17.11.2022

Steuerbarer und steuerpflichtiger Verzicht auf das Recht zur Privatliquidation

Verzichtet der Chefarzt gegenüber dem Träger der Klinik, an der er tätig ist, auf das ihm durch die Klinik eingeräumte Recht zur Privatliquidation gegen monatliche Ausgleichszahlungen, die der Klinikträger leistet, um auch insoweit selbst gegenüber Privatversicherten abrechnen zu können, liegt eine steuerbare Verzichtsleistung vor, die nicht als Verzicht auf die zukünftige Erbringung von Heilbehandlungsleistungen gegenüber den Privatversicherten steuerfrei ist.

Kurzbesprechung
BFH v. 30. 6. 2022 - V R 36/20

UStG § 1 Abs 1 Nr. 1 S 1, UStG § 4 Nr. 14 Buchst a
EGRL 112/2006 Art 2 Abs 1 Buchst c, 112/2006 Art 132 Abs 1 Buchst c
HSchulG SH 2007 § 3 Abs 4
HSchulNTV SH § 7


Streitig war die Steuerbarkeit und Steuerpflicht eines entgeltlichen Verzichts eines Chefarztes auf das Recht zur Privatliquidation und sämtlicher aufgrund der Vereinbarung vom ... entstehender finanzieller Nachteile.

Der BFH entschied, dass der Verzicht des Chefarztes gegenüber dem Träger der Klinik, an der er tätig ist, auf das ihm durch die Klinik eingeräumte Recht zur Privatliquidation gegen monatliche Ausgleichszahlungen, die der Klinikträger leistet, um auch insoweit selbst gegenüber Privatversicherten abrechnen zu können, eine steuerbare Verzichtsleistung darstellt, die nicht als Verzicht auf die zukünftige Erbringung von Heilbehandlungsleistungen gegenüber den Privatversicherten steuerfrei ist.

Im Streitfall handelte es sich bei der Zahlung des finanziellen Ausgleichs aufgrund der getroffenen Vereinbarung um ein Entgelt für den Verzicht auf die Behandlung und Liquidation von Privatpatienten. Das Vorliegen eines steuerbaren Umsatzes i.S. des § 1 Abs. 1 Nr.  1 Satz 1 UStG schließt es ferner aus, das vereinbarte Entgelt als nicht steuerbaren (echten) Schadensersatz zu qualifizieren. Denn Zahlungen sind nur dann als Schadensersatz für die Höhe des Entgelts einer erbrachten Leistung ohne Bedeutung, wenn zwischen der Zahlung und der Leistung ‑ anders als im Streitfall ‑ kein unmittelbarer Zusammenhang besteht.

Das FG hatte außerdem rechtsfehlerhaft entschieden, dass die Verzichtsleistung jedenfalls wegen einer spiegelbildlichen Beurteilung der Steuerpflicht von aktiver Leistung und Verzicht gemäß § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG steuerfrei sei. Denn nach der Rechtsprechung des EuGH umfasst der Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen. Eine Heilbehandlung in diesem Sinne müsse zwingend einen therapeutischen Zweck verfolgen, da dieser ausschlaggebend dafür sei, ob eine ärztliche oder arztähnliche Leistung von der Mehrwertsteuer zu befreien sei. Das Erfordernis einer therapeutischen Zielsetzung einer Leistung sei dabei nicht unbedingt in einem besonders engen Sinn zu verstehen. So könnten etwa auch medizinische Leistungen, die zum Schutz, einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung, der menschlichen Gesundheit erbracht würden, unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fallen. Demgegenüber komme eine Steuerbefreiung für ärztliche Leistungen, die zu einem anderen Zweck als dem des Schutzes einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht würden, nicht in Betracht.

Im Streitfall diente der Verzicht auf das Privatliquidationsrecht weder der Behandlung, Linderung oder Vorbeugung einer Krankheit und fällt daher mangels eines therapeutischen Zwecks nicht unter die Steuerbefreiung. Die Steuerfreiheit der Verzichtsleistung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der EuGH- und BFH-Rechtsprechung zur spiegelbildlichen Beurteilung ("actus-contrarius") von Leistung (steuerfreie Heilbehandlung) und Verzichtsleistung (Verzicht auf die steuerfreie Heilbehandlung).
Verlag Dr. Otto Schmidt
Zurück