04.03.2020

Ungarische Sondersteuern auf Telekommunikations- und Einzelhandelsunternehmen sind mit Unionsrecht vereinbar

Die in Ungarn auf den Umsatz von Telekommunikations- und Einzelhandelsunternehmen erhobenen Sondersteuern sind mit dem Grundsatz der Niederlassungsfreiheit und mit der Richtlinie 2006/1121 vereinbar. Der Umstand, dass die progressive Sondersteuer auf den Umsatz hauptsächlich von Unternehmen getragen wird, die von Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten werden, weil diese Unternehmen auf den betreffenden ungarischen Märkten die höchsten Umsätze erzielen, spiegelt die wirtschaftliche Realität dieser Märkte wider und stellt keine Diskriminierung der betreffenden Unternehmen dar.

EuGH v. 3.3.2020 - C-75/18 u.a.
Der Sachverhalt:
Im Verfahren C-75/18 ging es um die ungarische Tochtergesellschaft von Vodafone, deren alleinige Anteilseignerin die in den Niederlanden ansässige Vodafone Europe BV ist. Sie gehört zur Vodafone Group Plc., die ihren Sitz in Großbritannien hat. Mit einem Marktanteil von mehr als 20 % ist sie das drittgrößte Unternehmen auf dem ungarischen Telekommunikationsmarkt.

Nach einer Steuerprüfung für den Zeitraum April 2011 bis März 2015 stellte die Steuerbehörde eine Steuerdifferenz zulasten von Vodafone i.H.v. rund 8,3 Mio. HUF (etwa 25.155 €), bei einem Steuerfehlbetrag von 7,4 Mio. HUF (etwa 22.293 €), fest; hinzu kamen eine Steuergeldbuße i.H.v. 3,7 Mio. HUF (etwa 11.145 €) sowie Versäumniszuschläge und Geldbußen wegen Pflichtversäumnis.

Trotz Herabsetzung der Steuergeldbuße und der Versäumniszuschläge hat Vodafone beim Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest) Klage erhoben. Das Unternehmen hielt die ihr auferlegte Pflicht zur Entrichtung der Sondersteuer für unbegründet und verwies darauf, dass die Rechtsvorschriften über diese Steuer eine verbotene staatliche Beihilfe darstellten und gegen Art. 401 der Mehrwertsteuerrichtlinie verstießen.

Ähnlich lag es auch im Fall C-323/18. Hier ging es um das Unternehmen Tesco-Global Áruházak Zrt. und der Entrichtung einer Steuer auf den Umsatz des Einzelhandels in Verkaufsräumen (Sondersteuer). Tesco ist eine im Ladeneinzel- und ‑großhandel tätige Handelsgesellschaft ungarischen Rechts. Sie gehört zu einer Gruppe mit Sitz in Großbritannien und war von März 2010 bis Februar 2013 die umsatzstärkste Einzelhandelskette auf dem ungarischen Markt. Auch Tesco wandte sich an das Fővárosi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Budapest). Dieses fragte beim EuGH nach der Vereinbarkeit der in Ungarn auf den Umsatz von Telekommunikations- und Einzelhandelsunternehmen erhobenen Sondersteuern mit dem Grundsatz der Niederlassungsfreiheit und mit der Richtlinie 2006/1121 (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

Der EuGH hat die Vereinbarkeit bestätigt.

Die Gründe:
Der Umstand, dass diese progressive (bzw. im zweiten Fall sogar stark progressive) Sondersteuer auf den Umsatz hauptsächlich von Unternehmen getragen wird, die von Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten werden, weil diese Unternehmen auf den betreffenden ungarischen Märkten die höchsten Umsätze erzielen, spiegelt die wirtschaftliche Realität dieser Märkte wider und stellt keine Diskriminierung der betreffenden Unternehmen dar.

Der EuGH hat ferner entschieden, dass die Steuer, der die Telekommunikationsunternehmen unterliegen, nicht alle wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer erfüllt und ihr somit nicht gleichgestellt werden kann, so dass sie das Funktionieren des Mehrwertsteuersystems der Union nicht beeinträchtigt und daher mit der Mehrwertsteuerrichtlinie vereinbar ist.

Der Gerichtshof ist zu dem Ergebnis gelangt, dass es keinen zwingenden Verwendungszusammenhang zwischen den zulasten der klagenden Gesellschaften erhobenen Sondersteuern und der Befreiung bestimmter Steuerpflichtiger gibt, so dass die etwaige Rechtswidrigkeit einer solchen Befreiung im Hinblick auf das Beihilferecht der Union die Rechtmäßigkeit dieser Sondersteuern nicht berühren kann. Folglich können sich die klagenden Gesellschaften vor den nationalen Gerichten nicht auf diese mögliche Rechtswidrigkeit berufen, um sich der Zahlung der Steuern zu entziehen.

Die streitigen Sondersteuern unterscheiden auch nicht nach dem Ort des Gesellschaftssitzes. In diesem Zusammenhang konnte hervorgehoben werden, dass alle Unternehmen, die in Ungarn in den betreffenden Wirtschaftszweigen tätig sind, den beanstandeten Steuern unterliegen und dass die jeweiligen Steuersätze für die verschiedenen Umsatzstufen für alle diese Unternehmen gelten, so dass die ungarischen Rechtsvorschriften zur Einführung dieser Steuern nicht zu einer unmittelbaren Diskriminierung von Unternehmen führen, die von (natürlichen oder juristischen) Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten werden.

Außerdem war zu prüfen, ob die (starke) Progression der Sondersteuern als eine Quelle mittelbarer Diskriminierung dieser Unternehmen angesehen werden konnte. Und diesbezüglich wurde festgestellt, dass in Bezug auf die in Rede stehenden Steuerjahre, d.h. die Zeiträume April 2011 bis März 2015 in der Rechtssache Vodafone und März 2010 bis Februar 2013 in der Rechtssache Tesco, alle nur der ersten Steuerstufe von 0 % unterworfenen Steuerpflichtigen von Personen aus Ungarn gehalten wurden, während die Steuerpflichtigen in den höheren Steuerstufen mehrheitlich von Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten wurden.

Der größte Teil der Sondersteuer wurde somit von Steuerpflichtigen getragen, die von Personen aus anderen Mitgliedstaaten gehalten wurden. Der Gerichtshof hat jedoch darauf hingewiesen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, das ihnen am geeignetsten erscheinende Steuersystem einzuführen und eine progressive Besteuerung des Umsatzes vorzunehmen, da die Höhe des Umsatzes ein neutrales Unterscheidungskriterium darstellt und ein relevanter Indikator für die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen ist.
EuGH PM Nr. 20 vom 3.3.2020
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