Kindergeld: Zum Erlass eines Rückforderungsanspruchs aus Billigkeitsgründen
FG Münster 12.12.2016, 13 K 91/16 KgDer Kläger ist afghanischer Staatsangehöriger und Vater von sieben Kindern. Er war spätestens seit dem Jahr 2007 im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. Bis Oktober 2013 war er selbstständig gewerblich tätig und betrieb eine Pizzeria. Die Beklagte setze im November 2009 zu Gunsten des Klägers Kindergeld ab November 2007 für seine sieben Kinder fest. Der Bescheid enthielt einen Hinweis darauf, dass der Kläger nach § 68 Abs. 1 EStG verpflichtet sei, jede Änderung in den Verhältnissen oder zu dem von ihm abgegebenen Erklärungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung seien, unverzüglich mitzuteilen. Näheres könne er dem ihm ausgehändigten Merkblatt über Kindergeld entnehmen.
Im August 2012 reichte der Kläger einen neuen Kindergeldantrag aufgrund der Vollendung des 18. Lebensjahres des ältesten Sohnes bei der Beklagten ein. Hierbei legte er u.a. einen Bescheid des Jobcenters aus Mai 2012 über Leistungen nach dem SGB II sowie die bereits bekannte Bestätigung seines Steuerberaters vor, nicht jedoch einen aktualisierten Nachweis seiner Erwerbstätigkeit. Die Beklagte zahlte das Kindergeld für die sieben Kinder des Klägers daraufhin fort, ohne einen weiteren Nachweis der Erwerbstätigkeit zu verlangen.
Im Herbst 2013 meldete der Kläger seinen Betrieb beim Gewerbeamt ab und beantragte beim Jobcenter Leistungen nach dem SGB II. Dabei trat er lediglich mit dem Jobcenter in Kontakt. Der Beklagten teilte er den Bezug von Leistungen nach dem SGB II nicht mit. Auch das Jobcenter teilte dies der Beklagten nicht mit. Nachdem der Kläger im März 2015 u.a. seine Gewerbeabmeldung der Beklagten vorgelegt hatte, hob diese die Kindergeldfestsetzung für die sieben Kinder des Klägers ab Oktober 2013 gem. § 70 Abs. 2 EStG auf und forderte insgesamt Kindergeld i.H.v. 25.524 € gem. § 37 Abs. 2 AO zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus, die Voraussetzungen für eine Kindergeldfestsetzung gem. § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG lägen nicht mehr vor.
Der Kläger war der Ansicht, er habe seine Mitwirkungspflichten vollständig erfüllt. Die Hinweise im Bewilligungsbescheid würden nicht ausreichen. Es sei unklar gewesen, dass er die Änderung auch der Beklagten hätte mitteilen sollen. Das FG gab der Klage statt.
Die Gründe:
Der Kläger hat einen Anspruch darauf, die Rückforderung des Kindergeldes aus Billigkeitsgründen gem. § 227 AO in voller Höhe zu erlassen.
Der Kläger war nicht darauf hingewiesen worden, dass mit Beendigung seiner Erwerbstätigkeit der Anspruch auf Kindergeld entfällt. Ein solcher Hinweis war weder in dem Festsetzungsbescheid aus November 2009 enthalten noch in dem ausgehändigten Merkblatt über das Kindergeld. Der im Festsetzungsbescheid enthaltene allgemeine Hinweis, dass der Kläger nach § 68 Abs. 1 EStG verpflichtet sei, jede Änderung in den Verhältnissen oder zu dem von ihm abgegebenen Erklärungen, die für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung seien, unverzüglich mitzuteilen, genügte nicht um anzunehmen, der Kläger habe von der Beklagten hinreichende Hinweise erhalten. Aus diesem Hinweis ergab sich nämlich nicht, welche Verhältnisse oder Erklärungen für den Anspruch auf Kindergeld von Bedeutung waren. Der Kläger musste auch frühere Mitteilungen der Beklagten nicht als Hinweis verstehen, dass die Erwerbstätigkeit zu den für den Anspruch auf Kindergeld bedeutsamen Verhältnissen gehört und eine Änderung zum Entfall des Kindergelds führen kann.
Aufgrund dieses Gesamtbildes der tatsächlichen Verhältnisse war der Senat überzeugt, dass dem Kläger das Bewusstsein über die Konsequenzen aus der Beendigung der Erwerbstätigkeit in Bezug auf den Wegfall des Kindergeldes fehlte. Die zuständigen Behörden (Arbeitsamt, Familienkasse und Sozialamt) hatten auch nicht miteinander kommuniziert. Demnach lag ein Fall der "Ermessensreduzierung auf Null" vor. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls erschien nur ein vollständiger Billigkeitserlass der gesamten Rückforderung ermessensgerecht.
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