26.10.2017

Kindergeld kann ausnahmsweise vorrangig den Großeltern und nicht den Eltern zustehen

Großeltern können für ihr Enkelkind auch dann Kindergeld erhalten, wenn Mutter und Kind zwar aus dem gemeinsamen Haushalt mit den Großeltern ausziehen, das Kind aber tatsächlich überwiegend nach wie vor im Haushalt der Großeltern betreut und versorgt wird. Die Entscheidung, in wessen Haushalt sich das Kind überwiegend aufhält und seinen Lebensmittelpunkt hat, muss die dafür kraft Gesetzes zuständige Familienkasse (nicht das Familiengericht) treffen.

FG Rheinland-Pfalz 29.8.2017, 4 K 2296/15
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte bis Mai 2015 für seine drei Kinder und für seine Enkeltochter Kindergeld erhalten. Als Teil seiner Beamtenbesoldung erhielt er außerdem einen sog. "Familienzuschlag", dessen Höhe von der Anzahl der Kinder abhängig ist, für die ein Beamter Anspruch auf Kindergeld hat. Die drei Kinder des Klägers und auch sein Enkelkind (die Tochter von C.) lebten in seinem Haushalt. Sowohl seine Ehefrau als auch seine Tochter C. waren mit der Zahlung an ihn einverstanden.

Im Mai 2015 zog die C. mit ihrer Tochter in eine eigene Wohnung. Da C. noch studierte, wurde sie vom Kläger und seiner Ehefrau in der Betreuung und Erziehung des Kindes unterstützt. Befand sich dieses nicht im Kindergarten, wurde sie von C. und/oder dem Kläger bzw. seiner Ehefrau betreut und versorgt. Außerdem übernachtete das Kind an mehreren Tagen pro Woche in der Wohnung des Klägers in einem eigenen Zimmer.

Die Familienkasse zahlte dem Kläger ab Mai 2015 kein Kindergeld mehr mit der Begründung, dass das Enkelkind seit dem Auszug von C. zu dem Haushalt der Mutter und nicht mehr zum Haushalt des Klägers gehöre. Das FG gab der Klage statt. Die Revision wurde nicht zugelassen.

Die Gründe:
Das Gericht hat nach Befragung der Ehefrau des Klägers und der Kindesmutter (C.) als Zeugen die Überzeugung gewonnen, dass das Kind im maßgeblichen Zeitraum mit deutlich überwiegendem Gewicht weiterhin in den Haushalt des Klägers aufgenommen war und dort ihren Lebensmittelpunkt hatte. Dabei waren insbesondere folgende Umstände entscheidend:

Das Kind hatte seit seiner Geburt (März 2013) im gemeinsamen Haushalt des Klägers mit seiner Ehefrau und der jungen alleinstehenden Kindesmutter C. sowie deren Geschwistern gelebt. Dabei war zwischen den Großeltern (dem Kläger und seiner Ehefrau) und dem Kind durch die Betreuung, Erziehung und Versorgung eine elternähnliche Beziehung entstanden, die mit dem Auszug im Mai 2015 nicht endete. Da das Kind weiterhin in der Wohnung des Klägers häufig übernachtete und ihr eigenes Zimmer behalten hat, dort auch in deutlich überwiegendem Umfang vom Kläger und seiner Ehefrau versorgt, betreut und erzogen wurde, hat nicht nur das besondere familiäre Band zwischen Großeltern und Enkelin, sondern auch die Haushaltsaufnahme fortbestanden.

Der Kläger und seine Ehefrau hatten sich zudem auf eine dauerhafte Betreuung eingerichtet und ihre berufliche Situation darauf ausgerichtet: Die Ehefrau des Klägers hatte nämlich auf eine Erhöhung ihrer gleitenden Arbeitszeit verzichtet und der Kläger arbeitete an mehreren Wochentagen am häuslichen Telearbeitsplatz. Die Betreuungsleistungen des Klägers und seiner Ehefrau waren auch aus Sicht der Kindesmutter C. von hohem Gewicht, da sie auf ihren Kindergeldanspruch zu Gunsten des Klägers verzichtet hatte. Aber auch ohne diesen Verzicht stünde hier dem Kläger das Kindergeld zu, da es bei mehrfachen Haushaltsaufnahmen keinen vorrangigen Kindergeldanspruch der leiblichen Eltern gibt. Maßgeblich ist allein, in welchem der Haushalte das Kind überwiegend versorgt und betreut wird.

Hintergrund:
Im vorliegenden Fall war die Frage, ob der Kläger oder seine Tochter C. (vorrangig) kindergeldberechtigt ist, deshalb von entscheidender Bedeutung, weil der Kläger als Teil seiner Beamtenbesoldung einen sog. "Familienzuschlag" erhielt, dessen Höhe von der Anzahl der Kinder abhängig ist, für die ein Beamter Anspruch auf Kindergeld hat. Hätte das Kindergeld für das Enkelkind also nicht ihm, sondern seiner Tochter zugestanden, hätte er einen niedrigeren Familienzuschlag erhalten (aktuell würde die Kürzung 367,58 €/Monat betragen). Dabei hat die Besoldungsstelle kein eigenes Prüfungsrecht, sie ist vielmehr an die Entscheidung der Familienkasse gebunden. Daher wird über die Höhe des Familienzuschlags "faktisch" in dem Verfahren wegen Kindergeld gestritten.

Dies erklärt, weshalb der Kläger geklagt hat bzw. hat klagen müssen, obwohl er sich mit seiner Tochter (im Innenverhältnis) wohl einig war. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall allerdings von dem weit häufigeren Fall, dass sich die potentiell Berechtigten nämlich nicht einig sind, wem der Anspruch auf Kindergeld zusteht. Nach den Vorschriften des Kindergeldrechts (§§ 62 ff. EStG) ist grundsätzlich jeder Elternteil für das leibliche Kind kindergeldberechtigt. Auch Großeltern sind kindergeldberechtigt, wenn sie ein Enkelkind in ihren Haushalt aufgenommen haben. Beim Zusammentreffen mehrerer Ansprüche wird allerdings nur einem Berechtigten Kindergeld gezahlt, und zwar demjenigen, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Eine Aufteilung des Kindergeldes auf mehrere Berechtigte ist nicht zulässig. Das hat folgende Konsequenzen:

  • Lebt ein Kind im gemeinsamen Haushalt seiner Eltern, müssen sie sich einigen und bestimmen, wer von ihnen das Kindergeld erhalten soll. Können sie sich nicht einigen, bestimmt das Familiengericht auf Antrag den Berechtigten (§ 64 Abs. 2 S. 3 EStG). Entsprechendes gilt, wenn ein Kind in den gemeinsamen Haushalt seiner Großeltern aufgenommen ist. Dann müssen sich entweder die Großeltern einigen oder es entscheidet das Familiengericht.
  • Bei getrennt lebenden Eltern steht der Anspruch auf Kindergeld nur demjenigen Elternteil zu, der das Kind in seinen Haushalt aufnimmt und es überwiegend betreut und versorgt.
  • Gibt es einen gemeinsamen Haushalt von Eltern/Elternteil und Großeltern ist kaum oder nur mit unzumutbarem Aufwand feststellbar, wer für das in diesem gemeinsamen Haushalt lebende Kind bzw. Enkelkind den größeren Betreuungs- und Versorgungsbeitrag materieller und/oder immaterieller Art leistet. Der Gesetzgeber hat daher für diesen (speziellen) Fall die Regelung getroffen, dass der Kindergeldanspruch vorrangig den Eltern bzw. dem Elternteil (vor den Großeltern) zusteht. Auf diesen Kindergeldanspruch kann aber zu Gunsten eines Großelternteils verzichtet werden. Diese Situation lag im vorliegenden Fall bis Mai 2015 vor.
  • Liegt dagegen - wie hier ab Mai 2015 (Auszug der Kindesmutter) - kein gemeinsamer Haushalt von Eltern/Elternteil und Großeltern vor und hält sich das Kind sowohl im Haushalt der Eltern bzw. eines Elternteils als auch im Haushalt der Großeltern auf, ist fraglich, wem das Kindergeld (vorrangig) zusteht, weil dieser Fall nicht (ausdrücklich) gesetzlich geregelt ist. Das FG vertrat in seiner o.a. Entscheidung die Auffassung, dass es in Fällen dieser Art keinen vorrangigen Anspruch der Eltern gebe und daher festgestellt bzw. entschieden werden müsse, in wessen Haushalt sich das Kind überwiegend aufhalte und seinen Lebensmittelpunkt habe. Ein Verzicht der Eltern auf den Kindergeldanspruch reiche in diesen Fällen daher nicht aus.

Die Entscheidung, in wessen Haushalt sich das Kind überwiegend aufhält und seinen Lebensmittelpunkt hat, muss die dafür kraft Gesetzes zuständige Familienkasse (nicht das Familiengericht) treffen. Im Streitfall entschied daher das FG.

FG Rheinland-Pfalz PM vom 25.10.2017
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