Steuerberaterhaftung: Keine Berufung auf Verjährung bei grobem Verstoß gegen Treu und Glauben
BGH 14.11.2013, IX ZR 215/12Die Kläger, die sich zu einer Grundstücksgemeinschaft zusammengeschlossen und ein Grundstück veräußert hatten, beauftragten die Beklagte, eine Steuerberatergesellschaft, Einspruch gegen einen Feststellungsbescheid einzulegen, mit dem das Finanzamt den Veräußerungsgewinn ("Spekulationsgewinn") auf 190.718 € festgesetzt hatte. Im Einspruchsschreiben rügte die Beklagte die Verfassungswidrigkeit des für die Besteuerung maßgeblichen Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2001 und beantragte die Aussetzung der Vollziehung des Bescheides. Die Kläger erhielten eine Abschrift des Schreibens.
Der Einspruch ging allerdings nicht beim zuständigen Finanzamt ein; die Beklagte behauptete auch nicht, dass es überhaupt abgesandt worden sei. Infolgedessen wurde gegen die Kläger im Mai 2003 bzw. Juli 2003 entsprechende Einkommensteuer festgesetzt. Im Juli 2003 teilte die Beklagte den Klägern mit, dass der Feststellungsbescheid nach einem BMF-Schreiben vorläufig sei; im Fall einer günstigen BVerfG-Entscheidung werde er aufgehoben. Im August 2003 lehnte das Finanzamt den von der Beklagten für die Kläger gestellten Antrag auf Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks ab, weil der Feststellungsbescheid, gegen den kein Einspruch eingelegt worden sei, bestandskräftig geworden sei. Diesen Bescheid leitete die Beklagte nicht an die Kläger weiter. Im Juli 2010 erklärte das BVerfG das Steuerentlastungsgesetz im hier maßgeblichen Teil für verfassungswidrig.
LG und OLG wiesen die Klage auf Schadensersatz i.H.d. jeweils gegen die Kläger festgesetzten Einkommensteuer von insgesamt 87.792 € wegen Verjährung ab. Auf die Revision der Kläger hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurück.
Gründe:
Der Beklagten war es nach Treu und Glauben gem. § 242 BGB verwehrt, sich auf die eingetretene Verjährung zu berufen.
Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann der Einrede der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB) der Arglisteinwand nicht nur dann entgegengesetzt werden, wenn der Schuldner den Gläubiger absichtlich von der Erhebung der Klage abgehalten hat. Vielmehr reicht aus, dass der Schuldner durch sein Verhalten objektiv - sei es auch unabsichtlich - bewirkt, dass die Klage nicht rechtzeitig erhoben wird, und die spätere Verjährungseinrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar wäre. Insoweit ist nämlich ein strenger Maßstab anzulegen.
Im vorliegenden Fall fiel der Beklagten objektiv sogar ein besonders grober Verstoß gegen Treu und Glauben zur Last. So hatte sie es zunächst versäumt, Einspruch gegen den Feststellungsbescheid einzulegen. Die Kläger, die eine Abschrift des vorbereiteten, aber nicht an das Finanzamt abgesandten Einspruchsschreibens erhalten hatten, konnten jedoch davon ausgehen, dass der Feststellungsbescheid nicht bestandskräftig geworden war. In diesem Glauben wurden sie durch ein Schreiben bestärkt, in welchem die Beklagte ihnen der Wahrheit zuwider darlegte, dass der Feststellungsbescheid vorläufig sei und im Fall einer günstigen Entscheidung des BVerfG aufgehoben werde. Der weitere Bescheid aus August 2003, mit dem das Finanzamt die Erteilung eines Vorläufigkeitsvermerks abgelehnt hatte, weil Bestandskraft eingetreten sei, wurde ihnen gar vorenthalten.
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