15.11.2018

Spanische Steuerregelung über die Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts ist staatliche Beihilfe

Das EuG hat die Rechtsakte der EU-Kommission bestätigt, mit denen die spanische Steuerregelung über die Abschreibung des finanziellen Geschäfts- oder Firmenwerts als mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe eingestuft wird.

EuG 15.11.2018, T‑207/10 u.a.
Der Sachverhalt:

Nach spanischem Steuerrecht ist die Abschreibung des Geschäfts- oder Firmenwerts ("goodwill") zu steuerlichen Zwecken nur bei Unternehmensverschmelzungen möglich. Nach einer im Jahr 2001 in das spanische Körperschaftsteuergesetz eingeführten steuerlichen Maßnahme kann jedoch dann, wenn ein körperschaftsteuerpflichtiges Unternehmen an einem steuerlich nicht in Spanien ansässigen Unternehmen eine Beteiligung von mindestens 5 % erwirbt und die Beteiligung mindestens ein Jahr lang ununterbrochen gehalten wird, der sich daraus ergebende finanzielle Geschäfts- oder Firmenwert in Form einer Abschreibung von der Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer, die das Unternehmen schuldet, abgezogen werden. Der finanzielle Geschäfts- oder Firmenwert entspricht dem Geschäfts- oder Firmenwert, der im Fall einer Verschmelzung dieser beiden Unternehmen in den Büchern des erwerbenden Unternehmens verbucht worden wäre.

Mit schriftlichen Anfragen von Abgeordneten des EU-Parlaments in den Jahren 2005 und 2006 wurde die Kommission gefragt, ob die in Rede stehende steuerliche Maßnahme als staatliche Beihilfe einzustufen sei. Die Kommission antwortete im Wesentlichen, dass diese Maßnahme nach den ihr zur Verfügung stehenden Informationen keine staatliche Beihilfe darstelle. Gleichwohl eröffnete sie auf die Beschwerde eines privaten Marktteilnehmers hin im Oktober 2007 das förmliche Prüfverfahren. Das Verfahren bzgl. der innerhalb der EU erworbenen Beteiligungen wurde mit Entscheidung vom 28.10.2009 abgeschlossen, dasjenige bzgl. der außerhalb der Union erworbenen Beteiligungen mit Beschluss vom 12. Januar 2011. Diese Rechtsakte erklären die in Rede stehende Maßnahme für mit dem Binnenmarkt unvereinbar und ordnen die Rückforderung der gewährten Beihilfen durch Spanien an.

In Spanien ansässige Unternehmen, u.a. die Autogrill España, SA (jetzt World Duty Free Group, SA), die Banco Santander und die Santusa Holding, beantragten beim EuG, die genannten Rechtsakte der Kommission für nichtig zu erklären. Mit Urteilen vom 7.11.2014 erklärte das EuG beide Rechtsakte der Kommission für nichtig, da Letztere seiner Auffassung nach die Selektivität der in Rede stehenden Maßnahme nicht dargetan habe. Der EuGH hob diese beiden Urteile auf. Das Gericht musste daher erneut über die Frage entscheiden, ob die in Rede stehende steuerliche Maßnahme selektiv ist, da die Selektivität eines der notwendigen kumulativen Kriterien für die Einstufung einer nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe ist.

Das EuG gab der daraufhin von Devin erhobenen Klage statt und hob die Entscheidung des EUIPO auf.

Die Gründe:

Eine Maßnahme ist dann selektiv, wenn sie bestimmte Unternehmen gegenüber anderen begünstigt, indem sie Letztere von ihren Vergünstigungen ausschließt, oder - nach der drei Schritte umfassenden Methode, auf deren Bedeutung der EuGH in seinem Urteil von 2016 hingewiesen hat - wenn sie Unternehmen, die sich in einer vergleichbaren Lage befinden, unterschiedlich behandelt, ohne dass dies gerechtfertigt wäre. Nach dieser Methode muss die Kommission für die Einstufung einer nationalen steuerlichen Maßnahme als selektiv die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder normale Steuerregelung ermitteln und darlegen, dass die in Rede stehende steuerliche Maßnahme von diesem allgemeinen System abweicht. Der Begriff "staatliche Beihilfe" erfasst jedoch nicht die Maßnahmen, mit denen eine Differenzierung zwischen Unternehmen geschaffen wird, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, und damit a priori selektiv sind, sofern der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass diese Differenzierung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sich die Maßnahmen einfügen.

In Anwendung der drei Schritte umfassenden Methode ergibt sich das Ergebnis, dass die vorliegende Maßnahme selektiv ist, obgleich der Vorteil, den sie vorsieht, allen in Spanien körperschaftsteuerpflichtigen Unternehmen zugänglich ist. In Spanien können körperschaftsteuerpflichtige Unternehmen, wenn sie Beteiligungen an steuerlich in Spanien ansässigen Unternehmen erwerben, den Vorteil, den die fragliche Abzugsregelung vorsieht, im Unterschied zu Unternehmen, die Beteiligungen im Ausland erwerben, nicht erhalten. Daraus ergibt sich, dass eine nationale steuerliche Maßnahme wie die vorliegende, die einen Vorteil einräumt, dessen Gewährung an die Bedingung der Durchführung einer wirtschaftlichen Transaktion geknüpft ist, selektiv sein kann. Das gilt auch dann, wenn sich jedes Unternehmen frei entscheiden kann, ob es die betreffende Transaktion in Anbetracht von deren Merkmalen vornehmen möchte. Daher kann nunmehr nach der Rechtsprechung des EuGH eine Maßnahme auch dann selektiv sein, wenn die sich daraus ergebende unterschiedliche Behandlung auf der Unterscheidung zwischen Unternehmen, die sich für die Vornahme bestimmter Transaktionen entscheiden, und anderen Unternehmen, die sich gegen die Vornahme solcher Transaktionen entscheiden, beruht und nicht auf einer Unterscheidung zwischen Unternehmen in Anbetracht der diesen eigenen Merkmale.

Die Einordnung der fraglichen steuerlichen Maßnahme als selektiv ergibt sich daraus, dass diese Maßnahme zu Unterschieden bei der Behandlung von Unternehmen führt, die durch die Natur und die Systematik des den Geschäfts-oder Firmenwert betreffenden spanischen Steuerrechts nicht gerechtfertigt sind. In den Rechtssachen T-227/10, T-239/11, T-405/11, T-406/11, T-219/10 RENV und T399/11 RENV waren die beiden Rechtsakte der Kommission daher zu bestätigen. Was die Rechtssache T-207/10 betrifft, war auch die Bestimmung der Entscheidung von 2009 zu bestätigen, die die weitere Anwendung der spanischen steuerlichen Maßnahme während des gesamten Abschreibungszeitraums auf Beteiligungen gestattet, die vor dem 21.12.2007 (dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens im Amtsblatt) erworben wurden oder zu deren Erwerb vor dem genannten Zeitpunkt die unwiderrufliche Verpflichtung eingegangen wurde.

Diese Bestimmung bezweckte den Schutz des berechtigten Vertrauens der Begünstigten, die auf die Antworten hin, die die Kommission in diesem Sinne im Jahr 2006 auf die oben genannten parlamentarischen Anfragen gegebenen hatte, berechtigterweise davon ausgehen konnten, dass die genannte Maßnahme keine staatliche Beihilfe darstellte. Die Kommission gab den durch die in Rede stehende Maßnahme Begünstigten präzise Zusicherungen, dass diese Maßnahme nicht unter die Vorschriften über staatliche Beihilfen fiel und dass das Vertrauen dieser Begünstigten in die Rechtmäßigkeit der Maßnahme berechtigt war. Die Kommission nahm zu Recht an, dass sich das berechtigte Vertrauen, das sich aus ihren Antworten ergab, auf die Beibehaltung der 2002 in Kraft getretenen steuerlichen Maßnahme bezog und folglich die von diesem Zeitpunkt an vorgenommenen Beteiligungserwerbe sowie die Beihilfen, die aufgrund dieser Erwerbe gewährt wurden, erfasste, und zwar auch dann, wenn sie vor den Antworten von 2006 gewährt worden waren.

Linkhinweis:
 

  • Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung T‑207/10 klicken Sie bitte hier.
  • Für die Pressemitteilung mit weiterführenden Links zu den Volltexten der weiteren Entscheidungen (Rechtssachen T-227/10, T-239/11, T-405/11, T-406/11, T-219/10 RENV und T399/11 RENV) klicken Sie bitte hier.
EuG PM Nr. 175 vom 15.11.2018
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