Umorientierung während einer mehraktigen einheitlichen Erstausbildung
BFH v. 23.10.2019 - III R 14/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger ist Vater eines im Dezember 1992 geborenen Sohnes (S), der nach dem Abitur eine Ausbildung bei einer Volksbank absolvierte, die im Januar 2015 endete. Die beklagte Familienkasse gewährte dem Kläger Kindergeld für S bis Januar 2015.
Nach dem Abschluss seiner Banklehre wurde S von der Volksbank als Vollzeitbeschäftigter mit einer Arbeitszeit von 39 Stunden in der Woche übernommen. Bereits im April 2014 hatte er an einer Informationsveranstaltung über ein Studium am Bankkolleg des Genossenschaftsverbandes mit dem Ziel des Abschlusses als Bankfachwirt teilgenommen, dort seine E-Mail-Anschrift hinterlassen und in der Folgezeit nachgefragt, wann der Studiengang beginnen werde. Am 9.4.2015 wurde ihm mitgeteilt, dass am 20.4.2015 entschieden werde, ob der Studiengang startreif sei. Der Beginn verzögerte sich dann jedoch auf unbestimmte Zeit.
Der Kläger leitete am 27.4.2015 eine Information des Immatrikulationsbüros einer Hochschule an S weiter, wonach im Wintersemester 2015/16 der Onlinestudiengang Betriebswirtschaftslehre angeboten werde; in den vorangegangenen Durchgängen hätten sämtliche Bewerber einen Studienplatz erhalten. S bewarb sich am 10.6.2015 auf diesen Studiengang und nahm das Studium zum 1.9.2015 auf. Im August 2017 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das im September 2015 aufgenommene Studium erneut Kindergeld. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Die Gründe:
Der Senat kann aufgrund der Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob das Online-Studium der Betriebswirtschaftslehre noch als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren ist.
Erforderlich, aber auch ausreichend für eine Zusammenfassung zweier Ausbildungsabschnitte ist es, dass diese zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmt sind und nach dem Ende des ersten Abschnitts aufgrund objektiver Beweisanzeichen feststeht, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden sollte. Hier lag der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Banklehre und dem Betriebswirtschaftsstudium vor. Der zeitliche Zusammenhang wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass S sich, nachdem die Bankausbildung im Januar 2015 beendet war, erst im April 2015 zum Studium der Betriebswirtschaftslehre entschlossen hat. Denn S hatte schon im April 2014 an einer Informationsveranstaltung für einen weiteren Ausbildungsabschnitt teilgenommen. Der Umstand, dass letztlich das Studium am Bankkolleg des Genossenschaftsverbandes mit dem Ziel des Abschlusses als Bankfachwirt aus von S nicht zu vertretenden Umständen nicht durchgeführt worden ist, ändert nichts daran, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar war, dass S die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beenden wollte.
Der erforderliche enge sachliche Zusammenhang lag ebenfalls zwischen der Ausbildung zum Bankkaufmann und dem Betriebswirtschaftsstudium vor. Auch führte die Umorientierung des Kindes (Betriebswirtschaftsstudium statt Bankkolleg) nicht zu der Annahme einer mehraktigen Ausbildung. Wird der sachliche Zusammenhang gewahrt, so ist eine Umorientierung unschädlich. An einer einheitlichen Erstausbildung kann es jedoch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden.
Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, indem es etwa ein zeitlich unbefristetes oder auf jedenfalls mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit eingeht. Weiter ist von Bedeutung, ob das Kind mit der nach dem ersten Abschluss aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifikation nutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit, kann das für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen.
Darüber hinaus ist in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, inwieweit die Arbeitszeit den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist und die Beschäftigung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt wird. Schließlich kann auch von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Vorliegend konnte der BFH auf der Grundlage der vom FG bisher getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob die von S ausgeübte Erwerbstätigkeit in der Bank der Annahme einer Ausbildungseinheit zwischen der Banklehre und dem Studium entgegensteht. Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang insbesondere zu prüfen haben, ob das Studium eher dem Beschäftigungsverhältnis untergeordnet war oder umgekehrt das Beschäftigungsverhältnis dem Studium.
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Der Kläger ist Vater eines im Dezember 1992 geborenen Sohnes (S), der nach dem Abitur eine Ausbildung bei einer Volksbank absolvierte, die im Januar 2015 endete. Die beklagte Familienkasse gewährte dem Kläger Kindergeld für S bis Januar 2015.
Nach dem Abschluss seiner Banklehre wurde S von der Volksbank als Vollzeitbeschäftigter mit einer Arbeitszeit von 39 Stunden in der Woche übernommen. Bereits im April 2014 hatte er an einer Informationsveranstaltung über ein Studium am Bankkolleg des Genossenschaftsverbandes mit dem Ziel des Abschlusses als Bankfachwirt teilgenommen, dort seine E-Mail-Anschrift hinterlassen und in der Folgezeit nachgefragt, wann der Studiengang beginnen werde. Am 9.4.2015 wurde ihm mitgeteilt, dass am 20.4.2015 entschieden werde, ob der Studiengang startreif sei. Der Beginn verzögerte sich dann jedoch auf unbestimmte Zeit.
Der Kläger leitete am 27.4.2015 eine Information des Immatrikulationsbüros einer Hochschule an S weiter, wonach im Wintersemester 2015/16 der Onlinestudiengang Betriebswirtschaftslehre angeboten werde; in den vorangegangenen Durchgängen hätten sämtliche Bewerber einen Studienplatz erhalten. S bewarb sich am 10.6.2015 auf diesen Studiengang und nahm das Studium zum 1.9.2015 auf. Im August 2017 beantragte der Kläger unter Hinweis auf das im September 2015 aufgenommene Studium erneut Kindergeld. Die Familienkasse lehnte den Antrag ab.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück.
Die Gründe:
Der Senat kann aufgrund der Feststellungen des FG nicht beurteilen, ob das Online-Studium der Betriebswirtschaftslehre noch als Teil einer einheitlichen Erstausbildung zu qualifizieren ist.
Erforderlich, aber auch ausreichend für eine Zusammenfassung zweier Ausbildungsabschnitte ist es, dass diese zeitlich und inhaltlich aufeinander abgestimmt sind und nach dem Ende des ersten Abschnitts aufgrund objektiver Beweisanzeichen feststeht, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden sollte. Hier lag der erforderliche enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Banklehre und dem Betriebswirtschaftsstudium vor. Der zeitliche Zusammenhang wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass S sich, nachdem die Bankausbildung im Januar 2015 beendet war, erst im April 2015 zum Studium der Betriebswirtschaftslehre entschlossen hat. Denn S hatte schon im April 2014 an einer Informationsveranstaltung für einen weiteren Ausbildungsabschnitt teilgenommen. Der Umstand, dass letztlich das Studium am Bankkolleg des Genossenschaftsverbandes mit dem Ziel des Abschlusses als Bankfachwirt aus von S nicht zu vertretenden Umständen nicht durchgeführt worden ist, ändert nichts daran, dass aufgrund objektiver Beweisanzeichen erkennbar war, dass S die für sein angestrebtes Berufsziel erforderliche Ausbildung nicht bereits mit dem ersten erlangten Abschluss beenden wollte.
Der erforderliche enge sachliche Zusammenhang lag ebenfalls zwischen der Ausbildung zum Bankkaufmann und dem Betriebswirtschaftsstudium vor. Auch führte die Umorientierung des Kindes (Betriebswirtschaftsstudium statt Bankkolleg) nicht zu der Annahme einer mehraktigen Ausbildung. Wird der sachliche Zusammenhang gewahrt, so ist eine Umorientierung unschädlich. An einer einheitlichen Erstausbildung kann es jedoch dann fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weiteren Ausbildungsmaßnahmen eine auf Weiterbildung und/oder Aufstieg in dem bereits aufgenommenen Berufszweig gerichtete Nebensache darstellen, ist dabei anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden.
Für die Aufnahme einer Berufstätigkeit als Hauptsache spricht, dass sich das Kind längerfristig an einen Arbeitgeber bindet, indem es etwa ein zeitlich unbefristetes oder auf jedenfalls mehr als 26 Wochen befristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer regelmäßigen vollzeitigen oder nahezu vollzeitigen Wochenarbeitszeit eingeht. Weiter ist von Bedeutung, ob das Kind mit der nach dem ersten Abschluss aufgenommenen Berufstätigkeit bereits die durch den Abschluss erlangte Qualifikation nutzt, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Nimmt das Kind dagegen eine Berufstätigkeit auf, die ihm auch ohne den erlangten Abschluss eröffnet wäre oder handelt es sich bei der Erwerbstätigkeit typischerweise um keine dauerhafte Berufstätigkeit, kann das für eine im Vordergrund stehende Berufsausbildung sprechen.
Darüber hinaus ist in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, inwieweit die Arbeitszeit den im nächsten Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet ist und die Beschäftigung mithin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild "neben der Ausbildung" durchgeführt wird. Schließlich kann auch von Bedeutung sein, ob und inwieweit die Berufstätigkeit und die Ausbildungsmaßnahmen über den zeitlichen Aspekt hinaus auch inhaltlich aufeinander abgestimmt sind. Vorliegend konnte der BFH auf der Grundlage der vom FG bisher getroffenen Feststellungen nicht entscheiden, ob die von S ausgeübte Erwerbstätigkeit in der Bank der Annahme einer Ausbildungseinheit zwischen der Banklehre und dem Studium entgegensteht. Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang insbesondere zu prüfen haben, ob das Studium eher dem Beschäftigungsverhältnis untergeordnet war oder umgekehrt das Beschäftigungsverhältnis dem Studium.