16.03.2011

Rechtsprechungsänderung: Insolvenzverwalter mit qualifizierten Mitarbeitern sind nicht zwangsläufig gewerbesteuerpflichtig

Insolvenzverwalter werden nicht automatisch gewerbesteuerpflichtig, wenn sie mehrere qualifizierte Mitarbeiter beschäftigen. Damit gab der BFH die vom Reichsfinanzhof entwickelte sog. Vervielfältigungstheorie auf, nach der der Einsatz qualifizierter Mitarbeiter dem "Wesen des freien Berufs" widersprach und deshalb zur Annahme einer gewerblichen Tätigkeit und zur Gewerbesteuerpflicht führte.

BFH 15.12.2010, VIII R 50/09
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine GbR. Ihre zwei Gesellschafter sind als Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter, Rechtsanwalt und Notar tätig. Sie erzielten in den Streitjahren 1998 bis 2002 überwiegend Einnahmen aus Insolvenzverwaltung und Zwangsverwaltung von Liegenschaften. Hierfür hatten die Gesellschafter verschiedene qualifizierte Mitarbeiter eingesetzt.  Die Einnahmen aus Rechtsanwaltstätigkeiten stammten zumeist aus Prozessen, die im Rahmen der Insolvenzverfahren zu führen waren.

Die Klägerin rechnete ihre Tätigkeit zur Berufstätigkeit eines Rechtsanwalts und damit zur freiberuflichen Tätigkeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Das Finanzamt ordnete die Einkünfte allerdings als Einkünfte aus Gewerbebetrieb ein und setzte Gewerbesteuermessbeträge fest: Die Tätigkeit als Insolvenzverwalter führe grundsätzlich zwar zu Einkünften aus sonstiger selbständiger Arbeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Würden dabei aber qualifizierte Mitarbeiter eingesetzt, handele es sich um gewerbliche Einkünfte, die die Gewerbesteuerpflicht auslösten.

Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.

Die Gründe:
Die Einkünfte der Klägerin aus Insolvenzverwaltertätigkeit waren als solche aus sonstiger selbständiger Arbeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht gewerbesteuerpflichtig.

Zwar stellt die Tätigkeit eines Insolvenz-, Zwangs- und Vergleichsverwalters auch weiterhin eine vermögensverwaltende Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und keine freiberufliche Tätigkeit i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar. Die vom Reichsfinanzhof entwickelte sog. Vervielfältigungstheorie, nach der der Einsatz qualifizierter Mitarbeiter dem "Wesen des freien Berufs" widersprach und deshalb zur Annahme einer gewerblichen Tätigkeit und zur Gewerbesteuerpflicht führte, war allerdings aufzugeben.

Der Gesetzgeber hatte sich davon bereits 1960 gelöst und in § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG geregelt, dass eine freiberufliche Tätigkeit auch dann gegeben ist, wenn ein Freiberufler fachlich vorgebildete Arbeitskräfte einsetzt, sofern er aufgrund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig bleibt. Für Einkünfte aus sonstiger selbständiger Arbeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG hatte die bisherige Rechtsprechung hingegen an der Vervielfältigungstheorie festgehalten, so dass derartige Tätigkeiten - wie die Insolvenzverwaltung - grundsätzlich ohne die Mithilfe fachlich vorgebildeter Hilfskräfte ausgeübt werden mussten, um die Gewerbesteuerpflicht zu vermeiden.

In diesem Punkt hat der BFH nun seine Rechtsprechung geändert: Die Regelung für freie Berufe in § 18 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG, nach der der Einsatz qualifizierten Personals grundsätzlich zulässig ist, gilt für die sonstige selbständige Arbeit i.S.v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG entsprechend. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Zulässigkeit des Einsatzes fachlich vorgebildeter Mitarbeiter für die verschiedenen Arten von selbständiger Arbeit unterschiedlich beurteilt sehen will. Für eine solche Ungleichbehandlung ist auch kein nach Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG sachlich begründetes Unterscheidungsmerkmal ersichtlich.

Somit ist ein Insolvenz- oder Zwangsverwalter, der qualifiziertes Personal einsetzt, nicht gewerbesteuerpflichtig, wenn er über das "Ob" der im Insolvenzverfahren erforderlichen Einzelakte (z.B. Entlassung von Arbeitnehmern, Verwertung der Masse) persönlich entschieden hat. Auch zentrale Aufgaben des Insolvenzverfahrens hat er im Wesentlichen selbst wahrzunehmen, wie z.B. die Erstellung der gesetzlich vorgeschriebenen Berichte, des Insolvenzplans und der Schlussrechnung. Die kaufmännisch-technische Umsetzung seiner Entscheidungen kann er indes auf Dritte übertragen.

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BFH PM Nr. 20 vom 16.3.2011
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