16.05.2014

Kindergeld: Ausbildungsbetrieb als regelmäßige Arbeitsstätte

Ist ein Auszubildender im Rahmen eines Ausbildungsdienstverhältnisses, aus dem er Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, dem Ausbildungsbetrieb zugeordnet und sucht er diesen fortdauernd auf, um dort seine für den Ausbildungszweck zentralen Tätigkeiten zu erbringen, so ist der Ausbildungsbetrieb regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 EStG a.F. Allein der Umstand, dass ein Ausbildungsdienstverhältnis regelmäßig zeitlich befristet ist, reicht nicht aus, um dem Ausbildungsbetrieb die Qualifikation als regelmäßige Arbeitsstätte zu versagen.

BFH 27.2.2014, III R 60/13
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist der Vater des im Juli 1990 geborenen Sohnes S. S absolvierte im Jahr 2011 eine betriebliche Ausbildung. Hieraus erzielte er Einnahmen aus nichtselbständiger Tätigkeit, die sich nach Abzug der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung auf rd. 9.560 € beliefen. Im Streitzeitraum Januar 2011 bis Dezember 2011 fuhr S an 169 Tagen zum Ausbildungsbetrieb (einfache Entfernung 12 km) und an 51 Tagen zur Berufsschule (einfache Entfernung 22 km). Ferner leistete er einen Gewerkschaftsbeitrag i.H.v. rd. 100 €.

Die beklagte Familienkasse hob die zu Gunsten des Klägers erfolgte Kindergeldfestsetzung für S im Dezember 2012 von Januar bis Dezember 2011 auf und forderte das bereits ausgezahlte Kindergeld i.H.v. 2.280 € vom Kläger zurück. Die Familienkasse ist der Ansicht, dass die Einkünfte des S den Grenzbetrag des § 32 Abs. 4 S. 2 EStG (a.F.) überschritten hätten. Insofern setzte sie die Fahrten zum Ausbildungsbetrieb mit der Entfernungspauschale und die Fahrten zur Berufsschule nach Dienstreisegrundsätzen an.

Das FG gab der Klage statt. Auf die Revision der Familienkasse hob der BFH das Urteil auf und wies die Klage ab.

Die Gründe:
Das FG ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Ausbildungsbetrieb des S nicht als regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 1 EStG anzusehen ist.

Regelmäßige Arbeitsstätte ist danach der (ortsgebundene) Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit des Arbeitnehmers, also der Ort, an dem er seine aufgrund des Dienstverhältnisses geschuldete Leistung zu erbringen hat. Dies ist im Regelfall der Betrieb des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern fortdauernd und immer wieder aufsucht. Eine vom Arbeitnehmer besuchte arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung stellt keine regelmäßige Arbeitsstätte in diesem Sinne dar. Entsprechend kann auch eine Ausbildungsstätte im Rahmen eines Dienstverhältnisses bei beruflichen Lehrgängen, Ausbildungsverhältnissen, Abordnungen oder Fortbildungsmaßnahmen den Charakter einer regelmäßigen Arbeitsstätte haben, wenn es sich um eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handelt und der Arbeitnehmer diese dauerhaft, d.h. über einen längeren Zeitraum, aufsucht. Eine andere Beurteilung kommt nur in Betracht, wenn eine beruflich veranlasste Bildungsmaßnahme außerhalb eines Dienstverhältnisses durchgeführt wird.

Im Streitfall ist das FG hinsichtlich der Fahrten zwischen der Wohnung des S und dem Ausbildungsbetrieb zu Unrecht davon ausgegangen, dass hierfür die tatsächlichen Kosten oder mangels Einzelnachweis die Pauschale von 0,30 € pro gefahrenem Kilometer anzusetzen seien. Denn der Ausbildungsbetrieb stellte eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers dar, der S durch seinen Ausbildungsvertrag zugeordnet war und in der er über einen längeren Zeitraum - jedenfalls die gesamte Dauer seines Ausbildungsverhältnisses - fortdauernd und immer wieder seine durch den Ausbildungscharakter geprägte berufliche Leistung gegenüber seinem Arbeitgeber zu erbringen hatte. Die Ausbildung im Ausbildungsbetrieb bildete auch den Kern des gesamten Ausbildungsverhältnisses, so dass sich der Ausbildungsbetrieb als ortsgebundener Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit des S darstellte.

Im Streitfall fand die Ausbildung in einem herkömmlichen Ausbildungsdienstverhältnis statt, in dessen Rahmen S bereits Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielte. Zudem ist ein der betrieblichen Ausbildung dienendes Arbeitsverhältnis - wie das, in dem sich S befand - auch nicht typischerweise vorübergehend, weil es sich häufig nach Ausbildungsende in einem regulären Arbeitsverhältnis im selben Betrieb fortsetzt. Der erkennende Senat kann § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG keinen Anhaltspunkt dafür entnehmen, dass ein Auszubildender im Ausbildungsbetrieb nicht seine regelmäßige Arbeitsstätte hat, obwohl er diesem Ausbildungsbetrieb für die gesamte Ausbildungszeit zugewiesen ist, dort für mehrere Jahre immer wieder tätig wird und seine für das Ausbildungsverhältnis zentralen Leistungen erbringt.

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