Rechtsprechungsänderung: Schwimmunterricht ist umsatzsteuerpflichtig
Kurzbesprechung
BFH v. 16.12.2021 ‑ V R 31/21 (V R 32/18)
UStG § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb, § 4 Nr. 22 Buchst. a; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j
Strittig ist die Steuerbefreiung von Schwimmkursen einer Schwimmschule. Die Stpfl. (Klägerin und Revisionsbeklagte), eine von X und Y gegründete GbR, betreibt eine Schwimmschule in der sie im Wesentlichen Kurse für Kinder durchführt, die von den Kursteilnehmern oder deren Eltern vergütet wurden. Die Stpfl. sah ihre Leistungen als steuerfrei an. Das zuständige FA (Beklagter und Revisionskläger) ging davon aus, dass die Leistungen der Stpfl. nach nationalem Recht weder nach § 4 Nr. 21 noch nach § 4 Nr. 22 UStG steuerfrei seien. Gegen entsprechende Umsatzsteuerbescheide des FA hatte die Klage der Stpfl. vor dem FG Erfolg. Nach Auffassung des FG sind die Leistungen der Stpfl. zwar nicht nach nationalem Recht, aber nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL in der Auslegung durch den EuGH und des BFH steuerfrei. Bei der Vermittlung grundlegender Schwimmtechniken habe es sich um Schulunterricht gehandelt. Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, mit der es geltend macht, die Leistungen der Stpfl. seien auch nach dem Unionsrecht nicht steuerfrei, da die Klägerin keine Privatlehrerin sei.
Auf die dem EuGH durch den BFH vorgelegten Rechtsfragen u.a. zum Begriff und Umfang des "Schul- und Hochschulunterrichts" und der möglichen Erfassung von Schwimmunterricht darunter, antwortete der EuGH durch Urteil in der Rechtssache Dubrovin & Tröger Aquatics vom 21.10.2021 - C-373/19, EU:C:2021:873, UR 2021, 860: "Der Begriff 'Schul- und Hochschulunterricht' im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst."
Mit dem Nachfolgeurteil entschied der BFH nun: die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die Klägerin eine unionsrechtlich abgeleitete Steuerfreiheit für sich in Anspruch nehmen kann. Die Umsätze der Klägerin sind nicht nach nationalem Recht steuerfrei.
Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Senats kann sich die Klägerin nicht auf eine unionsrechtlich abgeleitete Steuerfreiheit berufen. Der EuGH hat nunmehr entschieden, dass der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst. Der EuGH begründet dies in Rz. 31 seines Urteils damit, dass der Schwimmunterricht ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht ist, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.
Damit steht für den Streitfall fest, dass Schwimmunterricht nicht unter die unionsrechtlich zu gewährende Steuerfreiheit fällt. Entgegen dem Vorlagebeschluss des Senats in BFHE 264, 95, BStBl II 2019, 457, Rz. 17 ist die Tatsache, dass der Schwimmunterricht zur Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit dient, über die jeder Mensch insbesondere zur Bewältigung von Notsituationen beim Kontakt mit Gewässern verfügen sollte, aus Sicht des EuGH unbeachtlich. Aufgrund der sich aus dem EuGH-Urteil ergebenden Bindungswirkung hat der Senat nicht zu entscheiden, ob diese Auslegung zu einer der "Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten" (vgl. die Überschrift zu Titel IX Kapitel 2 der MwStSystRL) als sachlich zutreffend zu erachten ist. Der Senat hält daher an seiner bisherigen Rechtsprechung (Senatsurteil in BFHE 245, 433) nicht fest (Änderung der Rechtsprechung).
Der EuGH setzt mit seinem Urteil C-373/19 in der Rs. Dubrovin & Tröger Aquatics seinen seit 2019 eingeschlagenen, restriktiven Kurs bei der Beurteilung der Steuerbefreiung von Bildungsleistungen fort (vgl. dazu EuGH v. 14.3.2019 - C-449/17 - A&G Fahrschul-Akademie GmbH, UR 2019, 294). Zur Rs. Dubrovin & Tröger Aquatics, C-373 vgl. auch den Beitrag von Monfort, Steuerbefreiung von Bildungsleistungen - immer schlechtere Aussichten, UStB 2022, 26 sowie UR 2021, 860 m. Anmerkung Küffner. Zur Gesamtthematik vgl. auch Wiesch in Weitemeyer/Schauhoff/Achatz, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Kapitel 15, Rz. 15.1. ff.; Monfort in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 4 Nr. 21 UStG (Kap. 5 G) sowie Alvermann/Esteves Gomes in Wäger, UStG, 2. Aufl. 2022, § 4 Nr. 21 UStG Rz. 29 ff.
Verlag Dr. Otto Schmidt
UStG § 4 Nr. 21 Buchst. a Doppelbuchst. bb, § 4 Nr. 22 Buchst. a; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j
Strittig ist die Steuerbefreiung von Schwimmkursen einer Schwimmschule. Die Stpfl. (Klägerin und Revisionsbeklagte), eine von X und Y gegründete GbR, betreibt eine Schwimmschule in der sie im Wesentlichen Kurse für Kinder durchführt, die von den Kursteilnehmern oder deren Eltern vergütet wurden. Die Stpfl. sah ihre Leistungen als steuerfrei an. Das zuständige FA (Beklagter und Revisionskläger) ging davon aus, dass die Leistungen der Stpfl. nach nationalem Recht weder nach § 4 Nr. 21 noch nach § 4 Nr. 22 UStG steuerfrei seien. Gegen entsprechende Umsatzsteuerbescheide des FA hatte die Klage der Stpfl. vor dem FG Erfolg. Nach Auffassung des FG sind die Leistungen der Stpfl. zwar nicht nach nationalem Recht, aber nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MwStSystRL in der Auslegung durch den EuGH und des BFH steuerfrei. Bei der Vermittlung grundlegender Schwimmtechniken habe es sich um Schulunterricht gehandelt. Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision, mit der es geltend macht, die Leistungen der Stpfl. seien auch nach dem Unionsrecht nicht steuerfrei, da die Klägerin keine Privatlehrerin sei.
Auf die dem EuGH durch den BFH vorgelegten Rechtsfragen u.a. zum Begriff und Umfang des "Schul- und Hochschulunterrichts" und der möglichen Erfassung von Schwimmunterricht darunter, antwortete der EuGH durch Urteil in der Rechtssache Dubrovin & Tröger Aquatics vom 21.10.2021 - C-373/19, EU:C:2021:873, UR 2021, 860: "Der Begriff 'Schul- und Hochschulunterricht' im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass er nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst."
Mit dem Nachfolgeurteil entschied der BFH nun: die Revision des FA ist begründet. Das Urteil des FG ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die Klägerin eine unionsrechtlich abgeleitete Steuerfreiheit für sich in Anspruch nehmen kann. Die Umsätze der Klägerin sind nicht nach nationalem Recht steuerfrei.
Entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Senats kann sich die Klägerin nicht auf eine unionsrechtlich abgeleitete Steuerfreiheit berufen. Der EuGH hat nunmehr entschieden, dass der Begriff "Schul- und Hochschulunterricht" i.S. von Art. 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL nicht den von einer Schwimmschule erteilten Schwimmunterricht umfasst. Der EuGH begründet dies in Rz. 31 seines Urteils damit, dass der Schwimmunterricht ein spezialisierter, punktuell erteilter Unterricht ist, der für sich allein nicht der für den Schul- und Hochschulunterricht kennzeichnenden Vermittlung, Vertiefung und Entwicklung von Kenntnissen und Fähigkeiten in Bezug auf ein breites und vielfältiges Spektrum von Stoffen gleichkommt.
Damit steht für den Streitfall fest, dass Schwimmunterricht nicht unter die unionsrechtlich zu gewährende Steuerfreiheit fällt. Entgegen dem Vorlagebeschluss des Senats in BFHE 264, 95, BStBl II 2019, 457, Rz. 17 ist die Tatsache, dass der Schwimmunterricht zur Erlernung einer elementaren Grundfähigkeit dient, über die jeder Mensch insbesondere zur Bewältigung von Notsituationen beim Kontakt mit Gewässern verfügen sollte, aus Sicht des EuGH unbeachtlich. Aufgrund der sich aus dem EuGH-Urteil ergebenden Bindungswirkung hat der Senat nicht zu entscheiden, ob diese Auslegung zu einer der "Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten" (vgl. die Überschrift zu Titel IX Kapitel 2 der MwStSystRL) als sachlich zutreffend zu erachten ist. Der Senat hält daher an seiner bisherigen Rechtsprechung (Senatsurteil in BFHE 245, 433) nicht fest (Änderung der Rechtsprechung).
Der EuGH setzt mit seinem Urteil C-373/19 in der Rs. Dubrovin & Tröger Aquatics seinen seit 2019 eingeschlagenen, restriktiven Kurs bei der Beurteilung der Steuerbefreiung von Bildungsleistungen fort (vgl. dazu EuGH v. 14.3.2019 - C-449/17 - A&G Fahrschul-Akademie GmbH, UR 2019, 294). Zur Rs. Dubrovin & Tröger Aquatics, C-373 vgl. auch den Beitrag von Monfort, Steuerbefreiung von Bildungsleistungen - immer schlechtere Aussichten, UStB 2022, 26 sowie UR 2021, 860 m. Anmerkung Küffner. Zur Gesamtthematik vgl. auch Wiesch in Weitemeyer/Schauhoff/Achatz, Umsatzsteuerrecht für den Nonprofitsektor, Kapitel 15, Rz. 15.1. ff.; Monfort in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 4 Nr. 21 UStG (Kap. 5 G) sowie Alvermann/Esteves Gomes in Wäger, UStG, 2. Aufl. 2022, § 4 Nr. 21 UStG Rz. 29 ff.