Solidaritätszuschlag: Niedersächsisches FG gewährt vorläufigen Rechtsschutz
Niedersächsisches FG 22.9.2015, 7 V 89/14Streitig ist, ob die Vollziehung des Bescheids über die Festsetzung des Solidaritätszuschlags wegen verfassungsrechtlicher Zweifel aufzuheben ist. Die Antragsteller sind verheiratet und werden zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Das Finanzamt erließ im Dezember 2013 einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid und setzte gleichzeitig den Solidaritätszuschlag fest. Hiergegen wenden sich die Antragsteller mit ihrem Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehung. Sie sind der Auffassung, dass das Solidaritätszuschlaggesetz verfassungswidrig sei.
Das FG gab dem Antrag statt. Die Beschwerde zum BFH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Der Senat hatte bereits das Verfahren 7 K 143/08, in welchem um die Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes gestritten wird, gem. Art. 100 GG ausgesetzt und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob das Solidaritätszuschlaggesetz verfassungsgemäß ist. Das Verfahren ist beim BVerfG unter dem Az. 2 BvL 6/14 anhängig.
Die Gründe:
Die Frage, ob für die Gewährung der Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung ein besonderes berechtigtes Interesse des Steuerpflichtigen an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, konnte vorliegend offen bleiben, weil ein besonderes berechtigtes Interesse der Antragsteller an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorliegt.
Allein der Umstand, dass dem Fiskus durch die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung von Bescheiden über die Festsetzung des Solidaritätszuschlags erhebliche Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe drohen, lässt das individuelle Interesse der Antragsteller an einem effektiven Rechtsschutz nicht hinter das öffentliche Interesse des Staates an einer geordneten Haushaltsführung zurücktreten. Die Wahrnehmung und Erfüllung der öffentlichen Aufgaben ist durch den drohenden Einnahmeausfall nicht gefährdet. Der Staat verfügt auch für den Fall, dass der Solidaritätszuschlag bis zur Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluss des Senats nicht vollzogen werden kann, gerade in jüngster Zeit über ausreichende Steuereinnahmen. Er erzielt Rekordsteuereinnahmen und kann sich am Kapitalmarkt zu historisch niedrigen Zinsen refinanzieren, so dass die Wahrnehmung und Erfüllung der öffentlichen Aufgaben nicht gefährdet erscheint.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass das Steueraufkommen aus dem Solidaritätszuschlag von mehr als 13 Mrd. € jährlich keine zu vernachlässigende Größe darstellt, deren Ausgleich erhebliche Anstrengungen des Staates nach sich ziehen würde. Jedoch hat der Anspruch des Steuerpflichtigen auf einen effektiven Rechtsschutz nicht schon dann zurückzutreten, wenn dem Staat nicht unerhebliche Einnahmeausfälle drohen.
Es ist auch für die BFH-Senate, die eine Interessenabwägung fordern, unbestritten, dass bei Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids dieser in der Regel von der Vollziehung auszusetzen ist. Nur im Ausnahmefall ist von einer Vollziehungsaussetzung wegen vorrangiger Interessen des Staates an einer geordneten Haushaltsführung abzusehen. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis würde aber in sein Gegenteil verkehrt, wenn schon nicht unerhebliche Einnahmeausfälle einer Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung entgegenstünden. Vielmehr ist dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung erst der Vorrang vor dem Individualinteresse an der Aussetzung bzw. Aufhebung des fraglichen Steuerbescheids einzuräumen, wenn durch die damit drohenden Einnahmeausfälle die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben konkret gefährdet ist.
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