18.09.2015

Keine "arglistige Täuschung" bei unzutreffender rechtlicher Würdigung des Arbeitgebers

Hat ein Steuerpflichtiger dem Finanzamt den für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhalt im Veranlagungsverfahren vollständig offengelegt, handelt er nicht arglistig und bedient sich auch nicht sonstiger unlauterer Mittel i.S.d. § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2c AO, wenn er sich im Einspruchsverfahren weiterhin auf Angaben in der Lohnsteuerbescheinigung bezieht, denen nach Auffassung der Finanzbehörde eine unzutreffende rechtliche Würdigung des Arbeitgebers zugrunde liegt.

BFH 8.7.2015, VI R 51/14
Der Sachverhalt:
Die Kläger hatten in ihrer gemeinsamen Einkommensteuererklärung in der Anlage N zu den Einkünften der Klägerin aus nichtselbständiger Arbeit einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. 20.201 € und Entschädigungen i.H.v. 174.034 € erklärt. Die Arbeitgeber der Klägerin übermittelten dem Finanzamt elektronisch für die Zeit von Januar bis Ende Juni 2007 einen Bruttoarbeitslohn von 26.980 € und einen ermäßigt besteuerten Arbeitslohn i.H.v. 174.034 € und für den Rest des Jahres einen Bruttoarbeitslohn i.H.v. 6.920 €.

Nachdem das Finanzamt die Kläger aufgefordert hatte, Unterlagen zur Berechnung und Zahlungsweise des ermäßigt besteuerten Arbeitslohns der Klägerin und eine Aufstellung einzureichen, aus der sich der negative Bruttoarbeitslohn der Klägerin ergebe, reichten die Kläger im September 2008 einen Aufhebungsvertrag der Klägerin aus Juni 2007 ein. Danach sollte die Klägerin wegen Auflösung ihres Arbeitsverhältnisses eine Abfindung i.H.v. 174.034 € erhalten haben, von der ein Teilbetrag i.H.v. 50.017 € in eine Direktversicherung für die Klägerin einbezahlt werden sollte. Außerdem reichten die Kläger eine Bescheinigung mit einer "Aufstellung der bescheinigten Summe in der Lohnsteuerbescheinigung Zeile 3" ein. Danach war bei der Berechnung des in Zeile 3 der Lohnsteuerbescheinigung eingetragenen Bruttoarbeitslohns die "Einzahlung aus Abfindung in Direktversicherung" i.H.v. 50.017 € als Abzugsposten berücksichtigt und gelangte so zu einem Wert i.H.v. 26.980 €.

Im November 2008 setzte das Finanzamt die Einkommensteuer fest. Es wies darauf hin, dass der Bruttoarbeitslohn der Klägerin 29.956 € betrage. Der Betrag für die Direktversicherung i.H.v. 50.017 € sei nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei und von der Abfindung abzuziehen, so dass 124.017 EUR als ermäßigt besteuerter Arbeitslohn zu berücksichtigen seien. Ein Abzug des steuerfreien Betrags vom Bruttoarbeitslohn sei nicht vorzunehmen, da die Zahlungen im Rahmen der Auflösung des Dienstverhältnisses erfolgt und auch von der vereinbarten Abfindung einbehalten worden seien. Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein. Eine andere Sachbearbeiterin half dem Einspruch mit Änderungsbescheid aus Februar 2009 ab.

Im Mai 2009 stellte das Finanzamt fest, dass durch eine falsche Lohnsteuerverschlüsselung Beiträge zur Direktversicherung nicht mit der Abfindung, sondern mit dem Bruttoarbeitslohn verrechnet worden waren. Dadurch wurde auf der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung ein negativer Bruttoarbeitslohn ausgewiesen. Daraufhin erließ das Finanzamt einen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid und berücksichtigte dabei - wie im ursprünglichen Bescheid - einen Bruttoarbeitslohn der Klägerin i.H.v. 29.956 € und eine Entschädigung i.H.v. 124.017 €.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision des Finanzamtes blieb vor dem BFH erfolglos.

Die Gründe:
Der Einkommensteuerbescheid 2007 aus Februar 2009 durfte nicht durch das Finanzamt geändert werden.

Dem FA waren bereits bei Erlass des Einkommensteuerbescheids sämtliche für die Besteuerung maßgeblichen Tatsachen bekannt. Tatsachen waren, dass die Klägerin im Juni 2007 einen Auflösungsvertrag geschlossen hatte, eine Abfindungssumme i.H.v. 174.034 € gezahlt wurde und ein Teilbetrag i.H.v. 50.017 € in eine Direktversicherung einbezahlt wurde. Tatsache war auch, dass in der Lohnsteuerbescheinigung bei der Berechnung des Bruttoarbeitslohns der Klägerin die Einzahlung in die Direktversicherung als Abzugsposten berücksichtigt wurde. Diese Tatsachen waren im September 2008 aktenkundig. Auf die individuelle Kenntnis der neu zuständigen Sachbearbeiterin kam es nicht an.

Nach § 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2c AO darf ein Steuerbescheid geändert werden, soweit er durch unlautere Mittel, wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt wurde. Für Arglist reicht bereits das Bewusstsein aus, wahrheitswidrige Angaben zu machen. Nicht erforderlich ist die Absicht, damit das Finanzamt zu einer Entscheidung zu veranlassen. Ein Mitverschulden der Finanzbehörde ist unerheblich.

Infolgedessen lag hier keine arglistige Täuschung vor. Die Kläger hatten lediglich eine andere rechtliche Würdigung hinsichtlich der lohnsteuerlichen Behandlung der Einzahlung in die Direktversicherung mitgeteilt. Der schlichte Vortrag einer anderen Rechtsauffassung im Rahmen des Einspruchsverfahrens ist jedoch nicht "arglistig" oder in sonstiger Weise "unlauter". Zudem entfaltet die Lohnsteuerbescheinigung lediglich einen Beweiswert dahingehend, wie der Lohnsteuerabzug tatsächlich stattgefunden hat und gerade nicht darüber, wie er hätte durchgeführt werden müssen, so dass auch aus diesem Grund durch die Bezugnahme auf die Lohnsteuerbescheinigung keine "unrichtigen (tatsächlichen) Angaben" gemacht wurden.

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