Keine Billigkeitsmaßnahme wegen behaupteter Verfassungswidrigkeit der Mindestbesteuerung
BFH 11.7.2018, XI R 33/16Die Klägerin ist eine zunächst von drei Gesellschaften gegründete GmbH, an der im Streitjahr (2006) vier Gesellschaften mit jeweils 25 % beteiligt waren. In dem Verfahren geht es insbesondere um die Frage, ob die nach § 10d Abs. 2 EStG angeordnete Mindestbesteuerung beim Verlustvortrag einer GmbH vor dem Hintergrund als unbillig anzusehen ist, dass der Gewinn der GmbH auf einem Forderungsverzicht der Gesellschafter beruht.
Mit Einreichung der Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2006 im Februar 2008 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf das BMF-Schreiben vom 27.3.2003 (IV A 6-S 2140-8/03 - Sanierungserlass -), die Körperschaftsteuer gem. § 163 AO aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen. Das Finanzamt setzte im Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 2006 die Körperschaftsteuer fest. Die abweichende Steuerfestsetzung der Körperschaftsteuer lehnte das Finanzamt ab. Es führte unter Bezugnahme auf den Sanierungserlass aus, ein steuerlich begünstigter Sanierungsgewinn liege nicht vor.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Die Revision der Klägerin hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG hat zutreffend angenommen, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die beantragte Billigkeitsmaßnahme hat.
Nach § 163 S. 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Festsetzung einer Steuer ist aus sachlichen Gründen unbillig, wenn sie zwar dem Wortlaut des Gesetzes entspricht, aber den Wertungen des Gesetzes zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Grundlagen für die Steuerfestsetzung anders als tatsächlich geschehen geregelt hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbedürftig erkannt hätte. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt dagegen keine Billigkeitsmaßnahme.
Im Hinblick auf die Frage, ob die nach § 10d Abs. 2 EStG angeordnete Mindestbesteuerung beim Verlustvortrag einer GmbH vor dem Hintergrund als unbillig anzusehen ist, dass der Gewinn der GmbH auf einem Forderungsverzicht der Gesellschafter beruht, ist hierin keinen atypischer Einzelfall zu sehen, der ein Absehen von der Mindestbesteuerung wegen sachlicher Unbilligkeit erlaubt. Denn die Situation der GmbH unterscheidet sich nicht von der anderer Steuerpflichtiger, bei denen ein Forderungsverzicht zu einem Gewinn geführt hat, ohne dass ihnen dadurch Liquidität zur Begleichung der Steuer zugeflossen wäre, und für die der Große Senat des BFH eine sachliche Unbilligkeit der Besteuerung des Gewinns verneint hat.
Ob § 10d Abs. 2 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG in Fällen nicht liquiditätswirksamer Buchgewinne ggf. als verfassungswidrig anzusehen ist, obliegt nicht der Prüfung im Billigkeitsverfahren. Der Streitfall birgt insofern keine singuläre Atypik, sondern wirft Fragen auf, welche die Verfassungsmäßigkeit des § 10d Abs. EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG insgesamt betreffen. Die Entscheidung solcher Fragen obliegt jedoch nicht dem Finanzamt im Billigkeitsverfahren.
Vorliegend konnte daher offenbleiben, ob und ggf. in welchem Umfang der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nach dem Grundsatz der Ausrichtung der Besteuerung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit im Festsetzungsverfahren generell die Möglichkeit eines veranlagungszeitraumübergreifenden Verlustabzugs i.S.v. § 10d EStG erfordert. Letztlich kam auch eine Verfahrensaussetzung nach § 74 FGO nicht in Betracht, da der BFH das bereits vor dem BVerfG anhängige Verfahren (2 BvR 242/17) für aussichtslos erachtet.
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