21.11.2024

Korrektur einer jahresübergreifenden Umsatzverlagerung

Versteuert der Unternehmer entgegen § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) seine Umsätze nicht bereits für den Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung, sondern erst für den der nachfolgenden Entgeltvereinnahmung, kann er die Rechtswidrigkeit der für den Besteuerungszeitraum der Entgeltvereinnahmung vorliegenden Steuerfestsetzung geltend machen, ohne dass dem ‑‑im Hinblick auf eine für den Besteuerungszeitraum der Leistungserbringung angenommene Festsetzungsverjährung‑‑ eine Analogie zu § 20 Satz 3 UStG entgegensteht.

Kurzbesprechung
BFH v. 29.8.2024 - V R 19/22

UStG § 13 Abs 1 Nr 1 Buchst a, § 20 S 3
AO § 164 Abs 2, § 172 Abs 1 S 1 Nr 2 Buchst a, § 173 Abs 2 § 174 Abs 4, § 177 Abs 1


Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst a Satz 1 UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind. Damit kommt es bei dieser Art der - auch als Sollbesteuerung bezeichneten - Steuerentstehung im Gegensatz zur Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG), bei der gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entsteht, in dem die Entgelte vereinnahmt worden sind (Istbesteuerung), auf die Leistungsausführung, nicht aber auf die Entgeltvereinnahmung an.

Eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass im Rahmen der Sollbesteuerung das Entgelt oder ein Teil des Entgelts vereinnahmt wird, bevor die Leistung oder die Teilleistung ausgeführt worden ist, da § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG hierfür anordnet, dass die Steuer insoweit mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt oder das Teilentgelt vereinnahmt worden ist, entsteht. Folgt demgegenüber die Entgeltvereinnahmung der Leistungserbringung nach, entsteht die Steuer gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Leistungserbringung.

Im Streitfall hatte das FG zu Unrecht entschieden, dass von der sich aus § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 und 4 UStG ergebenden Rechtslage im Rahmen einer Analogie zu § 20 Satz 3 UStG, wonach bei einem Wechsel der Art der Steuerberechnung Umsätze nicht doppelt erfasst werden oder unversteuert bleiben dürfen, abgewichen werden kann. Denn die analoge Anwendung einer Rechtsnorm setzt eine - im Streitfall nicht vorhandene - Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit voraus. Vielmehr erfolgt die Korrektur einer im Widerspruch zu § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG stehenden zeitlichen Zuordnung von Umsätzen auf der Grundlage der Änderungsvorschriften der § 164 Abs. 2, § 172 ff. AO unter den darin niedergelegten Voraussetzungen.

Dabei ist der hier vorliegende Fall, dass aus einem Antrag des Steuerpflichtigen Folgerungen für andere Besteuerungszeiträume zu ziehen sind, insbesondere durch § 174 Abs. 4 AO geregelt. Im Streitfall hatte das FA aufgrund einer rechtsirrigen Beurteilung eines bestimmten Sachverhalts (Besteuerung der bereits in 2012 ausgeführten Leistungen erst bei Vereinnahmung des Entgelts im Streitjahr) den streitgegenständlichen Steuerbescheid erlassen, der aufgrund des von der Steuerpflichtigen gestellten Antrags zu ihren Gunsten geändert werden soll (keine Besteuerung der in 2012 ausgeführten Leistungen im Streitjahr). Daher können aus dem Sachverhalt nachträglich durch Änderung eines Steuerbescheids für 2012 die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wobei dies unter den in § 174 Abs. 4 Satz 3 und 4 AO genannten Voraussetzungen selbst dann möglich ist, wenn die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2012 bereits abgelaufen sein sollte.

Ist Festsetzungsverjährung eingetreten, führt selbst der Grundsatz von Treu und Glauben nicht dazu, dass ein erloschener Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis wieder entsteht Dies gilt unabhängig davon, ob dem Steuerpflichtigen der Eintritt der Verjährung vorwerfbar ist oder nicht. Auch aus diesem Grund kommt es nicht in Betracht, im Hinblick auf eine - vom FG ohne nähere Prüfung unterstellte - Unmöglichkeit einer Folgekorrektur für 2012 zulasten der Steuerpflichtigen eine Auslegung des materiellen Rechts dergestalt zu bejahen, dass ein dem materiellen Recht entsprechender Änderungsanspruch des Steuerpflichtigen abgelehnt wird.

Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige einen Anspruch auf die beantragte Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2013 gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 1 Alternative 2 AO, wonach ein Steuerbescheid, soweit er nicht vorläufig oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangen ist, nur aufgehoben oder geändert werden darf, soweit dem Antrag des Steuerpflichtigen der Sache nach entsprochen wird.

Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige einen zulässigen und auch begründeten Antrag gestellt, da der Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2013 rechtswidrig ist, soweit er den Vergütungssaldo 2012 in die Bemessungsgrundlage einbezieht, da die Umsatzsteuer hierauf gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 1 UStG bereits mit Ausführung der Leistungen im Jahr 2012 entstand. Die Korrektur dieses Zeitpunkts der Steuerentstehung durch eine analoge Anwendung von § 20 Satz 3 UStG oder der vom FA gegen das Änderungsbegehren erhobene Einwand der Treuwidrigkeit kam daher nicht in Betracht.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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