Nichtigkeit eines Haftungsbescheides nach rechtskräftig beschlossenem Insolvenzplan
FG Köln v. 26.6.2019 - 1 K 2623/15
Der Sachverhalt:
Die Klägerin firmierte seit 2002 als AG und firmiert seit einer formwechselnden Umwandlung im Jahr 2018 unter GmbH. Im November 2013 war über das Vermögen der Klägerin auf deren Antrag hin das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit dem Finanzamt stritt sie später über die Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Haftungs- und Nachforderungsbescheides über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.
Die Klägerin war der Ansicht, die Nichtigkeit bzw. auch die Rechtswidrigkeit des streitigen Bescheides folge aus § 251 Abs. 2 AO i.V.m. § 57 InsO aus dem dort vorgeschriebenen Vorrang des Insolvenzrechts vor dem Abgabenrecht. Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan sei in Bezug auf die vorinsolvenzrechtlichen Forderungen sämtlicher Gläubiger auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die allein maßgebliche Grundlage für die gesamte Vermögens- und Haftungsabwicklung. Aufgrund der urteilsgleichen Wirkungen und gem. § 254b InsO gelte er auch für alle Gläubiger, die ihre Forderung nicht rechtzeitig angemeldet hätten (sog. Nachzügler). Daher habe für das Finanzamt keine Befugnis dazu mehr bestanden, Insolvenzforderungen durch Steuerbescheid festzusetzen.
Gegen die Annahme einer Festsetzungsbefugnis spreche auch, dass es dem Fiskus im Unterschied zum Insolvenzgericht gar nicht möglich sei, eine hypothetische Planquote zu ermitteln. Käme auch für Nachzügler die Planquote in Betracht, könnte diese durch Nichtanmeldung missbräuchlich in die Höhe getrieben werden. Offen sei, ob zur Ermittlung der hypothetischen Quote eine finanzgerichtliche Zuständigkeit oder eine solche der ordentlichen Gerichte in Betracht komme. Angesichts der Notwendigkeit der konkreten Quotenermittlung sei eine Einschaltung des Insolvenzgerichts unerlässlich. Letztlich habe das Finanzamt auch noch die einmonatige Ausschlussfrist des Insolvenzplans missachtet.
Das Finanzamt war hingegen der Auffassung, Der Bescheid habe wirksam an die Klägerin bekannt gegeben werden können, da das Steuerfestsetzungsverfahren nur für die Dauer des Insolvenzverfahrens unterbrochen gewesen sei. Eine Verpflichtung zur formlosen Berechnung von Steuerforderungen und zur Erhebung von Klagen vor den ordentlichen Gerichten bestehe daher nicht. Der vollumfänglichen Festsetzung der Ansprüche stehe auch der Insolvenzplan mit seinen Rechtswirkungen nicht entgegen, da die dort erfassten Forderungen nicht erlöschen, sondern zu unvollkommenen Forderungen würden.
Das FG gab der gegen den Haftungs- und Nachforderungsbescheid gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Die besonderen Umstände des Streitfalls führten dazu, dass das Finanzamt die angefochtenen Bescheide ausnahmsweise trotz rechtskräftiger Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht hatte erlassen dürfen. Dies folgt aus der Präklusionswirkung der im Insolvenzplan festgelegten und vom Insolvenzgericht rechtskräftig bestätigten Ausschlussfrist für Nachzügler. Die Fristen im Abs. 2 der Präklusionsklausel hatte das Finanzamt nicht ohne Verschulden verstreichen lassen.
Zwar ist die Präklusionsklausel wegen ihres Charakters als materieller, nämlich nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinngehalt anspruchsvernichtender Ausschlussklausel materiellrechtlich nichtig. So hat der BGH ausgeführt, in einem Insolvenzplan gewillkürte Präklusionsvorschriften mit ausschließender Wirkung verstießen gegen den Grundsatz gleicher Beteiligungsrechte aller Gläubigergruppen; jedenfalls nach Einführung der §§ 258a f InsO fehle es zudem für den dadurch bewirkten erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht des Gläubigers an einer ausdrücklichen, dazu legitimierenden gesetzlichen Grundlage (BGH-Beschl. V. 7.5.2015, IX ZB 75/14).
Dennoch war im vorliegenden Fall wegen der rechtskräftigen Bestätigung des gesamten Insolvenzplans auch die materielle Präklusionsklausel als rechtswirksam anzusehen. Der Beschluss des Insolvenzgerichts konnte nicht als nichtig und damit rechtsunwirksam angesehen werden. Denn nach § 254 Abs. 1 InsO traten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen des Insolvenzplans für und gegen alle Beteiligten mit der Rechtskraft der Bestätigung des Plans durch das Insolvenzgericht ein. Gem. § 254b InsO gilt der § 254 InsO auch für Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben, also für die sog. echten Nachzügler, wie hier dem Finanzamt.
Die Nichtigkeit einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung kann nur in Ausnahmefällen angenommen werden, so in den gesetzlich angeordneten Fällen der Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO, von denen hier vorliegend offensichtlich keiner einschlägig ist. Darüber hinaus konnte eine Nichtigkeit des Beschlusses des Insolvenzgerichts auch nicht unter dem Gesichtspunkt gefolgert werden, dass sich dieser Beschluss als "greifbar gesetzeswidrig" erweisen würde. Eine derartige Prüfung sieht der BFH in den Fällen der - gem. § 6 Abs. 4 S. 1 FGO unanfechtbaren - Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter für statthaft an. Die Voraussetzung der greifbaren Gesetzeswidrigkeit liegt aber nur dann vor, wenn der Übertragungsbeschluss mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist.
FG Köln online
Die Klägerin firmierte seit 2002 als AG und firmiert seit einer formwechselnden Umwandlung im Jahr 2018 unter GmbH. Im November 2013 war über das Vermögen der Klägerin auf deren Antrag hin das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit dem Finanzamt stritt sie später über die Nichtigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Haftungs- und Nachforderungsbescheides über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer.
Die Klägerin war der Ansicht, die Nichtigkeit bzw. auch die Rechtswidrigkeit des streitigen Bescheides folge aus § 251 Abs. 2 AO i.V.m. § 57 InsO aus dem dort vorgeschriebenen Vorrang des Insolvenzrechts vor dem Abgabenrecht. Der rechtskräftig bestätigte Insolvenzplan sei in Bezug auf die vorinsolvenzrechtlichen Forderungen sämtlicher Gläubiger auch nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens die allein maßgebliche Grundlage für die gesamte Vermögens- und Haftungsabwicklung. Aufgrund der urteilsgleichen Wirkungen und gem. § 254b InsO gelte er auch für alle Gläubiger, die ihre Forderung nicht rechtzeitig angemeldet hätten (sog. Nachzügler). Daher habe für das Finanzamt keine Befugnis dazu mehr bestanden, Insolvenzforderungen durch Steuerbescheid festzusetzen.
Gegen die Annahme einer Festsetzungsbefugnis spreche auch, dass es dem Fiskus im Unterschied zum Insolvenzgericht gar nicht möglich sei, eine hypothetische Planquote zu ermitteln. Käme auch für Nachzügler die Planquote in Betracht, könnte diese durch Nichtanmeldung missbräuchlich in die Höhe getrieben werden. Offen sei, ob zur Ermittlung der hypothetischen Quote eine finanzgerichtliche Zuständigkeit oder eine solche der ordentlichen Gerichte in Betracht komme. Angesichts der Notwendigkeit der konkreten Quotenermittlung sei eine Einschaltung des Insolvenzgerichts unerlässlich. Letztlich habe das Finanzamt auch noch die einmonatige Ausschlussfrist des Insolvenzplans missachtet.
Das Finanzamt war hingegen der Auffassung, Der Bescheid habe wirksam an die Klägerin bekannt gegeben werden können, da das Steuerfestsetzungsverfahren nur für die Dauer des Insolvenzverfahrens unterbrochen gewesen sei. Eine Verpflichtung zur formlosen Berechnung von Steuerforderungen und zur Erhebung von Klagen vor den ordentlichen Gerichten bestehe daher nicht. Der vollumfänglichen Festsetzung der Ansprüche stehe auch der Insolvenzplan mit seinen Rechtswirkungen nicht entgegen, da die dort erfassten Forderungen nicht erlöschen, sondern zu unvollkommenen Forderungen würden.
Das FG gab der gegen den Haftungs- und Nachforderungsbescheid gerichteten Klage statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der zu entscheidenden Rechtsfragen die Revision zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Die besonderen Umstände des Streitfalls führten dazu, dass das Finanzamt die angefochtenen Bescheide ausnahmsweise trotz rechtskräftiger Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht hatte erlassen dürfen. Dies folgt aus der Präklusionswirkung der im Insolvenzplan festgelegten und vom Insolvenzgericht rechtskräftig bestätigten Ausschlussfrist für Nachzügler. Die Fristen im Abs. 2 der Präklusionsklausel hatte das Finanzamt nicht ohne Verschulden verstreichen lassen.
Zwar ist die Präklusionsklausel wegen ihres Charakters als materieller, nämlich nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinngehalt anspruchsvernichtender Ausschlussklausel materiellrechtlich nichtig. So hat der BGH ausgeführt, in einem Insolvenzplan gewillkürte Präklusionsvorschriften mit ausschließender Wirkung verstießen gegen den Grundsatz gleicher Beteiligungsrechte aller Gläubigergruppen; jedenfalls nach Einführung der §§ 258a f InsO fehle es zudem für den dadurch bewirkten erheblichen Eingriff in das Eigentumsrecht des Gläubigers an einer ausdrücklichen, dazu legitimierenden gesetzlichen Grundlage (BGH-Beschl. V. 7.5.2015, IX ZB 75/14).
Dennoch war im vorliegenden Fall wegen der rechtskräftigen Bestätigung des gesamten Insolvenzplans auch die materielle Präklusionsklausel als rechtswirksam anzusehen. Der Beschluss des Insolvenzgerichts konnte nicht als nichtig und damit rechtsunwirksam angesehen werden. Denn nach § 254 Abs. 1 InsO traten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen des Insolvenzplans für und gegen alle Beteiligten mit der Rechtskraft der Bestätigung des Plans durch das Insolvenzgericht ein. Gem. § 254b InsO gilt der § 254 InsO auch für Insolvenzgläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben, also für die sog. echten Nachzügler, wie hier dem Finanzamt.
Die Nichtigkeit einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung kann nur in Ausnahmefällen angenommen werden, so in den gesetzlich angeordneten Fällen der Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO, von denen hier vorliegend offensichtlich keiner einschlägig ist. Darüber hinaus konnte eine Nichtigkeit des Beschlusses des Insolvenzgerichts auch nicht unter dem Gesichtspunkt gefolgert werden, dass sich dieser Beschluss als "greifbar gesetzeswidrig" erweisen würde. Eine derartige Prüfung sieht der BFH in den Fällen der - gem. § 6 Abs. 4 S. 1 FGO unanfechtbaren - Übertragung eines Rechtsstreits auf den Einzelrichter für statthaft an. Die Voraussetzung der greifbaren Gesetzeswidrigkeit liegt aber nur dann vor, wenn der Übertragungsbeschluss mit der geltenden Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist, weil sie jeder Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist.