16.11.2011

Steuerfreiheit für Offshore-Unternehmen stellt mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe dar

Eine Steuerregelung, die so konzipiert ist, dass Offshore-Unternehmen der Besteuerung entgehen, stellt eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe dar. Der EuGH hat in diesem Zusammenhang eine Entscheidung der EU-Kommission bestätigt, die es dem Vereinigten Königreich untersagt, ein entsprechendes Vorhaben von 2002 zur Reform der Körperschaftsteuer in Gibraltar durchzuführen.

EuGH 15.11.2011, C-106/09 P u.a.
Der Sachverhalt:
Im August 2002 meldete das Vereinigte Königreich bei der Kommission die beabsichtigte Körperschaftsteuerreform der Regierung von Gibraltar an. Diese Reform umfasste insbes. die Aufhebung des alten Steuersystems und die Einführung von drei Steuern, die für alle Unternehmen in Gibraltar gelten sollten: eine Eintragungsgebühr für Unternehmen, eine Lohnsummensteuer und eine Gewerbegrundbenutzungssteuer (BPOT), wobei für die beiden letztgenannten Steuern eine Obergrenze von 15 Prozent der Gewinne gelten sollte.

Die Kommission entschied im Jahr 2004, dass die angemeldeten Vorschläge zur Reform des Körperschaftsteuersystems in Gibraltar eine staatliche Beihilferegelung darstellten, die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sei, und dass diese Vorschläge daher nicht umgesetzt werden dürften. Sie stellte fest, dass drei Bestandteile der Steuerreform materiell selektiv seien:

  • 1. die Voraussetzung der Gewinnerzielung durch die Unternehmen als Grundlage für die Lohnsummensteuer und die BPOT, da diese Voraussetzung Unternehmen begünstige, die keine Gewinne erzielten,
  • 2. die für die Lohnsummensteuer und die BPOT geltende Obergrenze von 15 Prozent der Gewinne, da diese Obergrenze die Unternehmen begünstige, die in dem betreffenden Steuerjahr im Verhältnis zur Zahl ihrer Mitarbeiter und zur Nutzung von Geschäftsräumen niedrige Gewinne erzielten,
  • 3. die Lohnsummensteuer und die BPOT, da diese beiden Steuern ihrem Wesen nach "Offshore-Unternehmen" begünstigten, die in Gibraltar nicht tatsächlich physisch präsent und daher nicht körperschaftsteuerpflichtig seien.

Außerdem sei die geplante Reform regional selektiv, da sie ein System vorsehe, nach dem Unternehmen in Gibraltar allgemein niedriger besteuert würden als Unternehmen im Vereinigten Königreich.

Das EuG gab den Klagen der Regierungen von Gibraltar und des Vereinigten Königreichs statt und erklärte die Entscheidung der Kommission für nichtig. Die Kommission habe in Bezug auf die materielle Selektivität des Reformvorhabens keine korrekte Prüfungsmethode angewandt. Sie hätte, um den selektiven Charakter der fraglichen Steuerregelung zu beweisen, nachweisen müssen, dass bestimmte Bestandteile dieser Regelung Ausnahmen von der allgemeinen oder "normalen" Steuerregelung von Gibraltar seien.

Auf die Rechtsmittel der Kommission und von Spanien hob der EuGH das Urteil des EuG auf und bestätigte die Entscheidung der Kommission, wonach das Steuerreformvorhaben eine staatliche Beihilferegelung darstellt, die das Vereinigte Königreich nicht umsetzen darf.

Die Gründe:
Das EuG hat rechtsfehlerhaft die Ansicht vertreten, dass das Steuerreformvorhaben den Offshore-Unternehmen keine selektiven Begünstigungen gewähre.

Eine unterschiedliche steuerliche Belastung, die sich aus der Anwendung einer "allgemeinen" Steuerregelung ergibt, kann als solche nicht ausreichen, um die Selektivität einer Besteuerung festzustellen. Allerdings liegt diese Selektivität vor, wenn, wie hier, die in einem Steuersystem als Besteuerungsgrundlage festgelegten Kriterien geeignet sind, die begünstigten Unternehmen anhand ihrer spezifischen Eigenarten als privilegierte Gruppe zu kennzeichnen.

Die Steuerregelung von Gibraltar ist u.a durch eine Kombination von Lohnsummensteuer und BPOT als einzigen Besteuerungsgrundlagen gekennzeichnet, woraus sich eine Besteuerung ergibt, die von der Zahl der Arbeitnehmer und der Größe der genutzten Geschäftsräume abhängt. Gleichwohl schließt die Kombination dieser beiden Besteuerungsgrundlagen, da andere Besteuerungsgrundlagen fehlen, von vornherein jede Besteuerung der Offshore-Unternehmen aus, da diese eben keine Arbeitnehmer beschäftigen und auch keine Geschäftsräume nutzen.

Der Umstand, dass die Offshore-Unternehmen auf Gibraltar nicht besteuert werden, ist also keine zufällige Folge der fraglichen Regelung, sondern unvermeidliche Konsequenz der Tatsache, dass die Steuern genau so konzipiert sind, dass die Offshore-Unternehmen der Besteuerung entgehen. Diesen Unternehmen kommen daher selektive Begünstigungen zugute.

Im Übrigen ist die Einstufung eines Steuersystems als "selektiv" nicht davon abhängig ist, dass dieses so konzipiert ist, dass sämtliche Unternehmen denselben steuerlichen Belastungen unterliegen, einige von ihnen aber von Ausnahmevorschriften profitieren, die ihnen einen selektiven Vorteil gewähren. Ein solches Verständnis würde voraussetzen, dass eine Steuerregelung - um als selektiv eingestuft werden zu können - nach einer bestimmten Regelungstechnik konzipiert ist. Dies hätte zur Folge, dass nationale Steuervorschriften der Kontrolle auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen von vornherein aus dem bloßen Grund entzogen sind, dass sie auf einer anderen Regelungstechnik beruhen, obwohl sie dieselben Wirkungen entfalten.

Linkhinweis:

Für den auf den Webseiten des EuGH veröffentlichten Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.

EuGH PM Nr. 120 vom 15.11.2011
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