11.09.2018

Keine Berichtigung der unter Ausweis von Umsatzsteuer gegenüber Jobcentern abgerechneten Leistungen einer privaten Arbeitsvermittlerin

Die Berufung auf die Unionsrechtswidrigkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts und der darauf beruhenden gegenüber einem Steuerpflichtigen ergangenen Bescheide findet ihre Grenze in den nationalen Verfahrensregelungen über die Bestandskraft von Steuerfestsetzungen, setzt also das Eingreifen einer Korrekturvorschrift und den fehlenden Ablauf der Festsetzungsfristen voraus. Da - soweit ersichtlich - keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer mit dem Streitfall identischen Fallkonstellation vorliegt, wurde die Beschwerde zum BFH zugelassen.

FG Berlin-Brandenburg 5.7.2018, 7 V 7056/18
Der Sachverhalt:

Die Antragstellerin erzielte in den Jahren 2008 bis 2011 u.a. Umsätze als private Arbeitsvermittlerin, für die sie verschiedenen Agenturen für Arbeit und JobCentern Rechnungen unter Ausweis von Vorsteuer erteilte (typischerweise über 840,34 € netto zzgl. 159,66 € Mehrwertsteuer). Da die vermittelten Arbeitssuchenden der Antragstellerin Vermittlungsgutscheine i.S.d. § 421g SGB III vorgelegt hatten und die Antragstellerin diese den o.g. Rechnungsempfängerinnen vorlegte, zahlten diese die entsprechenden Beträge zwischen 22.500 € und 66.000 € (jeweils brutto) aus. Die Antragstellerin unterwarf diese Umsätze der Umsatzsteuer. Die Umsatzsteuererklärungen wirkten als Festsetzungen und wurden bestandskräftig.

Im Jahr 2017 berichtigte die Antragstellerin die den Agenturen für Arbeit und den JobCentern erteilten Rechnungen in der Weise, dass sie in den Rechnungen den Nettobetrag auf in der Regel jeweils 1.000 € erhöhte und den darauf entfallenden Mehrwertsteuerbetrag auf 0 € verminderte, verbunden mit dem Zusatz "Mehrwertsteuerbefreiung gem. UStG § 4 Nr. 15b a) Einrichtungen, die nach § 178 des SGB III zugelassen sind". Sie beantragte beim Finanzamt unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 19.9.2016 (III C 3 - S 7171-b/15/10003) ihr Umsatzsteuer aus den Jahren 2008 bis 2011 i.H.v. insgesamt 30.734 € zu erstatten, was die Finanzbehörde jedoch ablehnte.

Nach einer Umsatzsteuersonderprüfung für das Streitjahr 2017 kam die Prüferin zu der Ansicht, dass der Antragstellerin kein Berichtigungsbetrag nach § 14c UStG i.V. mit § 17 UStG zustehe, da die in den Jahren 2008 bis 2011 im Zusammenhang mit den ursprünglichen Rechnungen geschuldete Umsatzsteuer auf den seinerzeit erbrachten Leistungen und nicht auf einem unzulässigen Steuerausweis i.S.d. § 14c UStG beruht hätten. Ferner stehe einem Berichtigungsanspruch entgegen, dass die Antragstellerin die ursprünglich in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbeträge nicht an die Rechnungsempfänger erstattet habe. Dem folgend erließ das Finanzamt einen Umsatzsteuerbescheid 2017, der zu einer Nachzahlung i.H.v. 2.493 € führte.

Gegen diesen Bescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Den Antrag lehnte das Finanzamt ab. Auch das FG wies den Antrag zurück. Allerdings wurde die Beschwerde zum BFH zugelassen.

Die Gründe:

Es erscheint nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Antragstellerin kein Anspruch nach § 14c Abs. 1 UStG i.V. mit § 17 UStG aus der in 2017 vorgenommenen Berichtigung der ursprünglich in den Jahren 2008 bis 2011 erteilten Rechnungen zusteht.

Die von der Antragstellerin in den Jahren 2008 bis 2011 erteilten Rechnungen, in denen sie durch sog. Vermittlungsgutscheine entgoltene Arbeitsvermittlungsleistungen unter Ausweis von Umsatzsteuer abgerechnet hatte, waren i.S.d. § 14c Abs. 1 S. 1 UStG nicht unrichtig. Das seinerzeit geltende deutsche UStG sah für diese Leistungen keine Umsatzsteuerbefreiung vor. Diese Rechtslage war nicht als unionsrechtswidrig zu qualifizieren. Zwar hatte der deutsche Gesetzgeber Art. 132 Abs. 1g MwStSystRL (vormals Art. 13 Teil A Abs. 1g) der Richtlinie 77/388/EWG) nicht in das nationale Recht umgesetz, wozu er nach Art. 288 Abs. 3 AEUV verpflichtet war. Andererseits richtet sich die MwStSystRL - anders als die in Art. 288 Abs. 2 AEUV erwähnten Verordnungen - nur an die Mitgliedstaaten und hat keine unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten, sie bedarf vielmehr grundsätzlich eines Umsetzungsakts. Abweichendes gilt nur, wenn sich ein Unionsbürger auf die für ihn günstigere Richtlinienregelung beruft.

Daraus folgt für den Unionsbürger grundsätzlich ein Wahlrecht, ob er das nationale Recht angewendet wissen will oder ob er sich auf eine für ihn günstigere Regelung der MwStSystRL beruft.  Für letzteres ist ausreichend, aber auch erforderlich, dass er die entsprechende Rechtsfolge geltend macht, also sich z.B. auf die Steuerfreiheit von Arbeitsvermittlungsleistungen, die durch sog. Vermittlungsgutscheine entgolten werden, beruft. Die Berufung auf die Unionsrechtswidrigkeit einer Bestimmung des nationalen Rechts und der darauf beruhenden gegenüber einem Steuerpflichtigen ergangenen Bescheide findet ihre Grenze in den nationalen Verfahrensregelungen über die Bestandskraft von Steuerfestsetzungen, setzt also das Eingreifen einer Korrekturvorschrift und den fehlenden Ablauf der Festsetzungsfristen voraus. Dies entspricht der Rechtslage zum Widerruf eines Verzichts auf eine Steuerbefreiung gem. § 9 UStG. Dieser ist ebenfalls nur bis zum Eintritt der Bestandskraft und vor Ablauf der Festsetzungsverjährung möglich.

Infolgedessen schuldete die Antragstellerin, die sich vor Eintritt der Bestandskraft und der Festsetzungsverjährung für die Umsatzsteuerfestsetzungen 2008 bis 2011 nicht auf die Steuerfreiheit der o.g. Vermittlungsleistungen berufen hatte, nach summarischer Prüfung die Umsatzsteuer nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 13 Abs. 1 Nr. 1 UStG. Die Steuerschuld beruhte dementsprechend insoweit nicht auf § 14c Abs. 1 UStG. Da - soweit ersichtlich - keine höchstrichterliche Rechtsprechung zu einer mit dem Streitfall identischen Fallkonstellation vorliegt, wurde die Beschwerde zum BFH zugelassen.

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