Kindergeldanspruch während der Untersuchungshaft eines Kindes
KurzbesprechungEStG § 62 Abs. 1 Satz 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, Buchst. c
Im Streitfall ging es um die Kindergeldgewährung für den im Oktober 1991 geborenen Sohn des Anspruchsberechtigten, der im März 2010 einen Ausbildungsvertrag abschloss. Die Ausbildung begann im August 2010 und sollte bis Februar 2014 dauern.
In einem gegen den Sohn eingeleiteten Strafverfahren wurde diesem vorgeworfen, sich neben weiteren Angeklagten zu einem Raub mit schwerer Körperverletzung verabredet zu haben. Er wurde deshalb von Oktober 2012 bis November 2013 in Untersuchungshaft genommen. In der Untersuchungshaft bestand keine Möglichkeit, eine Ausbildung durchzuführen.
Im November 2012 kündigte der Ausbildungsbetrieb das Ausbildungsverhältnis unter Hin-weis darauf, dass der Sohn seit Oktober 2012 unentschuldigt im Ausbildungsbetrieb und in der Berufsschule gefehlt habe.
In der im Dezember 2014 über die Anklage geführten Hauptverhandlung wurde der Sohn freigesprochen. Der Freispruch wurde im Jahr 2016 durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs bestätigt.
Im September 2014 hob die Familienkasse die erfolgte Kindergeldfestsetzung ab November 2012 auf und forderte das für den Zeitraum November 2012 bis Januar 2014 bereits ausbe-zahlte Kindergeld zurück.
Der BFH entschied, dass dem Anspruchsberechtigten kein Kindergeldanspruch wegen einer Berufsausbildung des Sohnes zustand. Denn hierfür kommt es nicht auf das formale Weiter-bestehen eines Ausbildungsverhältnisses an, sondern darauf, dass auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen tatsächlich durchgeführt werden. Im Streitfall ist daher nicht darauf abzustellen, ob das Ausbildungsverhältnis während der Inhaftierung vom Ausbildungsbetrieb wirksam gekündigt wurde. Denn auch im Falle des Fortbestehens des Ausbildungsverhältnisses trat durch die Untersuchungshaft eine Unterbrechung der Ausbildung ein. Der Sohn führte während der Untersuchungshaft jedenfalls weder im Rahmen seines bei dem Ausbildungsbetrieb begonnenen Ausbildungsverhältnisses weitere auf die Ausbildung gerichtete Maßnahmen (innerbetriebliche Ausbildung, Berufsschulbesuche) durch noch fand in der Haftanstalt eine andere Berufsausbildung statt.
Bei einer Unterbrechung der Ausbildung durch eine Untersuchungshaft des Kindes wird ein Kindergeldanspruch nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG zwar ausnahmsweise trotz Fehlens von Ausbildungsmaßnahmen anerkannt. Hierfür genügt es aber insoweit nicht, dass das Kind später freigesprochen wird und deshalb die Unterbrechung seiner Ausbildung nicht zu vertreten hat. Voraussetzung ist vielmehr auch, dass es sich um eine nur vorübergehende Unterbrechung der Ausbildung handelt.
An dieser Voraussetzung fehlte es jedoch im Streitfall, da der Sohn auch nach der im Novem-ber 2013 beendeten Untersuchungshaft seine Ausbildung in dem Betrieb nicht fortgesetzt und keine auf eine Ausbildung gerichteten Maßnahmen mehr durchgeführt hat.
Ein Kindergeldanspruch war auch nicht unter dem Gesichtspunkt zu bejahen, dass der Sohn eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen konnte. Denn hierfür ist Voraussetzung, dass sich das Kind ernsthaft um einen Ausbildungsplatz bemüht. Dabei ist das Bemühen um einen Ausbildungsplatz glaubhaft zu machen. Pauschale Angaben, das Kind sei im fraglichen Zeitraum ausbildungsbereit gewesen, es habe sich ständig um einen Ausbildungsplatz bemüht oder sei stets bei der Agentur für Arbeit als ausbildungssuchend gemeldet gewesen, reichen dagegen nicht aus. Um einer missbräuchlichen Inanspruchnahme des Kindergeldes entgegenzuwirken, muss sich die Ausbildungsbereitschaft des Kindes durch belegbare Bemühungen um einen Ausbildungsplatz objektiviert haben.
Die Streitsache wies der BFH zur Nachholung entsprechender Feststellungen an das FG zurück.
BFH, Urteil vom 18.1.2018, III R 16/17, veröffentlicht am 25.4.2018