Niedersächsisches FG hält Solidaritätszuschlag weiterhin für verfassungswidrig
Niedersächsisches FG 21.8.2013, 7 K 143/08Streitig ist, ob die Festsetzung des Solidaritätszuschlags für das Jahr 2007 auf einer verfassungsmäßigen Grundlage, nämlich dem SolZG, erfolgt ist. Das Finanzamt setzte mit Bescheid über Einkommensteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag von Juli 2008 den Solidaritätszuschlag für 2007 gegenüber dem Kläger auf rd. 940 € fest (5,5 Prozent von der festzusetzenden Einkommensteuer). Gegen diesen Bescheid wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Nach seiner Ansicht darf der Solidaritätszuschlag, weil er eine Ergänzungsabgabe ist, nur ausnahmsweise und nicht auf Dauer erhoben werden.
Das FG hatte in demselben Klageverfahren bereits mit Beschluss vom 25.11.2009 dem BVerfG die Rechtsfrage vorgelegt, ob das SolZG gegen die Finanzverfassung und damit gegen das allgemeine Freiheitsrecht des Steuerpflichtigen (Art. 2 Abs. 1 GG) verstößt. Das BVerfG erklärte diese Vorlage mit Beschluss vom 8.9.2010 (2 BvL 3/10) für unzulässig, weil sie die Bindungswirkung einer Senatsentscheidung des BVerfG aus dem Jahre 1972 zu einer anderen Ergänzungsabgabe nicht hinreichend beachtet habe, so dass bislang noch keine inhaltliche verfassungsrechtliche Überprüfung des SolZG durch einen kompletten Senat des BVerfG vorliegt.
Das FG ist von der Verfassungswidrigkeit des SolZG auch aufgrund neuer Argumente weiterhin überzeugt und hielt deshalb eine weitere Vorlage an das BVerfG für geboten. Die neuen Argumente beziehen sich auf Art. 3 Abs. 1 GG, also auf das verfassungsrechtliche Gebot, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich zu behandeln sind. Nach Auffassung des FG ist der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt.
Die Gründe:
Die Regelung der Bemessungsgrundlage des Solidaritätszuschlags verstößt gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Inländische und ausländische Einkünfte sowie inländische Einkünfte untereinander (gewerbliche und nichtgewerbliche) werden ungleich behandelt. So werden gewerbliche und ausländische Einkünfte durch bestimmte Reduzierungen der Bemessungsgrundlagen von dem Solidaritätszuschlag teilweise entlastet (dazu §§ 35, 34c EStG und § 26 KStG). Für diese Ungleichbehandlungen fehlen hinreichend tragfähige Rechtfertigungsgründe. Eine Begünstigung der gewerblichen Einkünfte bei der Erhebung des Solidaritätszuschlags gegenüber nichtgewerblichen Einkünften war vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt; ausweislich der Gesetzesbegründung soll die Belastung aller Steuerpflichtigen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit erfolgen. Auf die Feststellungen des Bundesrechnungshofs hat das BMF eingeräumt, dass ausländische Einkünfte derzeit nur eingeschränkt in die Berechnung des Solidaritätszuschlags einbezogen werden.
Nach den Rechtsgrundsätzen des BVerfG zur Rechtsstaatlichkeit des Besteuerungseingriffs des Staates gegenüber dem Bürger als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung i.S.d. Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG und unter Beachtung der Motive des Verfassungsgebers kann überdies nicht begründet werden, dass der Solidaritätszuschlag nach dem SolZG 1995 noch eine zulässige Ergänzungsabgabe i.S.d. Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG ist, mit der der Kläger auch im Streitjahr 2007 noch belastet werden darf. Die Gesetzgebungs- bzw. die Gesetzfortführungskompetenz für den Solidaritätszuschlag sind im Streitjahr 2007 entfallen. Das SolZG 1995 verletzt im Streitjahr 2007 die Finanzverfassung und damit die verfassungsmäßige Ordnung i.S.d. Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG und verstößt mithin gegen das allgemeine Freiheitsrecht des Steuerpflichtigen und gegen das Rechtsstaatsprinzip. Der Gesetzgeber hat sich nicht an die vom Verfassungsgeber gesetzten Regeln der Finanzverfassung gehalten.
Der Solidaritätszuschlag darf als Ergänzungsabgabe allein zur Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen im Bundeshaushalt erhoben werden, weil sich die Ergänzungsabgabe im Vergleich zu den sonstigen Steuern, die in der Finanzverfassung aufgezählt sind, wie die seltene Ausnahme zur Regel verhält. Zwar muss eine Ergänzungsabgabe nicht von vornherein befristet erhoben werden, jedoch verbietet der Ausnahmecharakter der Ergänzungsabgabe eine dauerhafte, eine immerwährende Erhebung dieser Steuer. Dies ergibt sich aus den Gesetzesmaterialien zur Einführung des Finanzierungsinstruments der Ergänzungsabgabe in das Grundgesetz im Jahre 1955. Die Fortführung des Solidaritätszuschlags widerspricht auch deshalb den erkennbaren Vorstellungen des Verfassungsgebers, weil es in den letzten Jahren immer wieder umfassende und auf Dauer angelegte allgemeine und punktuelle Steuerermäßigungen gab, obwohl der Solidaritätszuschlag weitgehend unverändert erhoben worden ist. Der Bundesrat hat es im Jahr 1954 ausdrücklich als nicht vertretbar erachtet, das Zuschlagsrecht (Ergänzungsabgabe) im Zusammenhang mit einer Steuertarifsenkung auszuüben und dadurch die steuerliche Entlastung zum Teil wieder aufzuheben.
Der Annahme einer Bindungswirkung für das vorlegende FG gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG steht die Unterschiedlichkeit der Vorlagegegenstände zwischen dem des vorliegenden Vorlagebeschlusses und dem der Entscheidung des BVerfG vom 9.2.1972 (1 BvL 16/69) sowie die Divergenz zwischen den jeweiligen verfassungsrechtlichen Maßstäben entgegen. Soweit mit dem vorliegenden Beschluss eine Verletzung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG durch die Bestimmung der Bemessungsgrundlage nach § 3 SolZG geltend gemacht wird, ist überdies der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG eine Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht zu entnehmen, da eine verfassungsgerichtliche Entscheidung über die Vereinbarkeit des § 3 SolZG (einschließlich vergleichbarer Vorgängervorschriften früherer Ergänzungsabgaben) mit Art. 3 Abs. 1 GG bislang nicht getroffen worden ist.
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