26.02.2016

Kinderfreibeträge verfassungswidrig zu niedrig?

Es bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Kinderfreibeträge für das Jahr 2014. Das betrifft zum einen bei der Einkommensteuerfestsetzung diejenigen Steuerpflichtigen, für die der Abzug der steuerlichen Kinderfreibeträge günstiger ist als das Kindergeld. Bei der Festsetzung des Solidaritätszuschlages betrifft es zum anderen alle Steuerpflichtigen mit Kindern, die Solidaritätszuschlag zahlen.

Niedersächsisches FG 16.2.2016, 7 V 237/15
Der Sachverhalt:
Die Antragstellerin ist verwitwet und alleinerziehende Mutter. Ihre zwei Töchter wurden in den Jahren 1993 und 1998 geboren und befanden sich im Streitjahr 2014 in der Ausbildung. Die Familienkasse zahlte für die Töchter Kindergeld i.H.v. jeweils 2.208 €. Im Bescheid für 2014 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag zog das Finanzamt für die Töchter Freibeträge in der gem. § 32 Abs. 6 EStG für das Streitjahr geltenden Höhe von zusammen jeweils 7.008 € ab. Außerdem zog die Behörde für die 1993 geborene Tochter einen Freibetrag zur Abgeltung des Sonderbedarfs wegen auswärtiger Unterbringung i.H.v. € 924 ab. Der Abzug der steuerlichen Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG war für die Antragstellerin günstiger als das Kindergeld.

Im Gegenzug erhöhte das Finanzamt nach §§ 31, 2 Abs. 6 S. 3 EStG die sich unter Abzug dieser Freibeträge ermittelte Einkommensteuer um das Kindergeld. Aus der Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlages ergab sich eine hohe Nachzahlung. Hiergegen wandte sich die Antragstellerin. Sie hielt die Höhe der Kinderfreibeträge für das Jahr 2014 für verfassungswidrig. Das Einspruchsverfahren ist noch anhängig. Das Finanzamt lehnte den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Der anschließende Antrag vor dem FG hatte überwiegend Erfolg. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache die Beschwerde an den BFH zugelassen.

Die Gründe:
Die Vollziehung des Bescheides für 2014 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag wird i.H.v. 782 € Einkommensteuer und 43 € Solidaritätszuschlag aufgehoben. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids, da die Kinderfreibeträge bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung aus mehreren Gründen verfassungswidrig zu niedrig sind. Das betrifft zum einen diejenigen Steuerpflichtigen, für die der Abzug der steuerlichen Kinderfreibeträge günstiger ist als das Kindergeld. Bei der Festsetzung des Solidaritätszuschlages betrifft es zum anderen alle Steuerpflichtigen mit Kindern, die Solidaritätszuschlag zahlen.

Nach BVerfG-Rechtsprechung ist es geboten, das Existenzminimum nicht nur der Steuerpflichtigen, sondern auch ihrer einkommensteuerlich zu berücksichtigenden Kinder steuerlich freizustellen. Insofern darf niemand Steuern auf Einkommen in einem Bereich bezahlen, in dem Bedürftige bereits einen Anspruch auf Sozialleistungen haben. Für Erwachsene wurde im Veranlagungszeitraum 2014 gem. § 32a EStG ein Grundfreibetrag von 8.354 € bestimmt. Für Kinder wurden im Veranlagungszeitraum 2014 bei der Festsetzung der Einkommensteuer Kinderfreibeträge von zusammen 7.008 € (4.368 € für das sächliche Existenzminimum und 2.640 € für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf) abgezogen, wenn dies für die Steuerpflichtigen günstiger war als das Kindergeld. Bei der Festsetzung des Solidaritätszuschlages werden die Kinderfreibeträge immer abgezogen, also auch dann, wenn das Kindergeld günstiger ist.

Die Ermittlung des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern erfolgt regelmäßig durch die Existenzminimumberichte der Bundesregierung. Im Neunten Existenzminimumbericht vom 7.11.2012 hatte die Bundesregierung das sächliche Existenzminimum eines Kindes im Veranlagungszeitraum 2014 mit jährlich 4.440 € festgestellt und angekündigt, zur verfassungsgerechten Besteuerung werde der Kinderfreibetrag von 4.368 € um 72 € für den Veranlagungszeitraum 2014 angehoben. Diese Ankündigung hat der Gesetzgeber dann jedoch nicht umgesetzt. Die Kinderfreibeträge sind vielmehr erst ab dem Veranlagungszeitraum 2015 angehoben worden.

Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kinderfreibetrages kamen auch auf, weil der Gesetzgeber lediglich ein durchschnittliches Existenzminimum von 258 € pro Monat berücksichtigt, das unter dem Sozialleistungsanspruch eines sechsjährigen Kindes (Regelsatz 2014: monatlich 261 €) liegt. Außerdem hat der Gesetzgeber für ein volljähriges Kind keine Ermittlungen zur Höhe des Existenzminimums angestellt, sondern wendet den Satz für minderjährige Kinder an. Diese Methode ist weder sachgerecht noch folgerichtig und damit nicht mehr vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt. Zahlen Eltern Unterhalt für ein volljähriges Kind, für das kein Anspruch auf Kindergeld oder Kinderfreibetrag besteht, wird das Existenzminimum nach § 33a Abs. 1 EStG höher - nämlich mit dem Grundfreibetrag - angesetzt, als wenn das Kind etwa studiert. Auch das kann nicht folgerichtig sein.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die gem. § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 AO vorläufige Festsetzung der Einkommensteuer und des Solidaritätszuschlages hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge nach § 32 Abs. 6 S. 1 u. 2 EStG die Verfassungsmäßigkeit des um 72 € zu niedrigen Kinderfreibetrages im Veranlagungszeitraum 2014 und - auch für andere Veranlagungszeiträume - der Höhe des Kinderfreibetrages nach dem durchschnittlichen Existenzminimum nicht umfasst, weil diese Fragen bislang nicht Gegenstand eines Verfahrens beim EuGH, dem BVerfG oder einem obersten Bundesgericht waren.

Linkhinweis:

Für den in der Rechtsprechungsdatenbank der niedersächsischen OLG veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

PM des Niedersächsischen FG vom 23.2.2016
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