c AO zulässig ist. Bei der Ermessensentscheidung ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Steuerpflichtige die mehr als fünf Jahre falsch übermittelten Lohnsteuerdaten nicht von Anfang an oder jedenfalls im Laufe der Zeit hätte erkennen können oder sogar müssen. Ebenso ist in die Ermessensprüfung einzubeziehen, dass der Ehemann der Arbeitnehmerin und die Steuerpflichtige sich im Vergleichswege auf eine Schadenskompensation durch Zahlung eines bestimmten Betrags geeinigt hatten. Ferner muss das FA berücksichtigen, ob und in welchem Umfang die Versteuerung der "Arbeitslöhne" und die Anrechnung der einbehaltenen und abgeführten Lohnsteuer im Rahmen der Einkommensbesteuerung der Eheleute rückgängig gemacht wurde.