Veräußerungserlös als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts
BFH v. 30.1.2019 - II R 9/16Der im August 2011 verstorbene Erblasser war Eigentümer zweier Grundstücke, die als Ackerland genutzt wurden. Der Kläger ist Alleinerbe des Erblassers. Im Januar 2012 veräußerte er die Grundstücke für 123.840 €. Das Finanzamt stellte mit Bescheid über die gesonderte Feststellung des Grundbesitzwertes auf den 11.8.2011 für Zwecke der Erbschaftsteuer vom 20.6.2014 für die wirtschaftliche Einheit "Betrieb der Land- und Forstwirtschaft" einen Grundbesitzwert i.H.v. 235.296 € fest. Dabei setzte die Behörde aufgrund der Veräußerung der Grundstücke innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren nach dem Bewertungsstichtag den Liquidationswert nach § 166 i.V.m. § 162 Abs. 3 BewG an.
Dagegen legte der Kläger Einspruch ein. Zur Begründung trug er vor, dass für die Höhe des festzustellenden Grundbesitzwerts auf den erzielten Verkaufspreis i.H.v. 123.840 € als niedrigerer gemeiner Wert abzustellen sei. Das Finanzamt ermittelte im Einspruchsverfahren aus der Richtwertkarte einen Bodenrichtwert i.H.v. 31 €/qm statt der bis dahin angesetzten 38 €/qm und setzte den angefochtenen Grundbesitzwert auf 191.952 € herab.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage antragsgemäß statt.
Gründe:
Entgegen der Auffassung des FG ist der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts zuzulassen.
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der kurze Zeit nach dem Erbanfall veräußerten land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen wesentlich niedriger ist als der nach § 166 BewG ermittelte Liquidationswert, kann der niedrigere gemeine Wert nach § 9 Abs. 2 BewG als Grundbesitzwert für Zwecke der Erbschaftsteuer festgestellt werden. Im Gegensatz zur Bewertung des Grund und Bodens, der zu einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb gehört und bei einer Veräußerung mit dem Liquidationswert anzusetzen ist, ist bei der Bewertung von ebenfalls land- und forstwirtschaftlich genutzten Flächen, die dem Grundvermögen zuzurechnen sind, nach § 198 BewG der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts möglich.
Ein zeitnah erzielter Kaufpreis ist regelmäßig ein solcher, der innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Besteuerungszeitpunkt zustande gekommen ist. Grundstücksverkäufe, die eine wesentlich längere Zeit als ein Jahr entfernt liegen, bieten im Allgemeinen keine geeignete Grundlage zur unmittelbaren Ableitung des gemeinen Werts. Gewöhnlicher Geschäftsverkehr ist der Handel, der sich nach den marktwirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage vollzieht und bei dem jeder Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern freiwillig in Wahrung seiner eigenen Interessen zu handeln in der Lage ist.
Die Bewertung für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer hat sich vorrangig am gemeinen Wert zu orientieren. Dieser Vorgabe folgend hat der Gesetzgeber durch die Neuregelung der Vorschriften des BewG den gemeinen Wert zum Maßstab einer realitätsgerechten Wertermittlung erhoben. Die für eine praktikable Anwendung der Vorschriften erforderlichen Pauschalierungen und Typisierungen finden jedoch ihre Grenze im verfassungsrechtlich verankerten Übermaßverbot. Das Übermaßverbot ist verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Belastung extrem über das normale Maß hinausgehen, das der Schematisierung zugrunde liegt, oder die Folgen auch unter Berücksichtigung der gesetzgeberischen Planvorstellungen durch den gebotenen Anlass nicht mehr gerechtfertigt sind.
Um einen Verstoß gegen das grundgesetzliche Übermaßverbot zu verhindern, ist der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts bei verfassungskonformer Auslegung auch dann geboten, wenn er nach dem Wortlaut des BewG nicht vorgesehen ist. Diese zur pauschalierten Bewertung von erbbaurechtsbelasteten Grundstücken ergangene Rechtsprechung gilt auch dann, wenn der Steuerpflichtige ein Grundstück aus einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nach dem Bewertungsstichtag veräußert hat und der Wert für dieses Grundstück nach § 166 Abs. 2 BewG zu ermitteln ist.
Das Übermaßverbot ist nur verletzt, wenn die Folgen einer schematisierenden Bewertung extrem über das normale Maß hinausgehen. Dies erfordert den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts, der den festgestellten Grundstückswert so erheblich unterschreitet, dass sich der festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist. Extrem über das normale Maß hinaus geht beispielsweise das Dreifache des gemeinen Werts bzw. das rund 1,4 fache eines sich aus dem Bodenrichtwert errechneten Verkehrswerts. Eine Bewertungsdifferenz von 10 % ist hingegen als Folge der typisierenden Bewertungsmethode aufgrund der mit der Wertschätzung verbundenen Ungenauigkeit hinzunehmen.
Im vorliegenden Fall hatte der Kläger einen niedrigeren gemeinen Wert i.H.v. 123.840 € nachgewiesen. Bei der Überprüfung, ob das Übermaßverbot verletzt ist, sind der nach den Vorschriften des BewG anzusetzende Wert und der nachgewiesene gemeine Wert gegenüberzustellen. Der vom Finanzamt nach § 166 Abs. 2 Nr. 1 BewG ermittelte und angesetzte Wert i.H.v. 191.952 € beträgt hier das 1,55 fache des vom Steuerpflichtigen durch den zeitnahen Verkauf nachgewiesenen tatsächlich erzielten Veräußerungserlöses. Der sich bei typisierender Bewertung mit dem Bodenrichtwert ergebende Wert übersteigt damit den nachgewiesenen gemeinen Wert so erheblich, dass sich der festgestellte Grundstückswert als extrem über das normale Maß hinausgehend erweist.
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