Keine Kürzung des inländischen Kindergeldanspruchs bei unterbliebener Weiterleitung des Antrags an den vorrangig zuständigen Staat
FG Düsseldorf 28.5.2018, 7 K 1723/17 KgDie Klägerin besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit und lebt mit ihren beiden Kindern (A, Jahrgang 1994 sowie B, Jahrgang 1997) in Deutschland. Sie war seit mindestens Januar 2010 in den Niederlanden nichtselbständig tätig und entrichtete dort Sozialversicherungsbeiträge. Dem deutschen Kindergeld entsprechende Leistungen hat sie in den Niederlanden weder beantragt noch bezogen.
In ihren Anträgen auf Kinderzuschlag und Kindergeld gab sie an, nicht berufstätig zu sein. In einem 2004 gestellten Antrag beantwortete sie die Frage, ob sie im Ausland als Arbeitnehmerin tätig sei, mit nein, ebenso in einem Antrag aus Januar 2012. Sie wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass sie verpflichtet sei, Änderungen in den tatsächlichen Verhältnissen anzugeben. Die Klägerin erhielt für A bis März 2012 und für B bis September 2015 Kindergeld. Erstmals im September 2015 gab sie an, ab Januar 2010 bis heute in den Niederlanden nichtselbständig tätig gewesen zu sein. Daraufhin hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung ab Januar 2010 gem. § 70 Abs. 2 EStG auf, soweit ein Anspruch in den Niederlanden bestehe und forderte rund 8.760 € Kindergeld zurück.
Die von der Familienkasse über diesen Sachverhalt informierte Soziale Verzekeringsbank zahlte niederländisches Kindergeld nur für B für den Zeitraum Juli 2014 bis September 2015. Weil die Beschäftigung in den Niederlanden erst am 11.8.2015 bei der deutschen Kindergeldstelle gemeldet worden sei, stehe der Zahlung weiterer Beträge die Verjährung des Anspruchs entgegen. Die Familienkasse hob die Festsetzung des Kindergeldes für A und B ab Januar 2010 i.H.d. in den Niederlanden zustehenden Kindergeldes auf. Gleichzeitig wurde für den Zeitraum von Januar 2010 bis September 2015 zu viel gezahltes Kindergeld i.H.v. 8049 € zurückgefordert. Aus dem Bescheid ergab sich, dass die Kindergeldfestsetzung für A für Mai 2010 bis März 2012 und für B für Mai 2010 bis September 2015 aufgehoben wurde.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage weitestgehend statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Kindergeld für A für Mai 2010 bis März 2012 und für B für Mai 2010 bis Juni 2014, ohne Anrechnung des -nicht gezahlten- niederländischen Kindergeldes. Daher sind die Aufhebung des Bescheides und die Rückforderung rechtswidrig.
Nach Art 11 Abs. 3 a der VO Nr. 883/2004 unterliegt die Klägerin aufgrund ihrer Beschäftigung in den Niederlanden den dortigen Rechtsvorschriften, ihr stehen niederländische, dem deutschen Kindergeld entsprechende Leistungen zu, die nach 68 Abs. 1 der VO 883/2004 vorrangig sind. Nach Art 68 Abs. 2 der VO 883/2004 sind zwar die vom nachrangig zuständigen Staat zustehenden Ansprüche bis zur Höhe der im vorrangen Staat vorgesehenen Leistungen auszusetzen, es ist, wie auch die Behörde meint, der Antrag an den vorrangig zuständigen Träger weiterzuleiten und nur der Differenzbetrag zu leisten. Solange dieser unionsrechtlich vorgesehenen Ablauf nicht eingehalten wird, ist dagegen das volle Kindergeld zu gewähren. (so zutreffend Urteile des FG Münster v. 5.8.2016, Az.: 4 K 3115/14 Kg und des FG Nürnberg v. 15.2.2017, Az.: 3 K 1601/14).
Dies gilt besonders, wenn der andere Staat aus Verjährungsgründen nicht bereit ist, für zurückliegende Zeiträume Kindergeld zu gewähren. Ihre Grenze findet diese Auslegung, wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Antragstellung im anderen Mitgeldstaat missbräuchlich unterlassen wurde. Dafür besteht aber im Regelfall kein Grund, da die Unterlassung nicht zu einem höheren Kindergeldanspruch führen würde, der Antrag daher wohl nur aus Unkenntnis der Rechtslage nicht gestellt wurde. Gegenteiliges ist hier nicht ersichtlich.
Die Aufhebung der Festsetzung und die Rückforderung für das Kind B für den Zeitraum Juli 2014 bis September 2015 begegnen hingegen keinen Bedenken. Die Aufhebung war auch verfahrensrechtlich möglich, die Rückforderung zulässig. Die Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist § 70 Abs. 2 EStG, für die Rückforderung § 37 AO. Verjährung steht nicht entgegen.
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