Nachträgliche Aufhebung eines Durchsuchungsbeschlusses führt zur Rechtswidrigkeit einer bei der Durchsuchung getätigten Sachpfändung
BFH v. 15.10.2019 - VII R 6/18
Der Sachverhalt:
Die Staatsoberkasse X (u.a.) richtete wegen insgesamt zehn vom Kläger trotz Zahlungsaufforderung und Mahnung nicht beglichener Forderungen i.H.v. insgesamt rd. 1.700 € zwischen April und Oktober 2015 zehn Vollstreckungsersuchen an das Finanzamt. Der Kläger wurde von den Vollziehungsbeamten des Finanzamts wiederholt aufgesucht. Versuchte Forderungspfändungen blieben fruchtlos. Mit Beschluss vom 8.12.2015 erließ das zuständige AG auf Antrag des Finanzamts eine Durchsuchungsanordnung für die Wohnung und die Geschäftsräume des Klägers.
Am 28.1.2016 ließen Vollziehungsbeamte des Finanzamts die Hintertüre zur Garage des Klägers in Gegenwart der Polizei durch einen Schlüsseldienst öffnen. Die leitende Vollziehungsbeamtin pfändete dort einen Pkw durch Anbringung von je einem Pfandzeichen an Heckscheibe und Tür und Wegnahme der Kennzeichen sowie ein gleichfalls in der Garage geparktes Motorrad durch Anbringung eines Pfandzeichens auf dem Tacho. Dabei lag den Beamten der Durchsuchungsbeschluss des AG für die Wohnung und die Geschäftsräume des Klägers unter Auflistung von zehn Vollstreckungsersuchen, aber ohne Nennung der zu vollstreckenden Beträge vor.
Mit einem an den Kläger adressierten Schreiben vom 20.4.2016 ordnete das Finanzamt die Verwertung des gepfändeten Pkw durch Versteigerung ab dem 11.5.2016 an. Außerdem wies es in diesem Schreiben darauf hin, dass die Verwertung nicht weiter betrieben werde, wenn der Kläger die Rückstände i.H.v. ingsesamt rd. 3.800 € bis 4.5.2016 begleiche. Am 26.4.2016 ging beim Finanzamt ein Schreiben des Klägers mit dem Datum 12.4.2016 ein, mit dem er die "entsprechenden Rechtsmittel gegen die vorgenommene Vollstreckung" einlegte. Das Vorbringen wurde von Finanzamt und FG als Einspruch gegen die Sachpfändungen gedeutet. Am 09.5.2016 tilgte der Kläger die vom Finanzamt geltend gemachten Forderungen. Mit Schreiben an den Kläger vom 12.5.2016 hob das Finanzamt die Pfändungen auf. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hob das LG den Durchsuchungsbeschluss des AG auf, weil die beizutreibenden Beträge in der Durchsuchungsanordnung nicht bezeichnet worden seien. Der Einspruch des Klägers gegen die Sachpfändungen wurde daraufhin als unzulässig verworfen.
Das FG gab der Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers lediglich teilweise, hinsichtlich der Anschlusspfändungen an den Fahrzeugen, statt. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil insoweit auf, als festgestellt wurde, dass die Sachpfändung vom 28.1.2016 rechtmäßig war, und stellte nunmehr fest, dass diese Sachpfändung rechtswidrig war.
Die Gründe:
Das FG hat die Klage insoweit zu Unrecht als unbegründet abgewiesen, als es festgestellt hat, dass die Sachpfändung vom 28.1.2016 rechtmäßig war. Die Aufhebung der Durchsuchungsanordnung vom 8.12.2015 mit Beschluss vom 6.6.2016 führt zur Rechtswidrigkeit der durch das Anbringen von Pfandsiegeln (§ 286 Abs. 2 Satz 2 AO) am 28.1.2016 ausgeführten Sachpfändungen.
Eine in unmittelbarer Nähe zur eigentlichen Wohnung gelegene, privat genutzte Garage fällt unter den Begriff der "Wohnung" i.S.d. § 287 Abs. 4 Satz 1 AO. Für die gewaltsame Öffnung und für das Durchsuchen einer derartigen Garage mit dem Ziel, pfändbare Gegenstände aufzufinden, ist eine richterliche Anordnung erforderlich, wenn weder die Einwilligung des Vollstreckungsschuldners noch Gefahr im Verzug vorliegen (§ 287 Abs. 4 AO). Wird der Durchsuchungsbeschluss aufgehoben, wird eine bereits durchgeführte Durchsuchung mit allen dabei vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig.
Es ist dem FG verwehrt, die Entscheidung des LG, mit dem dieses den Durchsuchungsbeschluss aufgehoben hat, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Vielmehr wird aufgrund der bloßen Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses eine bereits durchgeführte Durchsuchung mit allen dabei vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig.
Die Durchsuchungsanordnung ist Grundlage für die Rechtmäßigkeit der in der Wohnung des Vollstreckungsschuldners gegen dessen Willen durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen. Entfällt die Durchsuchungsanordnung, bleiben auf ihrer Grundlage getroffene Maßnahmen zwar wirksam, sind aber im finanzgerichtlichen Verfahren anfechtbar. Dies dient dem Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 GG und sichert die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Andernfalls würde der nach der ZPO vorgesehene Rechtsschutz unterlaufen.
BFH PM Nr. 81 vom 19.12.2019
Die Staatsoberkasse X (u.a.) richtete wegen insgesamt zehn vom Kläger trotz Zahlungsaufforderung und Mahnung nicht beglichener Forderungen i.H.v. insgesamt rd. 1.700 € zwischen April und Oktober 2015 zehn Vollstreckungsersuchen an das Finanzamt. Der Kläger wurde von den Vollziehungsbeamten des Finanzamts wiederholt aufgesucht. Versuchte Forderungspfändungen blieben fruchtlos. Mit Beschluss vom 8.12.2015 erließ das zuständige AG auf Antrag des Finanzamts eine Durchsuchungsanordnung für die Wohnung und die Geschäftsräume des Klägers.
Am 28.1.2016 ließen Vollziehungsbeamte des Finanzamts die Hintertüre zur Garage des Klägers in Gegenwart der Polizei durch einen Schlüsseldienst öffnen. Die leitende Vollziehungsbeamtin pfändete dort einen Pkw durch Anbringung von je einem Pfandzeichen an Heckscheibe und Tür und Wegnahme der Kennzeichen sowie ein gleichfalls in der Garage geparktes Motorrad durch Anbringung eines Pfandzeichens auf dem Tacho. Dabei lag den Beamten der Durchsuchungsbeschluss des AG für die Wohnung und die Geschäftsräume des Klägers unter Auflistung von zehn Vollstreckungsersuchen, aber ohne Nennung der zu vollstreckenden Beträge vor.
Mit einem an den Kläger adressierten Schreiben vom 20.4.2016 ordnete das Finanzamt die Verwertung des gepfändeten Pkw durch Versteigerung ab dem 11.5.2016 an. Außerdem wies es in diesem Schreiben darauf hin, dass die Verwertung nicht weiter betrieben werde, wenn der Kläger die Rückstände i.H.v. ingsesamt rd. 3.800 € bis 4.5.2016 begleiche. Am 26.4.2016 ging beim Finanzamt ein Schreiben des Klägers mit dem Datum 12.4.2016 ein, mit dem er die "entsprechenden Rechtsmittel gegen die vorgenommene Vollstreckung" einlegte. Das Vorbringen wurde von Finanzamt und FG als Einspruch gegen die Sachpfändungen gedeutet. Am 09.5.2016 tilgte der Kläger die vom Finanzamt geltend gemachten Forderungen. Mit Schreiben an den Kläger vom 12.5.2016 hob das Finanzamt die Pfändungen auf. Auf die sofortige Beschwerde des Klägers hob das LG den Durchsuchungsbeschluss des AG auf, weil die beizutreibenden Beträge in der Durchsuchungsanordnung nicht bezeichnet worden seien. Der Einspruch des Klägers gegen die Sachpfändungen wurde daraufhin als unzulässig verworfen.
Das FG gab der Fortsetzungsfeststellungsklage des Klägers lediglich teilweise, hinsichtlich der Anschlusspfändungen an den Fahrzeugen, statt. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil insoweit auf, als festgestellt wurde, dass die Sachpfändung vom 28.1.2016 rechtmäßig war, und stellte nunmehr fest, dass diese Sachpfändung rechtswidrig war.
Die Gründe:
Das FG hat die Klage insoweit zu Unrecht als unbegründet abgewiesen, als es festgestellt hat, dass die Sachpfändung vom 28.1.2016 rechtmäßig war. Die Aufhebung der Durchsuchungsanordnung vom 8.12.2015 mit Beschluss vom 6.6.2016 führt zur Rechtswidrigkeit der durch das Anbringen von Pfandsiegeln (§ 286 Abs. 2 Satz 2 AO) am 28.1.2016 ausgeführten Sachpfändungen.
Eine in unmittelbarer Nähe zur eigentlichen Wohnung gelegene, privat genutzte Garage fällt unter den Begriff der "Wohnung" i.S.d. § 287 Abs. 4 Satz 1 AO. Für die gewaltsame Öffnung und für das Durchsuchen einer derartigen Garage mit dem Ziel, pfändbare Gegenstände aufzufinden, ist eine richterliche Anordnung erforderlich, wenn weder die Einwilligung des Vollstreckungsschuldners noch Gefahr im Verzug vorliegen (§ 287 Abs. 4 AO). Wird der Durchsuchungsbeschluss aufgehoben, wird eine bereits durchgeführte Durchsuchung mit allen dabei vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig.
Es ist dem FG verwehrt, die Entscheidung des LG, mit dem dieses den Durchsuchungsbeschluss aufgehoben hat, auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Vielmehr wird aufgrund der bloßen Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses eine bereits durchgeführte Durchsuchung mit allen dabei vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen rechtswidrig.
Die Durchsuchungsanordnung ist Grundlage für die Rechtmäßigkeit der in der Wohnung des Vollstreckungsschuldners gegen dessen Willen durchgeführten Vollstreckungsmaßnahmen. Entfällt die Durchsuchungsanordnung, bleiben auf ihrer Grundlage getroffene Maßnahmen zwar wirksam, sind aber im finanzgerichtlichen Verfahren anfechtbar. Dies dient dem Schutz der Unverletzlichkeit der Wohnung gem. Art. 13 GG und sichert die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens. Andernfalls würde der nach der ZPO vorgesehene Rechtsschutz unterlaufen.