30.04.2020

Verluste aus dem entschädigungslosen Entzug von Aktien

Werden (nach dem 31.12. 2008 erworbene) Aktien einem Aktionär ohne Zahlung einer Entschädigung entzogen, indem in einem Insolvenzplan das Grundkapital einer Aktiengesellschaft (AG) auf Null herabgesetzt und das Bezugsrecht des Aktionärs für eine anschließende Kapitalerhöhung ausgeschlossen wird, erleidet der Aktionär einen Verlust, der in entsprechender Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG steuerlich geltend gemacht werden kann.

Kurzbesprechung
BFH v. 3.12.2019 - VIII R 34/16

InsO § 225a Abs. 2
EStG § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1


Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige am 14.02.2011 und am 16.01.2012 insgesamt 39 000 Namensaktien einer inländischen AG zu einem Gesamtkaufpreis von 36.262,77 € erworben. Im Streitjahr 2012 wurde über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet. In einem vom Insolvenzgericht genehmigten Insolvenzplan wurde gemäß § 225a Abs. 2 der Insolvenzordnung (InsO) das Grundkapital der AG auf Null herabgesetzt und eine Kapitalerhöhung beschlossen, für die ein Bezugsrecht der Steuerpflichtigen und der übrigen Altaktionäre ausgeschlossen wurde. Der börsliche Handel der Altaktien wurde eingestellt.

Da die Steuerpflichtige für den Untergang ihrer Aktien keinerlei Entschädigung erhielt, entstand bei ihr ein Verlust in Höhe ihrer ursprünglichen Anschaffungskosten, den sie erfolglos steuerlich geltend machte.

Im Revisionsverfahren entschied der BFH jedoch zugunsten der Steuerpflichtigen und berücksichtigte den Verlust steuermindernd. Er stellte heraus, dass der Entzug der Aktien in Höhe von 36.262,77 € zu einem steuerbaren Aktienveräußerungsverlust führt, der nach den Beteiligungsquoten auf die Gesellschafter der Steuerpflichtigen zu verteilen ist.

Der BFH wies darauf hin, dass der Untergang der Aktien keine Veräußerung darstellt und auch sonst vom Steuergesetz nicht erfasst wird. Das Gesetz weist daher insoweit eine planwidrige Regelungslücke auf, die im Wege der Analogie zu schließen ist. Die in § 225a InsO geregelte Sanierungsmöglichkeit ist erst später eingeführt worden, ohne die steuerliche Folgen für Kleinanleger wie die Steuerpflichtige zu bedenken. Es widerspricht daher den Vorgaben des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes in seiner Konkretisierung durch das Leistungsfähigkeits- und Folgerichtigkeitsprinzip, wenn der von der Steuerpflichtigen erlittene Aktienverlust steuerlich nicht berücksichtigt wird. Denn die Veräußerung objektiv wertloser Aktien gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG ohne Entgelt durch zivilrechtliche Übereignung, Einziehung und Squeeze Out ist der im Streitfall verwirklichten Kapitalherabsetzung auf Null mit anschließendem Bezugsrechtsausschluss der Altaktionäre im Wesentlichen vergleichbar, sodass § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG hierauf entsprechend anzuwenden ist.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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