29.08.2019

Kostenentscheidung bei übereinstimmenden Erledigungserklärungen nach BVerfG-Entscheidung

Hat das BVerfG entschieden, dass eine Steuerrechtsnorm mit Bestimmungen des GG unvereinbar ist und die Fortgeltung der Vorschrift bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber angeordnet, und wird deshalb ein Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, entspricht es billigem Ermessen, der Finanzbehörde die Verfahrenskosten aufzuerlegen.

BFH v. 18.7.2019 - VII R 9/19 (VII R 4/09)
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt eine Privatbrauerei. Auf die in der Steuererklärung nach § 8 Abs. 1 BierStG 1993 für den Monat Januar 2004 von ihr angegebenen Biermengen wandte das Hauptzollamt die ermäßigten Steuersätze gem. § 2 Abs. 2 BierStG 1993 i.d.F. von Art. 15 HBeglG 2004 an. Den hiergegen eingelegten Einspruch wies die Behörde zurück. Auch die Klage blieb erfolglos.

Mit der vom FG zugelassenen Revision, mit der die Klägerin geltend gemacht hatte, § 2 Abs. 2 BierStG 1993 i.d.F. des Art. 15 HBeglG 2004 verstoße gegen formelles und materielles Verfassungsrecht, verfolgte sie ihr Begehren zunächst weiter. Unter Annahme der Verfassungswidrigkeit des § 2 Abs. 2 BierStG 1993 in der von der Klägerin beanstandeten Fassung und unter Bezugnahme auf den Beschluss des BVerfG vom 8.12.2009 - 2 BvR 758/07 hat der BFH das Revisionsverfahren ausgesetzt und eine Entscheidung des BVerfG eingeholt.

Mit Beschluss vom 11.12.2018 - 2 BvL 4/11, 2 BvL 5/11, 2 BvL 4/13 hat das BVerfG entschieden, dass § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 BierStG 1993 i.d.F. des Art. 15 HBeglG 2004 mit Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2, Art. 42 Abs. 1 Satz 1 und Art. 76 Abs. 1 GG unvereinbar sind. Zugleich hat es angeordnet, dass die Vorschrift bis zum Inkrafttreten von § 2 Abs. 2 Sätze 1 und 4 BierStG i.d.F. des Art. 4 des Vierten Gesetzes zur Änderung von Verbrauchsteuergesetzen vom 15.7.2009 zum 1.4.2010 anwendbar ist.

Daraufhin hat der BFH das ausgesetzte Verfahren wieder aufgenommen und den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Mit Fax vom 10.4.2019 hat die Klägerin den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Mit Fax vom 30.4.2019 hat das Hauptzollamt der Erledigung zwar zunächst widersprochen, dann aber mit Schriftsatz vom 13.5.2019 mitgeteilt, dass es nun der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache zustimme.

Der BFH hat daraufhin dem Hauptzollamt die Kosten des gesamten Verfahrens auferlegt.

Gründe:
Nachdem die Beteiligten übereinstimmend den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das erstinstanzliche Urteil gegenstandslos. Da die Klägerin nach der Entscheidung des BVerfG einen verfassungswidrigen Rechtszustand für die Vergangenheit hinnehmen musste und ihr insoweit ein Sonderopfer auferlegt wurde, entspricht es billigem Ermessen, dem Hauptzollamt die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Nach BFH-Rechtsprechung muss sich die nach billigem Ermessen zu treffende Kostenentscheidung nicht ausschließlich am Gedanken des materiellen Kostenrechts orientieren, also daran, wer bei einer Entscheidung über die Hauptsache die Kosten zu tragen hätte. Dem Gericht ist vielmehr ein weiter Spielraum eingeräumt, innerhalb dessen eine Ausrichtung am allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden maßgebend ist, wobei auch der Frage Bedeutung zukommt, welcher der Beteiligten Veranlassung zum gerichtlichen Verfahren gegeben hat.

Im vorliegenden Fall würde es dem allgemeinen Gerechtigkeitsempfinden widersprechen, von der Klägerin zu verlangen, einen verfassungswidrigen Biersteuerbetrag zu entrichten, und sie auch noch mit den Kosten des Gerichtsverfahrens zu belasten, obwohl dieses bestätigt hat, dass die verfassungsrechtlichen Zweifel der Klägerin berechtigt waren, sie somit mit ihrer Klage Erfolg gehabt hätte, wenn das BVerfG die Unvereinbarkeit der angegriffenen Vorschrift des BierStG 1993 mit der Verfassung nicht nur für die Zukunft ausgesprochen hätte.

Linkhinweis:
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