Rückgängigmachung eines Erwerbsvorgangs bei einer Kapitalgesellschaft
Kurzbesprechung
BFH v. 25.4.2023 - II R 38/20
GrEStG § 16 Abs 1 Nr. 1
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird.
"Rückgängig gemacht" ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt.
Wird im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Grundstück dieses weiterveräußert, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben war.
Die tatsächliche und vollständige Rückgängigmachung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG setzt grundsätzlich die Löschung einer zugunsten des Ersterwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung voraus. Die Auflassungsvormerkung beeinträchtigt die Verkehrsfähigkeit eines Grundstücks unabhängig vom Fortbestand des zivilrechtlichen Übereignungsanspruchs. Die Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit entfällt erst dann, wenn der Erwerber des Grundstücks dem Veräußerer eine Löschungsbewilligung in grundbuchrechtlich gebotener Form erteilt hat und der Veräußerer im Verhältnis zum Erwerber darüber frei und ohne Einflussnahme seitens des Erwerbers verfügen kann. Bis dahin geht von der eingetragenen Auflassungsvormerkung ein Rechtsschein aus, der dem Erwerber ermöglicht, auf die Weiterveräußerung Einfluss zu nehmen.
Ist die Löschungsbewilligung nach § 19 der Grundbuchordnung (GBO) zwar erteilt, der Antrag auf Löschung nach § 13 GBO jedoch ‑ wie im Rechtsverkehr üblich ‑ schuldrechtlich noch von der Rückzahlung des ursprünglich gezahlten Kaufpreises abhängig, kann der ursprüngliche Veräußerer im Verhältnis zum Erwerber noch nicht frei über das Grundstück verfügen. Üblicherweise wird dies im Rechtsverkehr dadurch bewirkt, dass der Notar von beiden Vertragsparteien beauftragt wird, die Löschungsbewilligung für die Auflassungsvormerkung dem Grundbuchamt erst dann vorzulegen, wenn der Kaufpreis zurückgezahlt wurde. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Veräußerer das nach Erteilung der Löschungsbewilligung für die Auflassungsvormerkung unrichtige Grundbuch unter Missachtung dieser schuldrechtlichen Absprache berichtigen lassen könnte. Solange er dazu im Innenverhältnis nicht berechtigt ist und die Auflassungsvormerkung auch tatsächlich nicht löschen lässt, hat er seine ursprüngliche Rechtsposition noch nicht wiedererlangt.
Umgekehrt kann der Erwerber, solange die Auflassungsvormerkung im Innenverhältnis schuldrechtlich zu Recht besteht und noch eingetragen ist, weiter Einfluss auf die Weiterveräußerung nehmen.
Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist allerdings nur dann ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber nach der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs die verbliebene Rechtsposition oder den Anschein der Rechtsposition auch in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat. Übt der Ersterwerber bei der erneuten Veräußerung eine ihm aus dem Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition oder deren Anschein tatsächlich nicht aus oder handelt der Ersterwerber insoweit im ausschließlichen Interesse eines Dritten, steht dies einer Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht entgegen.
Handelt der Ersterwerber dagegen zumindest auch im eigenen Interesse, sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt. Eine Kapitalgesellschaft als Ersterwerberin muss sich dabei die Interessen der für sie handelnden Personen zurechnen lassen. Dies gilt nicht nur für das Handeln eines Alleingesellschafters.
Eine Verwertung im eigenen wirtschaftlichen Interesse liegt auch dann vor, wenn die Aufhebung des ursprünglichen Erwerbsvorgangs im Interesse des Geschäftsführers der Kapitalgesellschaft erfolgt. Ob ein Ersterwerber die ihm verbliebene Rechtsposition oder deren Anschein auch im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen festzustellen.
Im Streitfall war das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Steuerpflichtige trotz Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags und Erteilung der Löschungsbewilligung für die eingetragene Auflassungsvormerkung Einfluss auf die Weiterveräußerung nehmen konnte und diese Einflussmöglichkeit auch in ihrem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hatte, so dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der streitigen Grunderwerbsteuerfestsetzung nicht erfüllt waren.
Verlag Dr. Otto Schmidt
GrEStG § 16 Abs 1 Nr. 1
Nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG wird eine Steuerfestsetzung auf Antrag aufgehoben, wenn ein Erwerbsvorgang vor dem Übergang des Eigentums am Grundstück auf den Erwerber durch Vereinbarung der Vertragspartner innerhalb von zwei Jahren seit der Entstehung der Steuer rückgängig gemacht wird.
"Rückgängig gemacht" ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt.
Wird im Zusammenhang mit der Aufhebung eines Kaufvertrags über ein Grundstück dieses weiterveräußert, ist für die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG entscheidend, ob für den früheren Erwerber trotz der Vertragsaufhebung die Möglichkeit der Verwertung einer aus dem "rückgängig gemachten" Erwerbsvorgang herzuleitenden Rechtsposition verblieben war.
Die tatsächliche und vollständige Rückgängigmachung im Sinne des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG setzt grundsätzlich die Löschung einer zugunsten des Ersterwerbers eingetragenen Auflassungsvormerkung voraus. Die Auflassungsvormerkung beeinträchtigt die Verkehrsfähigkeit eines Grundstücks unabhängig vom Fortbestand des zivilrechtlichen Übereignungsanspruchs. Die Beeinträchtigung der Verkehrsfähigkeit entfällt erst dann, wenn der Erwerber des Grundstücks dem Veräußerer eine Löschungsbewilligung in grundbuchrechtlich gebotener Form erteilt hat und der Veräußerer im Verhältnis zum Erwerber darüber frei und ohne Einflussnahme seitens des Erwerbers verfügen kann. Bis dahin geht von der eingetragenen Auflassungsvormerkung ein Rechtsschein aus, der dem Erwerber ermöglicht, auf die Weiterveräußerung Einfluss zu nehmen.
Ist die Löschungsbewilligung nach § 19 der Grundbuchordnung (GBO) zwar erteilt, der Antrag auf Löschung nach § 13 GBO jedoch ‑ wie im Rechtsverkehr üblich ‑ schuldrechtlich noch von der Rückzahlung des ursprünglich gezahlten Kaufpreises abhängig, kann der ursprüngliche Veräußerer im Verhältnis zum Erwerber noch nicht frei über das Grundstück verfügen. Üblicherweise wird dies im Rechtsverkehr dadurch bewirkt, dass der Notar von beiden Vertragsparteien beauftragt wird, die Löschungsbewilligung für die Auflassungsvormerkung dem Grundbuchamt erst dann vorzulegen, wenn der Kaufpreis zurückgezahlt wurde. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Veräußerer das nach Erteilung der Löschungsbewilligung für die Auflassungsvormerkung unrichtige Grundbuch unter Missachtung dieser schuldrechtlichen Absprache berichtigen lassen könnte. Solange er dazu im Innenverhältnis nicht berechtigt ist und die Auflassungsvormerkung auch tatsächlich nicht löschen lässt, hat er seine ursprüngliche Rechtsposition noch nicht wiedererlangt.
Umgekehrt kann der Erwerber, solange die Auflassungsvormerkung im Innenverhältnis schuldrechtlich zu Recht besteht und noch eingetragen ist, weiter Einfluss auf die Weiterveräußerung nehmen.
Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG ist allerdings nur dann ausgeschlossen, wenn der Ersterwerber nach der Rückgängigmachung des Erwerbsvorgangs die verbliebene Rechtsposition oder den Anschein der Rechtsposition auch in seinem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat. Übt der Ersterwerber bei der erneuten Veräußerung eine ihm aus dem Erwerbsvorgang verbliebene Rechtsposition oder deren Anschein tatsächlich nicht aus oder handelt der Ersterwerber insoweit im ausschließlichen Interesse eines Dritten, steht dies einer Rückgängigmachung nach § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht entgegen.
Handelt der Ersterwerber dagegen zumindest auch im eigenen Interesse, sind die Voraussetzungen des § 16 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG nicht erfüllt. Eine Kapitalgesellschaft als Ersterwerberin muss sich dabei die Interessen der für sie handelnden Personen zurechnen lassen. Dies gilt nicht nur für das Handeln eines Alleingesellschafters.
Eine Verwertung im eigenen wirtschaftlichen Interesse liegt auch dann vor, wenn die Aufhebung des ursprünglichen Erwerbsvorgangs im Interesse des Geschäftsführers der Kapitalgesellschaft erfolgt. Ob ein Ersterwerber die ihm verbliebene Rechtsposition oder deren Anschein auch im eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hat, ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Tatsachen festzustellen.
Im Streitfall war das FG zutreffend davon ausgegangen, dass die Steuerpflichtige trotz Aufhebung des ursprünglichen Kaufvertrags und Erteilung der Löschungsbewilligung für die eingetragene Auflassungsvormerkung Einfluss auf die Weiterveräußerung nehmen konnte und diese Einflussmöglichkeit auch in ihrem eigenen (wirtschaftlichen) Interesse verwertet hatte, so dass die Voraussetzungen für eine Aufhebung der streitigen Grunderwerbsteuerfestsetzung nicht erfüllt waren.