Typischerweise arbeitstägliches Aufsuchen eines Ortes zur Aufnahme der beruflichen Tätigkeit
Niedersächsisches FG 15.6.2017, 10 K 139/16Der Kläger ist bei der Firma K als Lkw-Fahrer beschäftigt. Entsprechend seiner arbeitsvertraglichen Regelung übt er seine Fahrtätigkeit im Rahmen von ein- oder mehrtägigen Fahrten im In- und Ausland aus. Im Streitjahr war er an insgesamt 242 Tagen mit dem Lkw unterwegs. Dabei entfielen 178 Tage auf mehrtägige Fahrten und 64 Tage auf eintägige Fahrten; insgesamt hat er an 114 Tagen den 37 km von seinem Wohnort entfernt liegenden Betrieb seines Arbeitgebers in H mit seinem eigenen Pkw aufgesucht, um dort den Lkw zu übernehmen und mit seiner Fahrtätigkeit zu beginnen.
Das Finanzamt berücksichtigte die 114 Fahrten zum Arbeitgeber lediglich mit einer Entfernungspauschale von 0,30 €/km. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Berücksichtigung der 114 Fahrten zu seinem Arbeitgeber nach Reisekostengrundsätzen.
Das FG gab der Klage statt. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Die Fahrten des Klägers zu seinem Arbeitgeber sind bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit (§ 19 EStG) antragsgemäß gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 2 EStG mit den pauschalen Kilometersätzen zu berücksichtigen, die für das jeweils benutzte Beförderungsmittel als höchste Wegstreckenentfernung nach dem Bundesreisekostengesetzt festgesetzt sind, beim Kläger also 0,30 € pro gefahrenen Kilometer.
Der Kläger hat keine erste Tätigkeitsstätte. Er übt als Lkw-Fahrer vielmehr eine reine Fahrtätigkeit aus. Er ist weder einer Tätigkeitsstätte im Unternehmen des Arbeitgebers ausdrücklich dauerhaft zugeordnet noch ist eine Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte anhand der quantitativen Zuordnungskriterien nach § 9 Abs. 4 S. 4 EStG möglich. Auch die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4a S. 3 EStG findet keine Anwendung, nach der unter den dort genannten Voraussetzungen die Regelung über die Entfernungspauschale - 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 und Abs. 2 EStG - entsprechend angewandt wird.
Diese Vorschrift setzt voraus, dass ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte hat und er nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat. Zwar hat der Kläger nach den Vorgaben seines Arbeitgebers zu Beginn seiner Fahrtätigkeit, den Lkw am Firmensitz zu übernehmen, um von dort die Fahrtätigkeit zu beginnen. Diesen Firmensitz sucht der Kläger aber nicht typischerweise arbeitstäglich auf.
Bedingt durch die regelmäßige - und nicht etwa nur im Ausnahmefall - stattfindende mehrtägige Fahrtätigkeit, bei der keine arbeitstägliche Hin- und Rückfahrt stattfindet, findet sich der Kläger tatsächlich und entsprechend den Vorgaben des Arbeitgebers nur etwa jeden zweiten oder dritten Tag am Firmensitz des Arbeitgebers ein. Von seinen insgesamt 242 Arbeitstagen hat der Kläger lediglich an 114 Tagen seine Fahrtätigkeit am Firmensitz seines Arbeitgebers begonnen. Demnach hat der Kläger den Firmensitz seines Arbeitgebers gerade nicht typischerweise arbeitstäglich aufgesucht.
Darauf, ob der der Steuerpflichtige sich wie ein Arbeitnehmer mit erster Tätigkeitsstätte auf die Fahrten zum Firmensitz einstellen kann, kommt es nach der gesetzlichen Regelung nicht an. Die vom Beklagten vorgenommene Auslegung des Begriffs "typischerweise arbeitstäglich" mit "regelmäßig oder üblicherweise" scheidet aufgrund des klaren Wortlautes ebenso aus, wie die Annahme, dass in die Betrachtung nur solche Arbeitstage einzubeziehen seien, an denen Fahrten zum Firmensitz tatsächlich erforderlich seien. Bei mehrtägigen Einsätzen sind indes auch solche Tage Arbeitstage, an denen die Fahrtätigkeit von unterwegs begonnen wurde.
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