Keine ermäßigte Besteuerung der Auszahlung einer Rente im Wege der Kapitalabfindung
FG Münster v. 24.10.2023 - 1 K 1990/22 E
Der Sachverhalt:
Die Klägerin vereinbarte im Jahr 2005 mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in einen Anspruch auf Versicherungsschutz in Form von Beiträgen zu einer Direktversicherung nach dem BetrAVG. Der Arbeitgeber schloss daraufhin für die Klägerin eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Danach sollte an die Klägerin eine lebenslängliche mtl. Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen. Im Streitjahr 2019 übte die Klägerin das Kapitalwahlrecht aus und erhielt rd. 44.500 € ausbezahlt.
Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente nach § 22 Nr. 5 EStG und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die Klägerin machte mit ihrer Klage dagegen die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes geltend, da der Gesetzeswortlaut von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erfüllt sei. Ein weiteres Tatbestandsmerkmal der Atypik sei im Gesetz nicht enthalten. Die vom Gesetzeszweck geforderte Zusammenballung von Einkünften in einem Veranlagungszeitraum sei eingetreten. Soweit der BFH für die Bestimmung der Atypik auf statistische Auswertungen abstelle, entspreche dies nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit.
Das FG wies die Klage ab. Die Revision zum BFH wurde zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat die Kapitalauszahlung der Direktversicherung zutreffend als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 5 EStG behandelt. Hierunter fallen auch Einmalzahlungen. Maßgeblich für die Besteuerung nach dieser Vorschrift ist, dass die Beitragszahlungen tatsächlich nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei gestellt waren. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor.
Die Kapitalauszahlung ist nicht nach § 34 Abs. 1 Sätze 2-4 EStG ermäßigt zu besteuern. Der Wortlaut des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, wonach Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten außerordentliche Einkünfte darstellen, ist zwar erfüllt. Der Begriff der Vergütung ist weit auszulegen und erfasst alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert. Die Tätigkeit besteht bei Alterseinkünften in der früheren Beitragsleistung.
Es fehlt allerdings an dem für diese Vorschrift zusätzlich erforderlichen ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit. Dieses ist nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur als Korrektiv für die weite Auslegung des Begriffs der "Vergütung" erforderlich. Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des BFH allein auf die vertragliche Vereinbarung eines Kapitalwahlrechts an (BFH v. 20.9.2016 - X R 23/15). In späteren Entscheidungen hat der BFH jedoch darauf abgestellt, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material von Organisationen und Verbänden der Anbieter ausgewertet werden muss (BFH v. 11.6.2019 - X R 7/18 und v. 6.5.2020 - X R 24/19). Der daraufhin im zweiten Rechtsgang unternommene Versuch des FG Köln, derartiges statistisches Material zu erhalten, blieb jedoch unergiebig, da die angefragten Organisationen keine entsprechenden Statistiken geführt haben.
Vor diesem Hintergrund bestehen Bedenken, ob die vom BFH aufgestellten Kriterien noch Bestand haben können. Dies folgt auch daraus, dass die Besteuerung vor Ausübung des Kapitalwahlrechts für den Steuerpflichtigen nicht hinreichend klar ist. Zudem hat der BFH nicht entschieden, ab welchem Prozentsatz eine Außerordentlichkeit vorliegt. Im Ergebnis kann dies jedoch offenbleiben. Wendet man die neuere Rechtsprechung trotz der Bedenken an, liegt keine Außerordentlichkeit vor, da die Klägerin die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen trägt. Lehnt man diese Rechtsprechung ab und stellt mit der früheren Rechtsprechung auf die Vereinbarung eines Kapitalwahlrechts ab, liegen die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ebenfalls nicht vor, da im Streitfall ein Kapitalwahlrecht von vornherein vereinbart war.
Mehr zum Thema:
Aktionsmodul Steuerrecht:
Mit dem Aktionsmodul stehen dem umfassend tätigen Steuerrechtspraktiker fünf Beratermodule zur Verfügung. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Aktionsmodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
Jetzt neu:
Otto Schmidt Answers in Kombination mit dem Aktionsmodul Steuerrecht
Fachwissen trifft auf Künstliche Intelligenz --> mehr Infos!
FG Münster NL vom 15.11.2023
Die Klägerin vereinbarte im Jahr 2005 mit ihrem damaligen Arbeitgeber die Umwandlung eines Teils ihres Gehalts in einen Anspruch auf Versicherungsschutz in Form von Beiträgen zu einer Direktversicherung nach dem BetrAVG. Der Arbeitgeber schloss daraufhin für die Klägerin eine solche Versicherung mit einer Beitragszahlungsdauer von 14 Jahren ab. Danach sollte an die Klägerin eine lebenslängliche mtl. Rente gezahlt werden oder auf Antrag eine einmalige Kapitalabfindung erfolgen. Im Streitjahr 2019 übte die Klägerin das Kapitalwahlrecht aus und erhielt rd. 44.500 € ausbezahlt.
Diesen Betrag behandelte das Finanzamt als steuerpflichtige Rente nach § 22 Nr. 5 EStG und besteuerte ihn mit dem regulären Steuersatz. Die Klägerin machte mit ihrer Klage dagegen die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes geltend, da der Gesetzeswortlaut von § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG erfüllt sei. Ein weiteres Tatbestandsmerkmal der Atypik sei im Gesetz nicht enthalten. Die vom Gesetzeszweck geforderte Zusammenballung von Einkünften in einem Veranlagungszeitraum sei eingetreten. Soweit der BFH für die Bestimmung der Atypik auf statistische Auswertungen abstelle, entspreche dies nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Normenbestimmtheit und Normenklarheit.
Das FG wies die Klage ab. Die Revision zum BFH wurde zur Fortbildung des Rechts zugelassen.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat die Kapitalauszahlung der Direktversicherung zutreffend als sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 5 EStG behandelt. Hierunter fallen auch Einmalzahlungen. Maßgeblich für die Besteuerung nach dieser Vorschrift ist, dass die Beitragszahlungen tatsächlich nach § 3 Nr. 63 EStG steuerfrei gestellt waren. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor.
Die Kapitalauszahlung ist nicht nach § 34 Abs. 1 Sätze 2-4 EStG ermäßigt zu besteuern. Der Wortlaut des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG, wonach Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten außerordentliche Einkünfte darstellen, ist zwar erfüllt. Der Begriff der Vergütung ist weit auszulegen und erfasst alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert. Die Tätigkeit besteht bei Alterseinkünften in der früheren Beitragsleistung.
Es fehlt allerdings an dem für diese Vorschrift zusätzlich erforderlichen ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der Außerordentlichkeit. Dieses ist nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur als Korrektiv für die weite Auslegung des Begriffs der "Vergütung" erforderlich. Im Hinblick auf die Kapitalauszahlung von Renten kam es nach der früheren Rechtsprechung des BFH allein auf die vertragliche Vereinbarung eines Kapitalwahlrechts an (BFH v. 20.9.2016 - X R 23/15). In späteren Entscheidungen hat der BFH jedoch darauf abgestellt, ob das Kapitalwahlrecht nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich ausgeübt wird, wofür statistisches Material von Organisationen und Verbänden der Anbieter ausgewertet werden muss (BFH v. 11.6.2019 - X R 7/18 und v. 6.5.2020 - X R 24/19). Der daraufhin im zweiten Rechtsgang unternommene Versuch des FG Köln, derartiges statistisches Material zu erhalten, blieb jedoch unergiebig, da die angefragten Organisationen keine entsprechenden Statistiken geführt haben.
Vor diesem Hintergrund bestehen Bedenken, ob die vom BFH aufgestellten Kriterien noch Bestand haben können. Dies folgt auch daraus, dass die Besteuerung vor Ausübung des Kapitalwahlrechts für den Steuerpflichtigen nicht hinreichend klar ist. Zudem hat der BFH nicht entschieden, ab welchem Prozentsatz eine Außerordentlichkeit vorliegt. Im Ergebnis kann dies jedoch offenbleiben. Wendet man die neuere Rechtsprechung trotz der Bedenken an, liegt keine Außerordentlichkeit vor, da die Klägerin die Feststellungslast für das Vorliegen der Voraussetzungen trägt. Lehnt man diese Rechtsprechung ab und stellt mit der früheren Rechtsprechung auf die Vereinbarung eines Kapitalwahlrechts ab, liegen die Voraussetzungen für die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ebenfalls nicht vor, da im Streitfall ein Kapitalwahlrecht von vornherein vereinbart war.
Aktionsmodul Steuerrecht:
Mit dem Aktionsmodul stehen dem umfassend tätigen Steuerrechtspraktiker fünf Beratermodule zur Verfügung. Inklusive Selbststudium nach § 15 FAO. Wann immer es zeitlich passt: Für Fachanwälte bietet das Aktionsmodul Beiträge zum Selbststudium mit Lernerfolgskontrolle und Fortbildungszertifikat. 4 Wochen gratis nutzen!
Jetzt neu:
Otto Schmidt Answers in Kombination mit dem Aktionsmodul Steuerrecht
Fachwissen trifft auf Künstliche Intelligenz --> mehr Infos!