23.04.2020

Sind spielzeitverpflichtete Künstler abhängig beschäftigt?

Spielzeitverpflichtete Künstler sind nach dem Abgrenzungskatalog für die im Bereich Theater, Orchester, Rundfunk- und Fernsehanbieter, Film- und Fernsehproduktionen tätigen Personen vom 13.4.2010 - auch wenn sie anderweitig gastspielverpflichtet sind - in der Regel abhängig beschäftigt. Die genaue Einordnung ist in der Rechtsprechung der verschiedenen Fachgerichtsbarkeiten umstritten. Eine finanzgerichtliche Entscheidung liegt - soweit ersichtlich - noch nicht vor.

FG Berlin-Brandenburg 13.1.2020, 9 V 9095/19
Der Sachverhalt:
Die Prozessbeteiligten streiten um die Frage, ob die Antragstellerin, eine gemeinnützige GmbH, vom Finanzamt wegen rückständiger Lohnsteuern sowie Solidaritätszuschlägen zur Lohnsteuer gem. § 42 d EStG in Haftung genommen werden kann. Die GmbH ist eine Trägergesellschaft für vier Klangkörper (Arbeitnehmereigenschaft von Chefdirigenten/künstlerischen Leitern).

 Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung für die Jahre 2014 bis einschließlich 2017 war das Finanzamt der Auffassung, dass die Musiker lohnsteuerrechtlich als Arbeitnehmer einzustufen seien. Es handele sich nicht um "gastspielverpflichtete" Musiker i.S.d. "Künstlererlasses" des BMF (= BMF-Schreiben vom 5.10.1990 - IV B 6 - S 2332 - 73/90, BStBl - I 1990, 638), da die Antragstellerin mit den Dirigenten Verträge mit jeweils mehrjähriger Laufzeit vereinbart habe.

Da die Antragstellerin im gesamten Prüfungszeitraum keinen Lohnsteuerabzug durchgeführt habe, müsse im Rahmen der Lohnsteueraußenprüfung eine Nachversteuerung erfolgen. Der Arbeitgeber hafte für die Lohnsteuer, die er einzubehalten und abzuführen habe. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reiche, seien der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner. Das Betriebsstättenfinanzamt könne die Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen. Die Arbeitnehmer würden für die Nachforderungen selbst in Anspruch genommen. Es würden Kontrollmitteilungen an die zuständigen Wohnsitzfinanzämter ergehen.

Sofern die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers nicht zum Erfolg führe, behalte sich die Behörde eine Inanspruchnahme der Antragstellerin als Arbeitgeberin vor. Zu diesem Zweck werde ein Haftungsbescheid ohne Leistungsgebot (Zahlungsaufforderung) über den Nachforderungsbetrag ergehen. Der Erlass eines Leistungsgebots bleibe für den Fall vorbehalten, dass die Steuererhebung beim Wohnsitzfinanzamt des Arbeitnehmers nicht möglich sei.

das FG gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt. Allerdings wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Beschwerde zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestanden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der beiden Haftungsbescheide.

Der 21. Senat des Bayerische Verwaltungsgerichtshofs hat einen Chefdirigenten und Künstlerischen Leiter in seinem Urteil vom 9.7.2009  - 21 BV 07.546 als selbständig Tätigen eingestuft. Der dortige Sachverhalt weist Parallelen zu den hier streitgegenständlichen Künstlerverträgen auf (z. B. Festlegung einer monatlichen Basisvergütung; Nichtregelung von Überstundenvergütung, Urlaubsansprüchen oder anderen Sozialleistungen). Für das vorgenannte Gericht war - anders als nach dem BMF-Schreiben vom 5.10.1990 - der Umstand nicht so bedeutsam, dass der Chefdirigent mit seinem Vertragspartner, dem Land Berlin, keinen einzelprojektbezogenen Vertrag, sondern einen Vertrag für die Dauer von zehn Spielzeiten (2002 bis 2012) mit Dirigatverpflichtung für 40 Konzerte pro Spielzeit abgeschlossen hatte. Ausschlaggebend für den Selbständigenstatus sei letztlich gewesen, dass sich aus keiner für das Vertragsverhältnis maßgeblichen Rechtsquelle ein irgendwie geartetes Weisungsrecht - auch kein sehr eingeschränktes - ergeben habe und dass der Chefdirigent und Künstlerische Leiter im Wesentlichen seine Tätigkeit habe frei gestalten und seine Arbeitszeit habe selbst bestimmen können.

Demgegenüber hat der 8. Senat des LSG NRW mit Urteil vom 5.3.2018 - L 8 41/17 B ER einen Künstlerischen Leiter und Chorleiter als abhängig Beschäftigten eingestuft. Auch der dortige Sachverhalt weist Parallelen zu den hiesigen Künstlerverträgen auf (z. B. Festlegung des Spielzeitprogramms und der Konzerttermine in Abstimmung mit dem Management; über Personalfragen betr. die Zusammensetzung des Klangkörpers hat letztlich das Management zu entscheiden). Außerdem hat sich das LSG auf einen Abgrenzungskatalog für die im Bereich Theater, Orchester, Rundfunk- und Fernsehanbieter, Film- und Fernsehproduktionen tätigen Personen vom 13.4.2010 bezogen, der zwar für die Gerichte nicht verbindlich sei, wohl aber Beurteilungshilfen enthalten könne.

Danach sei bei einem Dirigenten von einer selbständigen Tätigkeit auszugehen, wenn er die Einstudierung nur eines bestimmten Stückes oder Konzertes übernehme und/oder nach dem jeweiligen Gastspielvertrag voraussehbar nicht mehr als fünf Vorstellungen oder Konzerte dirigiere. Spielzeitverpflichtete Künstler seien- auch wenn sie anderweitig gastspielverpflichtet seien - demgegenüber in der Regel eingegliedert und daher abhängig beschäftigt. Die genaue Einordnung der vorliegenden Vertragsverhältnisse ist somit in der Rechtsprechung der verschiedenen Fachgerichtsbarkeiten umstritten. Eine finanzgerichtliche Entscheidung liegt - soweit ersichtlich - noch nicht vor. Ist die Rechtslage nicht eindeutig, ist über die zu klärende Frage im Aussetzungsverfahren nicht abschließend zu entscheiden.
Rechtsprechungsdatenbank Berlin-Brandenburg
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