03.03.2020

Steuerfreie Heilbehandlung bei Einlagerung von kryokonservierten Ei- und Samenzellen?

Ist die Einlagerung von kryokonservierten Ei- und Samenzellen zum Zweck der medizinisch indizierten künstlichen Befruchtung auch dann eine steuerfreie Heilbehandlung, wenn die Lagerung von einem anderen Unternehmer durchgeführt wird als die Fruchtbarkeitsbehandlung? Zur Fortbildung des Rechts, insbesondere im Hinblick auf die Regelung in UStAE Abschn. 4.14.2 Abs. 4 Satz 4, wurde die Revision zugelassen.

FG Münster v. 6.2.2020 - 5 K 158/17 U
Der Sachverhalt:
Die Klägerin ist eine GbR, deren Gesellschafter Ärzte sind. Ehemalige Gesellschafter der GbR sind Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, die im Streitjahr 2014 zugleich eine Partnerschaftsgesellschaft (N.) betrieben. Die GbR war im Bereich der Kryokonservierung tätig. Nach § 1 des Gesellschaftsvertrages bestand der Gesellschaftszweck im tiefgekühlten Einlagern von Samen- und Eizellen. Wurde im Rahmen der Kinderwunschbehandlung von den Patienten die Entscheidung über eine Kryokonservierung getroffen, so schlossen die Patienten mit N. einen Vertrag über die Kryokonservierung der Eizellen/Embryonen ab. Zudem schlossen sie mit der GbR einen Vertrag über die Lagerung der Eizellen/Embryonen ab.

In der Folgezeit stritt die Klägerin mit dem Finanzamt darüber, darüber, ob die Kryokonservierung von Ei- und Samenzellen durch eine eigenständige GbR eine umsatzsteuerfreie Heilbehandlung nach § 4 Nr. 14 Satz 1 UStG a.F. darstelle. Das Finanzamt war der Ansicht, nach BFH-Rechtsprechung sei eine Steuerfreiheit nur dann anzunehmen, wenn eine Lagerung erfolgte, weil eine organisch bedingte Sterilität bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner vorlag. Nicht steuerfrei sei hingegen die Lagerung von Eizellen oder Spermien ohne medizinischen Anlass (sog. social freezing).

Das FG gab der gegen die Umsatzsteuerfestsetzung gerichteten Klage statt. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen.

Die Gründe:
Das Finanzamt hat die von der GbR erklärten Umsätze zu Unrecht als steuerpflichtig behandelt. Es liegen vielmehr steuerfreie Heilbehandlungsumsätze nach § 4 Nr. 14 Buchst. a) Satz 1 UStG vor.

Die Vorschrift ist nach ständiger BFH-Rechtsprechung richtlinienkonform auszulegen. Zwar müssen Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin einem therapeutischen Zweck dienen. Der Begriff "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" ist jedoch angesichts des Ziels der Befreiungsvorschrift, die Heilbehandlungskosten zu senken, "nicht besonders eng auszulegen". Leistungen medizinischer Art, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, können daher unter die Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL fallen.

Dagegen sind Leistungen, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen durchgeführt werden und keinem solchen therapeutischen Ziel dienen, keine Heilbehandlungen. Somit ist nach BFH-Rechtsprechung für die Fälle der sog. Kryokonservierung (Einfrieren und Lagern von Eizellen und Spermien) eine steuerfreie Heilbehandlung dann anzunehmen, wenn eine organisch bedingte Sterilität vorliegt, d.h. eine Krankheit, zu deren Linderung die Lagerung von befruchteten Eizellen medizinisch möglich und geboten ist. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn aufgrund einer ärztlich festgestellten organisch bedingten Sterilität nicht Eizellen, sondern "Keimmaterial des Auftraggebers aus Ejakulation" (Spermien) eingefroren wurde. Nicht steuerfrei ist dagegen eine Lagerung von Eizellen oder Spermien ohne medizinischen Anlass, sog. "social freezing".

Im Streitfall ist der Senat aufgrund der vorgelegten anonymisierten Patientenunterlagen davon überzeugt, dass die Kryokonservierung nur in solchen Fällen erfolgte, in denen eine organisch bedingte Sterilität bei einem der beiden fortpflanzungswilligen Partner vorlag. Danach ist die GbR nicht im Wege des "social freezing" tätig geworden. Die Frage, ob es nach der Kryokonservierung tatsächlich zu einer (weiteren) Fruchtbarkeitsbehandlung gekommen ist, ist nach Auffassung des Senates unerheblich.

Die Tatsache, dass es sich bei der GbR um einen gegenüber dem N. getrennten Unternehmer i.S.d. des Umsatzsteuerrechts gehandelt hat, steht der Steuerfreiheit nach Auffassung des Senates nicht entgegen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist die bloße Lagerung eingefrorener Eizellen oder Spermien durch dritte Unternehmer, wie z.B. Kryobanken, die nicht auch die vorhergehende oder die sich ggf. anschließende Fruchtbarkeitsbehandlung erbringen, umsatzsteuerpflichtig. Nach EuGH-Rechtsprechung fallen jedoch auch solche Dienstleistungen, die nur einen Teil des Gesamtverfahrens bilden, unter den Begriff der "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin", sofern diese ein unerlässlicher, fester und untrennbarer Bestandteil des Verfahrens, dessen einzelne Abschnitte sinnvollerweise nicht isoliert voneinander durchgeführt werden können, sind. Zur Fortbildung des Rechts, insbesondere im Hinblick auf die Regelung in UStAE Abschn. 4.14.2 Abs. 4 Satz 4, wurde deshalb die Revision zugelassen.
FG Münster online
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