04.01.2019

Knappes amtsärztliches Attest zur Anerkennung von wissenschaftlich nicht anerkannten Heilmethoden kann ausreichen

Steuerpflichtige können Kosten für eine wissenschaftlich nicht anerkannte Heilmethode auch dann als sog. außergewöhnliche Belastung steuerlich geltend machen, wenn sie dem Finanzamt zum Nachweis der Erforderlichkeit der Behandlung nur eine kurze Stellungnahme des Amtsarztes und kein ausführliches Gutachten vorlegen. Weshalb im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens das Wort "Attest" durch das Wort "Gutachten" ausgetauscht wurde, ist hingegen nicht ersichtlich.

FG Rheinland-Pfalz v. 4.7.2018 - 1 K 1480/16
Der Sachverhalt:

Die Kläger hatten ihre 2 ½-jährige - wegen Komplikationen bei der Geburt - schwerbehinderte Tochter ab Februar 2011 in einem von zwei Heilpraktikern betriebenen "Naturheilzentrum" behandeln lassen. Nachdem die Krankenkasse die Erstattung der Kosten von 16.800 € abgelehnt hatte, machten die Kläger die Aufwendungen im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung als außergewöhnliche Belastung geltend. Dafür legten sie ein privatärztliches Attest einer Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde (Homöopathie) vor.

Die Ärztin kam zu dem Ergebnis, dass bei dem schweren Krankheitsbild jeder Versuch, das Ergebnis zu verbessern, für die Familie wichtig und auch medizinisch jeder positive Impuls für das Kind zu begrüßen sei, weshalb sie auch ärztlich die Teilnahme am Förderprogramm des Naturheilzentrums empfehle. Auf diesem Attest hatte der zuständige Amtsarzt vermerkt: "Die Angaben werden amtsärztlich bestätigt".

Dem Finanzamt reichte dies nicht aus. Es erkannte die Behandlungskosten nicht als außergewöhnliche Belastung an. Es war der Ansicht, dass die knappe Äußerung des Amtsarztes kein "Gutachten" darstelle. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Das Urteil ist rechtskräftig.

Die Gründe:

Zwar wurde die Tochter der Kläger mit wissenschaftlich nicht anerkannten Methoden behandelt. Infolgedessen musste der der Nachweis der Erforderlich- bzw. Zwangsläufigkeit nach § 64 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in qualifizierter Form geführt werden. Diese Anforderungen wurden im vorliegenden Fall aber erfüllt.

Zwar enthält der Wortlaut des § 64 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStDV tatsächlich den Begriff "amtsärztliches Gutachten". Die Vorschrift ermächtigt jedoch nicht nur den Amtsarzt, sondern in gleicher Weise auch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse, die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen bei unkonventionellen Behandlungsmethoden zu bestätigen. Hierfür muss der medizinische Dienst nur eine "Bescheinigung" ausstellen. Vor diesem Hintergrund und mit Rücksicht auf Sinn, Zweck und historische Entwicklung der Vorschrift sind somit an das "Gutachten" des Amtsarztes in Bezug auf Form und Inhalt keine höheren Anforderungen als an eine "Bescheinigung" zu stellen.

Hintergrund:

Mit Inkrafttreten des Steuervereinfachungsgesetzes 2011 sollten die bis dahin in den Einkommensteuerrichtlinien (R 33.4 EStR) enthaltenen Anforderungen an die Nachweise der Zwangsläufigkeit, Notwendigkeit und Angemessenheit von Krankheitskosten gesetzlich festgeschrieben werden. R 33.4 EStR in der damals gültigen Fassung verlangte bei wissenschaftlich nicht anerkannten Behandlungsmethoden den Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor der Behandlung ausgestelltes amtsärztliches Attest. Diesem wurde eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes gleichgestellt.

Bei einer wörtlichen Übernahme dieser Verwaltungsanweisung in die Regelung des § 64 EStDV, wie vom Bundesrat vorgeschlagen, wäre damit auch weiterhin ein Attest des Amtsarztes ausreichend gewesen. Weshalb im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens das Wort "Attest" durch das Wort "Gutachten" ausgetauscht wurde (Beschlussempfehlung des Finanzausschusses zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucksache 17/6105, S. 23), ist hingegen nicht ersichtlich.
 

FG Rheinland-Pfalz PM vom 4.1.2019
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