29.06.2023

Nichtberücksichtigung "finaler" Verluste einer italienischen Betriebsstätte

1. Die qualifizierte Rückfallklausel des Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls zum DBA-Italien 1989, nach der die Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person (nur dann) als aus dem anderen Vertragsstaat stammend gelten, wenn sie im anderen Vertragsstaat in Übereinstimmung mit dem Abkommen effektiv besteuert worden sind, ist auch auf negative Einkünfte anzuwenden. Von einer effektiven Besteuerung durch den anderen Staat ist im Falle von Verlusten jedenfalls dann auszugehen, wenn der andere Staat die Verluste in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht und einen Ausgleich mit positiven Einkünften eines anderen Veranlagungszeitraums ermöglicht. Nicht erforderlich ist hingegen, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt tatsächlich zu einem solchen Ausgleich kommt.
2. Der auf einem DBA (im Streitfall: DBA-Italien 1989) beruhende Ausschluss der Berücksichtigung von Verlusten einer in einem anderen Mitgliedstaat belegenen Betriebsstätte (sog. Symmetriethese) verstößt auch im Hinblick auf endgültige ("finale") Verluste weder gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit noch gegen Art. 20 der Charta der Grundrechte der EU und das verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgebot.

Kurzbesprechung
BFH v. 12.4.2023 - I R 44/22 (I R 49/19, I R 17/16)

DBA ITA 1989 Art. 7 Abs. 1, 1989 Art. 24 Abs. 3 Buchst. a
EG Art. 43, Art. 48
AEUV Art. 49, Art. 54, Art. 267
EUGrdRCh Art. 20
GG Art. 3 Abs. 1
DBAProt ITA 1989 Abschn. 16 Buchst. d, Nr. 16 Buchst. d
GG Art. 59 Abs. 2


Die im Inland ansässige und hier mit ihren sämtlichen Einkünften unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtige Steuerpflichtige erwirtschaftete mit ihrer in Italien belegenen Niederlassung (Betriebsstätte) Einkünfte aus einem Unternehmen i.S.v. Art. 7 Abs. 1 DBA-Italien. Die in der Betriebsstätte im Streitjahr entstandenen Verluste der Steuerpflichtigen sind gem. Art. 7 Abs. 1 i.V.m. Art. 24 Abs. 3 Buchst. a DBA-Italien von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer ausgenommen.

Der BFH entschied, dass die Freistellung der negativen Einkünfte im Streitfall nicht durch Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls zum DBA-Italien 1989 vom 18.10.1989 (Protokoll) gehindert wird. Nach dieser Regelung gelten für die Zwecke des Art. 24 Abs. 3 Buchst. a DBA-Italien die Einkünfte einer in einem Vertragsstaat ansässigen Person (nur dann) als aus dem anderen Vertragsstaat stammend, wenn sie im anderen Vertragsstaat in Übereinstimmung mit dem Abkommen "effektiv besteuert worden sind".

Der BFH teilt nicht die im Streitfall von der Steuerpflichtigen vertretene Auffassung, das Erfordernis eines tatsächlichen Ausgleichs des Verlusts mit positiven Einkünften sei im Falle des Abschn. 16 Buchst. d des Protokolls aus der Verwendung des Adjektivs "effektiv" abzuleiten, welches über den in anderen qualifizierten Rückfallklauseln verwendeten Begriff der fehlenden "tatsächlichen" Besteuerung durch den anderen Staat hinausgehe. Vielmehr macht es für den BFH für die Reichweite der qualifizierten Rückfallklauseln keinen Unterschied, ob nach deren Wortlaut die Einkünfte "nicht besteuert" oder "effektiv nicht besteuert" werden.

Dass der im Streitjahr entstandene Verlust der italienischen Zweigniederlassung von der Verlustberücksichtigung bei der Körperschaftsteuer ausgeschlossen ist, obgleich er infolge der Schließung der Zweigniederlassung in Italien dort endgültig nicht nutzbar ("final") geworden ist, verstößt nach Auffassung des BFH nicht gegen die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit. Auch liegt im Hinblick auf eine Ungleichbehandlung inländischer und ausländischer Betriebsstättenverluste unbeschränkt Steuerpflichtiger kein Verstoß gegen Art. 20 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18.10.2000 (ABlEG 2000, Nr. C 364, 1) ‑ EUGrdRCh ‑ vor.

Der BFH hält den auf der abkommensrechtlichen Symmetriethese beruhenden Ausschluss des Abzugs ‑ ggf. auch "finaler" ‑ ausländischer Betriebsstättenverluste auch für vereinbar mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen für die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht waren im Streitfall daher nicht erfüllt.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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