Steuerhinterziehung durch Unterlassen bei Kenntnis der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt?
OLG Oldenburg 10.7.2018, 1 Ss 51/18Das AG hatte den Angeklagten im September 2015 wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt. Die Berufung des Angeklagten führte zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der Senat mit Urteil vom 15.5.2017 das freisprechende Urteil des LG vom 23.11.2016 aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückgewiesen.
Mit Urteil vom 8.11.2017 hat das LG die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des AG aus September 2015 mit der Maßgabe verworfen, dass die verhängte Geldstrafe auf 25 Tagessätze zu je 30 € herabgesetzt wurde. Das LG war zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte den Tatbestand des § 370 Abs.1 Nr.2 AO sowohl durch einen fehlenden Hinweis auf die geänderte Steuerklasse als auch durch mangelnde Angabe der tatsächlich entstandenen Fahrtkosten verwirklicht habe. Die hiergegen gerichtete Revision war zum Teil erfolgreich.
Die Gründe:
Aus den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ergibt sich eine Tatbestandsverwirklichung nur in einem in Relation zur Auffassung des LG eingeschränkten Umfang. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des LG zurückverwiesen.
Das Erfordernis der Unkenntnis führt nicht zu einer Verdopplung der objektiven Tatbestandsmerkmale, vielmehr ist die Unkenntnis der Finanzbehörde lediglich die logische Voraussetzung dafür, dass der Täter diese in Unkenntnis lassen kann. Es entstehen auch keine Wertungswidersprüche. Allerdings hat der BGH entschieden, dass es bei der Begehungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO auf die Kenntnis der Finanzbehörden nicht ankommt. Hieraus kann aber nicht der Schluss gezogen werden, dass eine Unkenntnis der Finanzbehörden auch bei Verwirklichung der Unterlassungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erforderlich sein soll.
Abweichend von der Unterlassungsvariante, deren Wortlaut explizit auf das Aufrechterhalten einer Unkenntnis abstellt, knüpft die Begehungsvariante nur an die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der Angaben des Steuerpflichtigen an. Dementsprechend hat der BGH auch in zwei obiter dicta ausgeführt, dass im Gegensatz zu § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO bei § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO - schon nach seinem Wortlaut - nicht auf eine Kenntnis oder Unkenntnis der Finanzbehörden abzustellen oder das ungeschriebene Merkmal der "Unkenntnis" der Finanzbehörde vom wahren Sachverhalt in den Tatbestand hineinzulesen ist. Ebenso wenig kommt es zu Strafbarkeitslücken. Zutreffend hat das OLG Köln bereits darauf hingewiesen, dass auch nach der hier vertretenen Auslegung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO eine Versuchsstrafbarkeit möglich bleibt.
Nach den Feststellungen der Kammer im Urteil vom 8.11.2017 hatte der zuständige Sachbearbeiter Kenntnis vom Getrenntleben des Angeklagten. Auch in dem EDV-System der Finanzbehörde zur "Anweisungshistorie" fand sich nach den Feststellungen der Eintrag "dauernd getrennt lebend" mit der Gültigkeitsdauer 28.4.2011 bis 13.1.2012 und ab dem 14.1.2012. Gleichwohl blieb - aus nicht mehr feststellbaren Gründen - nach wie vor die Steuerklasse III im EDV-System für die "Sachbearbeitung 2012" des Angeklagten hinterlegt.
Nach diesen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist hinsichtlich der unzutreffenden Steuerklasse III der Tatbestand einer vollendeten Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht erfüllt, weil dem für die Veranlagung des Angeklagten zuständigen Finanzamt zum Veranlagungszeitpunkt die für die Steuerfestsetzung wesentlichen tatsächlichen Umstände bekannt waren. Auch eine versuchte Steuerhinterziehung liegt insoweit nicht vor, weil die Finanzbehörden - jedenfalls u.a. - vom Angeklagten selbst, und nicht zufällig durch Dritte, Kenntnis von den steuerlich erheblichen Tatsachen erlangt haben und der Angeklagte daher davon ausgehen durfte, dass die Behörde nicht in Unkenntnis war.
Soweit dem Angeklagten aufgrund seines Ermäßigungsantrages ein Freibetrag, beruhend auf der Annahme, dass der Angeklagte seine Arbeitsstätte an 220 Tagen aufsuchen wird, gewährt wurde, hatten die Finanzbehörden nach den Feststellungen des Urteils des LG hingegen keine Kenntnis, dass dies im Veranlagungszeitraum 2012 tatsächlich nur an 191 Tagen der Fall war. Insoweit ist eine Strafbarkeit wegen versuchter Steuerhinterziehung gegeben. Soweit der Angeklagte in seiner Revisionsbegründung höhere Werbungskosten nennt als im Antrag auf Lohnsteuerermäßigung zunächst angegeben, wodurch sich die Steuerschuld reduziert haben soll, verfängt dies nicht, weil das Kompensationsverbot des § 370 Abs. 4 S. 3 AO eine "Verrechnung" ausschließt. Der Schuldspruch kann demzufolge aufrechterhalten bleiben. Der Strafausspruch kann hingegen mit Rücksicht auf den geringeren Schuldumfang keinen Bestand haben.
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