15.09.2017

Unterbrechung der Außenprüfung bei nur ein Prüfungsjahr betreffenden Prüfungshandlungen

Auch sog. qualifizierte Prüfungshandlungen, die nur ein Prüfungsjahr betreffen, führen dazu, dass die Außenprüfung insgesamt - also auch bezogen auf andere Prüfungsjahre - als nicht unmittelbar nach dem Prüfungsbeginn unterbrochen i.S. des § 171 Abs. 4 S. 2 AO gilt.

BFH 26.4.2017, I R 76/15
Der Sachverhalt:
Im Streitfall ging es um einen Großbetrieb, demgegenüber das Finanzamt am 1.11. 2006 eine Prüfungsanordnung für die Jahre 2001 und 2002 (Streitjahre = Prüfungsjahre) erlassen hatte. Auf der Grundlage der am 14.1.2003 für 2001 und am 8.4.2004 für 2002 eingereichten Steuererklärungen hatte die Behörde zunächst erklärungsgemäß veranlagt.

Am 29.11. 2006 erhielt die Prüferin den von der Klägerin ausgefüllten Fragebogen. Am 13.12.2006 erschien sie bei ihr und nahm einen Datenträger (CD mit Buchführungsdaten für 2001 und 2002) in Empfang. Ausweislich der Handakte der Prüferin fertigte diese handschriftliche Notizen und druckte zunächst am 20. und 21.12. 2006 Daten der Klägerin betreffend "Periode 2001-2002" aus. In der Handakte befinden sich weiterhin Datenausdrucke mit Datum 16.1. 2007 zum Jahr 2001, die sich laut Stichwort mit der "Anwachsung von Anteilen" befassten. Weitere Ausdrucke erfolgten am 18.4. 2008 und dann erst wieder am 26. und 27.11. 2009, 7.12.2009 und 30.11. 2010. Die Ausdrucke sind in der Handakte weder chronologisch abgeheftet noch paginiert. Aus den Aufzeichnungen der Prüferin (Beschäftigungstagebuch) ergab sich, dass sie in den Fall insgesamt elf Vorbereitungstage investiert hatte, davon 7 Tage in 2006 und 4 Tage in 2007.

Mit Schreiben vom 10.12. 2009 wandte sich die Prüferin erstmals seit der Entgegennahme der Daten-CD an die Klägerin und teilte mit, die bereits begonnene Prüfung fortsetzen zu wollen und dafür Erläuterungen zu den Wertberichtigungen zu benötigen. Die Klägerin lehnte eine Antwort auf die Fragen unter Hinweis auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung ab, da die Außenprüfung vor Ablauf der Festsetzungsfrist nicht ernsthaft begonnen worden sei. Im Übrigen sei die Prüfung jedenfalls ohne ihr Verschulden für einen Zeitraum von mehr als sechs Monaten unterbrochen worden. Das FG gab der Klage statt. Die Revision des Finanzamtes war teilweise erfolgreich.

Gründe:
Der Ablauf der für die Streitjahre jeweils maßgeblichen Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 4 S. 1 AO war durch den noch in 2006 anzunehmenden Beginn der Außenprüfung gehemmt. Der Umfang einer Ablaufhemmung wird dadurch bestimmt, welche Steuerarten und Besteuerungszeiträume die jeweilige Prüfungsanordnung erfasst und hinsichtlich welcher tatsächlichen Prüfungshandlungen vorgenommen worden sind. Der Beginn der Außenprüfung setzt deshalb voraus, dass eine förmliche Prüfungsanordnung erlassen wurde und --wenn auch nur stichprobenweise-- tatsächlich Prüfungshandlungen für die in der Prüfungsanordnung genannten Steuerarten und Besteuerungszeiträume vorgenommen wurden.

Unter dem Begriff der Außenprüfung kann nicht jede, sondern nur eine sog. qualifizierte Ermittlungshandlung des Finanzamtes verstanden werden, die für den Steuerpflichtigen erkennbar darauf gerichtet ist, den für die richtige Anwendung der Steuergesetze wesentlichen Sachverhalt zu ermitteln oder zu überprüfen. Dabei muss es sich um Maßnahmen handeln, die für den Steuerpflichtigen i.S. der §§ 193 ff. AO als Prüfungshandlungen erkennbar sind und geeignet erscheinen, sein Vertrauen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu beseitigen.

Nach diesen Grundsätzen sind auch die Maßnahmen zu beurteilen, die den Beginn der Außenprüfung bewirken sollen. Mit einer Außenprüfung ist tatsächlich noch nicht begonnen, wenn der Prüfer erscheint und die Prüfungsanordnung übergibt, sondern erst dann, wenn er nach der Übergabe oder Übersendung der Prüfungsanordnung Handlungen zur Ermittlung des Steuerfalls vornimmt. Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass die Handlungen, die der Prüfer am Prüfungsort vornimmt, solche zur Ermittlung des Steuerfalls sind, und zwar auch dann, wenn sie nur auf die Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren u.ä. gerichtet sind. Als Prüfungshandlungen kommen insoweit das informative Gespräch, das Verlangen nach Belegen und Unterlagen oder Auskünften, ggf. auch von Dritten, in Betracht. Der Prüfer muss nur ernsthaft mit der Prüfung begonnen haben, auch wenn die Prüfungshandlungen für den Steuerpflichtigen nicht als solche evident sind.

Im Streitfall hatte die Prüferin die Außenprüfung am 13.12. 2006 durch ihr Erscheinen am Prüfungsort und die --nach entsprechender Aufforderung erfolgte-- Entgegennahme einer CD mit beide Prüfungsjahre betreffenden Buchführungsdaten der Klägerin begonnen. In der Entgegennahme von Buchführungsdaten am Prüfungsort ist eine von der Prüferin veranlasste und für den Steuerpflichtigen erkennbar auf die Ermittlung des Steuerfalls gerichtete Handlung zu sehen, die dem von der Rechtsprechung als qualifizierte Prüfungshandlung anerkannten Verlangen nach der Übergabe von Belegen und Unterlagen gleichsteht. Bei der Anforderung und Entgegennahme der Daten-CD handelt es sich auch nicht um eine rein interne Maßnahme des Finanzamtes; vielmehr ist sie ohne weiteres geeignet, das Vertrauen der Klägerin in den Ablauf der Verjährungsfrist zu beseitigen.

Die eingetretene Ablaufhemmung war auch im Streitfall nicht deshalb rückwirkend nach § 171 Abs. 4 S. 2 AO entfallen, weil die Außenprüfung unmittelbar nach ihrem Beginn aus Gründen, die die Finanzverwaltung zu vertreten hat, länger als sechs Monate unterbrochen worden wäre. Denn die Prüferin hatte die Prüfung nach ihrer Aufnahme zeitnah fortgesetzt, indem sie am 20. und 21.12. 2006 und sodann wieder am 16.1. 2007 das Jahr 2001 betreffende Ausdrucke vorgenommen und einzelne Positionen mit amtsinternen Daten abgeglichen hat. Da es sich um Datenausdrucke unter dem Verfahren IDEA handelte, ist insoweit davon auszugehen, dass die Prüferin die Buchführungsdaten der Klägerin vor dem Ausdruck zunächst in dieses Programm eingelesen und sodann einer vom Programm vorgesehenen Plausibilitätskontrolle unterzogen hatte. Bereits insoweit handelt es sich um eine qualifizierte Prüfungshandlung, die der Prüferin als derjenigen Person, die die Plausibilitätskontrolle und den nachfolgenden Datenausdruck veranlasst hatte, zuzurechnen ist.

Im Streitfall hatte die Prüferin somit nach der Prüfungsvorbereitung am 30.10., 1. und 2.11.2006 und der Entgegennahme der Daten-CD am 13.12. 2006 sowohl in der Zeit vom 20. bis 22.12. 2006 als auch vom 15. bis 17.1. 2007 und am 22.1. 2007 inhaltliche Prüfungen vorgenommen, indem sie die Anwachsungsvorgänge aus dem Jahr 2001 nachvollzogen, in der Sache aber keinen Grund für Beanstandungen gefunden hatte. Diese Prüfungsmaßnahme geht über das Stadium von Vorbereitungshandlungen, der Einholung allgemeiner Informationen über die betrieblichen Verhältnisse, das Rechnungswesen und die Buchführung sowie die bloße Sichtung der Unterlagen des zu prüfenden Steuerfalls oder ein allgemeines Aktenstudium hinaus, denn die Prüfung führte zu ersten auswertbaren Ergebnissen, an die bei der Wiederaufnahme der Prüfung angeknüpft werden konnte.

Offen bleiben konnte, ob im Streitfall auch für das Streitjahr 2002 qualifizierte Prüfungshandlungen vorgelegen hatten, denn die das Prüfungsjahr 2001 betreffenden qualifizierten Prüfungshandlungen hatten zur Folge, dass die Außenprüfung insgesamt --also auch bezogen auf das Streitjahr 2002-- als nicht unmittelbar nach dem Prüfungsbeginn unterbrochen gilt. Da die Außenprüfung i.S.v. § 194 Abs. 1 S. 2 AO mehrere Steuerarten und Besteuerungszeiträume umfassen kann und hierauf abgestimmt der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 S. 1 AO die Steuern unterworfen sind, auf die sich die Außenprüfung erstreckt oder erstrecken soll, ist dieses Verständnis der einheitlichen Außenprüfung --mangels einer anderslautenden gesetzlichen Regelung-- auch der Bestimmung des § 171 Abs. 4 S. 2 AO zugrunde zu legen.

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