Keine inzidente Anfechtung einer Lohnsteuer-Anmeldung durch Anfechtung eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids
Kurzbesprechung
BFH v. 15. 2. 2023 - VI R 13/21
AO § 110 Abs 3, § 155 Abs 1 S 1, § 164 Abs 2 S 1, § 164 Abs 3 S 2, § 167, § 168 S 1, § 173 Abs 2 § 191 Abs 1 S 1, § 357 Abs 3 S 1
EStG § 38 Abs 1 S 1, § 41a Abs 1 S 1 Nr. 1, § 42d Abs 1 Nr. 1
BGB § 133
Das FA hatte im Streitfall im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung den Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der Lohnsteuer-Anmeldungen für den Prüfungszeitraum aufgehoben. Die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts steht gemäß § 164 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 AO einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Der Steuerpflichtige hatte gegen diesen Bescheid keinen Einspruch eingelegt.
Mit der erfolgten Anfechtung des Lohnsteuer-Haftungsbescheids ist nicht auch automatisch - so aber Steuerpflichtigen geltend gemacht - die Anfechtung des Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung verbunden. Zwar hatte das FA den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (und damit die Lohnsteuer-Festsetzung) mit dem Lohnsteuer-Haftungsbescheid mit Leistungsgebot in einem Sammelbescheid verbunden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass beide ‑ in dem Sammelbescheid nur der äußeren Form nach verbundene ‑ Verwaltungsakte ihre rechtliche Selbständigkeit behielten.
Steuern ‑ wie die Lohnsteuer als besondere Erhebungsform der Einkommensteuer (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EStG) ‑ werden nach § 155 Abs. 1 Satz 1 AO durch Steuerbescheid festgesetzt; wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Ausgehend hiervon gibt es keine Rechtsgrundlage für die Annahme, die Anfechtung des Haftungsbescheids umfasse automatisch bzw. "umgekehrt inzident" auch die Anfechtung des Bescheids über die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht können die verschiedenen, vom Steuerpflichtigen so bezeichneten Verschränkungen zwischen Lohnsteuer-Haftung und Lohnsteuer-Festsetzung nicht darüber hinweghelfen, dass ein Lohnsteuer-Haftungsbescheid und ein Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung der Lohnsteuer-Anmeldungen unterschiedliche Verwaltungsakte sind, die jeweils mit dem Einspruch und der Klage angefochten werden können und damit auch angefochten werden müssen, um den Eintritt der (formellen) Bestandskraft des jeweiligen Bescheids zu verhindern.
Etwaige Abhängigkeiten oder "Verschränkungen" materieller und verfahrensrechtlicher Regelungen, die unterschiedliche Verwaltungsakte betreffen, können ohne eine ‑ im Streitfall nicht vorhandene ‑ gesetzliche Grundlage nicht dazu führen, das Erfordernis der Anfechtung des jeweiligen Verwaltungsakts zu suspendieren. Durch einen Einspruch gegen einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid wird daher die Überprüfbarkeit der Lohnsteuer-Anmeldungen nicht wieder eröffnet. Denn unabhängig von ihrem materiellen Regelungsgehalt sind Haftungsbescheid und Lohnsteuer-Anmeldung bzw. Aufhebungsbescheid unterschiedliche Verwaltungsakte, die jeweils in (formeller) Bestandskraft erwachsen, sofern sie nicht durch Einspruch und Klage angefochten werden.
Die Lohnsteuer-Haftungsschuld des Arbeitgebers, die durch Erlass eines Haftungsbescheids nach § 42d EStG i.V.m. § 191 AO festgesetzt wird, und die Lohnsteuer-Abführungs- bzw. Entrichtungsschuld des Arbeitgebers, die durch die Lohnsteuer-Anmeldung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 167 AO) oder durch von der Finanzbehörde erlassene Steuerbescheide (§ 155 AO) ‑ auch in der Form eines Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 168, § 164 Abs. 3 AO) ‑ verwirklicht wird, sind somit voneinander zu unterscheiden und stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis.
Die unterschiedlichen Regelungsbereiche eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids (Festsetzung einer Haftungsschuld) und einer Lohnsteuer-Anmeldung oder eines an deren Stelle erlassenen Steuerbescheids (Festsetzung der Lohnsteuer-Entrichtungsschuld) stehen daher der Annahme einer "umgekehrt inzidenten" Anfechtung des Steuerbescheids im Falle der Anfechtung des Haftungsbescheids entgegen.
Eine andere Beurteilung des Streitfalles ergab sich im Streitfall auch nicht aus dem auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorlagen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
AO § 110 Abs 3, § 155 Abs 1 S 1, § 164 Abs 2 S 1, § 164 Abs 3 S 2, § 167, § 168 S 1, § 173 Abs 2 § 191 Abs 1 S 1, § 357 Abs 3 S 1
EStG § 38 Abs 1 S 1, § 41a Abs 1 S 1 Nr. 1, § 42d Abs 1 Nr. 1
BGB § 133
Das FA hatte im Streitfall im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung den Vorbehalt der Nachprüfung hinsichtlich der Lohnsteuer-Anmeldungen für den Prüfungszeitraum aufgehoben. Die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts steht gemäß § 164 Abs. 3 Satz 2 Halbsatz 1 AO einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Der Steuerpflichtige hatte gegen diesen Bescheid keinen Einspruch eingelegt.
Mit der erfolgten Anfechtung des Lohnsteuer-Haftungsbescheids ist nicht auch automatisch - so aber Steuerpflichtigen geltend gemacht - die Anfechtung des Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung verbunden. Zwar hatte das FA den Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (und damit die Lohnsteuer-Festsetzung) mit dem Lohnsteuer-Haftungsbescheid mit Leistungsgebot in einem Sammelbescheid verbunden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass beide ‑ in dem Sammelbescheid nur der äußeren Form nach verbundene ‑ Verwaltungsakte ihre rechtliche Selbständigkeit behielten.
Steuern ‑ wie die Lohnsteuer als besondere Erhebungsform der Einkommensteuer (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EStG) ‑ werden nach § 155 Abs. 1 Satz 1 AO durch Steuerbescheid festgesetzt; wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), kann gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Ausgehend hiervon gibt es keine Rechtsgrundlage für die Annahme, die Anfechtung des Haftungsbescheids umfasse automatisch bzw. "umgekehrt inzident" auch die Anfechtung des Bescheids über die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts.
In verfahrensrechtlicher Hinsicht können die verschiedenen, vom Steuerpflichtigen so bezeichneten Verschränkungen zwischen Lohnsteuer-Haftung und Lohnsteuer-Festsetzung nicht darüber hinweghelfen, dass ein Lohnsteuer-Haftungsbescheid und ein Bescheid über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung der Lohnsteuer-Anmeldungen unterschiedliche Verwaltungsakte sind, die jeweils mit dem Einspruch und der Klage angefochten werden können und damit auch angefochten werden müssen, um den Eintritt der (formellen) Bestandskraft des jeweiligen Bescheids zu verhindern.
Etwaige Abhängigkeiten oder "Verschränkungen" materieller und verfahrensrechtlicher Regelungen, die unterschiedliche Verwaltungsakte betreffen, können ohne eine ‑ im Streitfall nicht vorhandene ‑ gesetzliche Grundlage nicht dazu führen, das Erfordernis der Anfechtung des jeweiligen Verwaltungsakts zu suspendieren. Durch einen Einspruch gegen einen Lohnsteuer-Haftungsbescheid wird daher die Überprüfbarkeit der Lohnsteuer-Anmeldungen nicht wieder eröffnet. Denn unabhängig von ihrem materiellen Regelungsgehalt sind Haftungsbescheid und Lohnsteuer-Anmeldung bzw. Aufhebungsbescheid unterschiedliche Verwaltungsakte, die jeweils in (formeller) Bestandskraft erwachsen, sofern sie nicht durch Einspruch und Klage angefochten werden.
Die Lohnsteuer-Haftungsschuld des Arbeitgebers, die durch Erlass eines Haftungsbescheids nach § 42d EStG i.V.m. § 191 AO festgesetzt wird, und die Lohnsteuer-Abführungs- bzw. Entrichtungsschuld des Arbeitgebers, die durch die Lohnsteuer-Anmeldung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 167 AO) oder durch von der Finanzbehörde erlassene Steuerbescheide (§ 155 AO) ‑ auch in der Form eines Bescheids über die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung (§ 168, § 164 Abs. 3 AO) ‑ verwirklicht wird, sind somit voneinander zu unterscheiden und stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis.
Die unterschiedlichen Regelungsbereiche eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids (Festsetzung einer Haftungsschuld) und einer Lohnsteuer-Anmeldung oder eines an deren Stelle erlassenen Steuerbescheids (Festsetzung der Lohnsteuer-Entrichtungsschuld) stehen daher der Annahme einer "umgekehrt inzidenten" Anfechtung des Steuerbescheids im Falle der Anfechtung des Haftungsbescheids entgegen.
Eine andere Beurteilung des Streitfalles ergab sich im Streitfall auch nicht aus dem auch im Steuerrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben, da die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorlagen.