08.02.2018

Keine Rückstellung für sog. Nachteilsausgleich bei Altersteilzeit nach § 5 Abs. 7 TV ATZ

Arbeitgeber dürfen hinsichtlich laufender Altersteilzeitarbeitsverträge keine Rückstellungen für den sog. Nachteilsausgleich gem. § 5 Abs. 7 TV ATZ bilden. Ein Arbeitgeber, der Jubiläumsrückstellungen in seiner Bilanz zum 31.12.2005 anhand der Pauschalwerttabelle des BMF-Schreibens vom 12.4.1999 (BStBl I 1999, 434) bemessen hatte, darf später im Rahmen einer noch "offenen" Veranlagung für das Jahr 2005 zur Anwendung der im BMF-Schreiben vom 8.12.2008 (BStBl I 2008, 1013) veröffentlichten Pauschalwerttabelle übergehen.

BFH 27.9.2017, I R 53/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine Sparkasse in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts. Sie hatte mit verschiedenen Mitarbeitern Verträge über Altersteilzeit abgeschlossen. Grundlage dafür ist das Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand (Altersteilzeitgesetz) vom 23.7.1996 (BGBl I 1996, 1078) und der für die Mitarbeiter der Steuerpflichtigen einschlägige Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeit im Öffentlichen Dienst vom 5.5.1998 (TV ATZ). Nach § 5 Abs. 7 TV ATZ haben die Mitarbeiter einen tariflichen Anspruch auf die Zahlung einer Abfindung wegen der zu erwartenden Rentenkürzung aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme einer Rente (sog. Nachteilsausgleich). Das Finanzamt war der Ansicht, die zum 31.12.2004 gebildeten Rückstellungen für die Abfindungszahlungen dürften nicht bereits bei Abschluss des Altersteilzeitvertrags in voller (abgezinster) Höhe passiviert werden, sondern müssten - wie die Rückstellungen für die Lohn-Aufstockungszahlungen bei Altersteilzeit - ratierlich angesammelt werden.

Hinsichtlich der Rückstellungen für Zuwendungen anlässlich von Dienstjubiläen hatte die Steuerpflichtige zum 31.12.2005 Jubiläumsrückstellungen in der Handels- und Steuerbilanz gebildet, soweit die maßgebenden Dienstverhältnisse mindestens zehn Jahre bestanden und die Zuwendung das Bestehen eines Dienstverhältnisses von mindestens 15 Jahren vorausgesetzt hatte. Den steuerlichen Ansatz der Jubiläumsrückstellungen zum 31.12.2005 hatte sie nach dem sog. Pauschalwertverfahren nach Maßgabe des BMF-Schreibens vom 12.4.1999 (BStBl I 1999, 434) und den darin vorgegebenen Pauschalwerten bemessen. Dem Pauschalwertverfahren nach dem BMF-Schreiben in BStBl I 1999, 434 lagen die "Richttafeln 1998" von Dr. Klaus Heubeck (Heubeck) zugrunde.

Das FA berücksichtigte die Jubiläumsrückstellungen bei Festsetzung der Körperschaftsteuer für das Streitjahr 2005 erklärungsgemäß. Die Klägerin beantragte im Einspruchsverfahren, die Jubiläumsrückstellungen anderweitig unter Zugrundelegung der von der Finanzverwaltung auf der Grundlage der "Richttafeln 2005 G" von Heubeck im BMF-Schreiben vom 8.12.2008 (BStBl I 2008, 1013) verlautbarten neuen Pauschalwerttabelle zu bewerten. Das Finanzamt lehnte die Änderung ab, weil seiner Auffassung nach der ursprüngliche Ansatz nicht fehlerhaft gewesen sei.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die  Revision des Finanzamtes hat der BFH das Urteil aufgehoben, die Klage im Hinblick auf die Festsetzung der Körperschaftsteuer 2004 abgewiesen und im Übrigen (Körperschaftsteuer 2005) die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.

Gründe:
Die Klägerin durfte in ihrer Bilanz zum 31.12.2004 keine Rückstellungen für die Verpflichtungen zur Zahlung des Nachteilsausgleichs gem. § 5 Abs. 7 TV ATZ passivieren. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten setzen entweder das Bestehen einer ihrer Höhe nach ungewissen Verbindlichkeit oder die überwiegende Wahrscheinlichkeit des Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach voraus, deren Höhe zudem ungewiss sein kann. Bei den Ansprüchen der Arbeitnehmer auf Nachteilsausgleich gem. § 5 Abs. 7 TV ATZ handelt es sich um in den Zeitpunkten des Abschlusses der jeweiligen Teilzeitarbeitsverträge sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewisse Verbindlichkeiten. Denn der Zahlungsanspruch setzt u.a. voraus, dass dem Arbeitnehmer nach dem Ende des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses tatsächlich nur ein "gekürzter" gesetzlicher Rentenanspruch zusteht.

Damit fehlte es für die Entstehung der Zahlungsforderungen zu den Zeitpunkten des Abschlusses der Teilzeitarbeitsverträge noch an mindestens einem Tatbestandselement. Denn ist die Verpflichtung am Bilanzstichtag wie im Streitfall dem Grunde nach noch nicht rechtlich entstanden, ist eine Rückstellung nur zu bilden, wenn sie erstens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit entsteht und der Steuerpflichtige daraus in Anspruch genommen wird und wenn sie - woran es im Streitfall mangelte - wirtschaftlich in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren verursacht ist.

Wirtschaftliche Verursachung in den bis zum Bilanzstichtag abgelaufenen Wirtschaftsjahren erfordert, dass die wirtschaftlich wesentlichen Tatbestandsmerkmale zu den maßgeblichen Bilanzstichtagen erfüllt sind und das Entstehen der Verbindlichkeit nur noch von wirtschaftlich unwesentlichen Tatbestandsmerkmalen abhängt. Maßgebend ist hiernach die wirtschaftliche Wertung des Einzelfalls im Lichte der rechtlichen Struktur des Tatbestands, mit dessen Erfüllung die Verbindlichkeit entsteht. Der rechtliche und wirtschaftliche Bezugspunkt der Verpflichtung muss in der Vergangenheit liegen, so dass die Verbindlichkeit nicht nur an Vergangenes anknüpft, sondern auch Vergangenes abgilt.

Im Streitfall entstand ein Abfindungsanspruch jedoch nur dann, wenn es beim Eintritt des jeweiligen Arbeitnehmers in den Ruhestand tatsächlich zu einer Rentenkürzung kommt. Bei dem Tatbestandselement des Eintritts einer Rentenkürzung, welches in Bezug auf die Arbeitnehmer, für die die Klägerin die in Rede stehenden Rückstellungen gebildet hat, zu den Bilanzstichtagen der Streitjahre noch nicht verwirklicht war, handelt es sich um ein wirtschaftlich wesentliches Tatbestandsmerkmal, nämlich um den eigentlichen wirtschaftlichen Beweggrund für die Leistung der Abfindung. Der tatsächliche Eintritt der bei Vertragsschluss erwarteten Rentenkürzung ist daher nicht nur in rechtlich-formaler, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht eine wesentliche Tatbestandsvoraussetzung für die Entstehung des Abfindungsanspruchs nach § 5 Abs. 7 TV ATZ. Daher hätte die Klägerin in ihrer Bilanz zum 31.12.2004 keine Rückstellungen für die Verpflichtungen nach § 5 Abs. 7 TV ATZ aus laufenden Altersteilzeitarbeitsverträgen bilden dürfen.

Hinsichtlich des Bilanzansatzes der Jubiläumszuwendungen war zu berücksichtigen, dass ein Arbeitgeber, der Jubiläumsrückstellungen in seiner Bilanz zum 31.12.2005 anhand der Pauschalwerttabelle des BMF-Schreibens vom 12.4.1999 (BStBl I 1999, 434) bemessen hatte, später im Rahmen einer noch "offenen" Veranlagung für das Jahr 2005 zur Anwendung der im BMF-Schreiben vom 8.12. 2008 (BStBl I 2008, 1013) veröffentlichten Pauschalwerttabelle übergehen darf. Das streitgegenständliche Festsetzungsverfahren war aufgrund des Einspruchs noch "offen"; außerdem endete das der Veranlagung zugrundeliegende Wirtschaftsjahr nach dem 6.7.2005, nämlich am 31.12.2005. Die Argumentation des Finanzamtes, eine Änderung sei nicht möglich, weil er ursprüngliche Bilanzansatz nicht fehlerhaft gewesen sei, steht in Widerspruch zu der grundsätzlichen Vorgabe in Rz 17 des BMF-Schreibens v. 8.12.2008, der zufolge das Schreiben für alle noch "offenen" Fälle Anwendung finden soll.

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