Vollverzinsung beim Bauträger und gleichzeitigem Bauunternehmer
BFH v. 8.10.2019, V R 15/18Die Klägerin ist eine GmbH. Sie war im Streitjahr 2009 sowohl als Bauunternehmer wie auch als Bauträger tätig. Die Klägerin hatte im Streitjahr für Bauträgertätigkeiten steuerpflichtige Leistungen i.H.v. 123.201 € von Bauunternehmern bezogen, wobei die Beteiligten davon ausgegangen waren, dass die Klägerin als Leistungsempfänger Steuerschuldner nach § 13b UStG sei. Die Klägerin erbrachte im Streitjahr auch Bauleistungen an die A-GmbH, die mit 174.000 € vergütet wurden, wobei die Beteiligten auch hier von einer Anwendung von § 13b UStG ausgingen.
Dementsprechend gab die Klägerin für das Streitjahr Voranmeldungen ab, bei denen sie die für ihre Bauträgertätigkeit bezogenen Leistungen als Leistungsempfänger mit einer Steuer von rund 23.408 € versteuerte, während eine Versteuerung der an die A-GmbH erbrachten Bauleistungen im Hinblick auf die Annahme einer auch hier für den Leistungsempfänger bestehenden Steuerschuld unterblieb. Die Klägerin leistete alle für die Voranmeldungen geschuldeten Zahlungen bis zum 25.2.2010. Am 9.6.2011 meldete die Klägerin in ihrer Umsatzjahressteuererklärung 2009 eine Umsatzsteuer i.H.v. 27.948 € an, was zu einer Nachzahlung i.H.v. 2.561 € führte, die sie am 13.7.2011 tilgte. Mit Bescheid vom 27.6.2011 setzte das Finanzamt Nachzahlungszinsen i.H.v. 25 € fest. Am 11.4.2014 beantragte die Klägerin, die Umsatzsteuer 2009 um 23.408 € herabzusetzen, da sie im Hinblick auf die für ihre Bauträgertätigkeit bezogene Bauleistung nicht Steuerschuldner gewesen sei.
Das Finanzamt lehnte dies ab. Im Anschluss an eine während des Einspruchsverfahrens durchgeführte Umsatzsteuersonderprüfung ging das Finanzamt davon aus, dass die Klägerin die bezogenen Bauleistungen zwar zu Unrecht nach § 13b UStG versteuert habe. Sie müsse jetzt aber auch die an die A-GmbH erbrachten Leistungen, bei denen gleichfalls § 13b UStG zu Unrecht angewendet worden sei, als Leistende versteuern. Der Rechnungsbetrag in Höhe von 174.000 € (brutto) sei als Gegenleistung zu behandeln, so dass sich für die Klägerin eine herauszurechnende Umsatzsteuer und Steuerschuld i.H.v. 27.781 € Umsatzsteuer ergebe. Zudem schlossen die Klägerin und das Land Brandenburg am 26.10.2015 einen Abtretungsvertrag, mit dem die Klägerin dem Land eine Forderung auf eine gegen die A-GmbH nachberechnende Umsatzsteuer abtrat. Die A-GmbH beantragte bei dem für sie zuständigen Finanzamt das Entfallen ihrer Steuerschuld aus den von ihr von der Klägerin bezogenen Bauleistungen.
Mit geändertem Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 30.10.2015 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer auf 61.008 € fest, woraus sich eine Nachzahlung i.H.v. 33.060 € ergab. Die Behörde behandelte dabei die von der A-GmbH gezahlte Vergütung als Entgelt, zu dem die Umsatzsteuer hinzuzurechnen sei. Eine Zinsfestsetzung zu Lasten der Klägerin unterblieb. Am 8.12.2015 erließ das Finanzamt einen erneuten Änderungsbescheid und rechnete nunmehr aus den Rechnungsbeträgen für die an die A-GmbH erbrachten Leistungen die Umsatzsteuer heraus. Dementsprechend ergab sich nunmehr eine Umsatzsteuer i.H.v. 55.729 € und ein auf 27.781 € verminderter Nachzahlungsbetrag. Die Zinsen wurden auf 0 € herabgesetzt.
Infolge der Abtretung wurde ein von der A-GmbH vereinnahmter Zahlungseingang in Höhe von 27.781 € bereits mit Wirkung zum 26.10.2015 auf dem Steuerkonto der Klägerin verbucht, um die Steuerschuld der Klägerin aus den von ihr an die A-GmbH erbrachten Leistungen zu tilgen. Mit einem weiteren Änderungsbescheid vom 17.12.2015 setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer 2009 auf 32.321 € herab, woraus sich zugunsten der Klägerin ein Guthaben i.H.v. 23.408 € ergab. Dabei setzte die Behörde Erstattungszinsen i.H.v. 117 € fest. Der Änderungsbescheid beruhte auf der fehlenden Steuerschuld der Klägerin aus den Leistungsbezügen für ihre Bauträgertätigkeit entsprechend ihrem Antrag vom 11.4.2014.
Das FG gab der gegen die Zinsfestsetzung gerichteten Klage überwiegend statt. Der Rechtsstreit ist infolge einer übereinstimmenden Erklärung der Beteiligten in der Hauptsache erledigt. Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt das Finanzamt.
Gründe:
Wie das FG entgegen der Auffassung des Finanzamtes im Ergebnis zutreffend entschieden hat, begann die Verzinsung des Erstattungsbetrags zur Umsatzsteuer 2009 am 1.4.2011.
Für § 233a Abs. 5 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 AO ist bei mehrfachen Änderungen von Steuerfestsetzungen die letzte Zahlung auf den Steuerbescheid maßgeblich, in dem die Besteuerungsgrundlage enthalten war, die aufgrund des Änderungsbescheids entfällt. Im Streitfall ergab sich nach § 233a Abs. 5 Satz 4 und Abs. 3 Satz 3 AO kein von § 233a Abs. 2 Satz 1 AO abweichender Beginn des Zinslaufs. Denn der die Erstattung begründende Änderungsbescheid beruhte auf dem Entfallen von Besteuerungsgrundlagen, die bereits in den Voranmeldungen für das Streitjahr enthalten waren und für die die Steuerpflichtige die insoweit geschuldeten Zahlungen bereits vor dem nach § 233a Abs. 2 Satz 1 AO maßgeblichen 01.04.2011 geleistet hatte.
Ein abweichender Beginn des Zinslaufs ergab sich im Streitfall auch nicht aus § 233a Abs. 2a AO. Bei einem rückwirkenden Ereignis beginnt der Zinslauf nach § 233a Abs. 2a AO erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist. Dem Zinsbetrag sind gem. § 233a Abs. 5 Satz 3 AO bisher festzusetzende Zinsen hinzuzurechnen. Zudem entfallen bei einem Unterschiedsbetrag zugunsten des Steuerpflichtigen darauf festgesetzte Zinsen. Hieraus folgt, dass eine derartige Hinzurechnung zu einer Minderung von Erstattungszinsen führen kann. Festzusetzende Zinsen i.S.v. § 233a Abs. 5 Satz 3 AO sind die Zinsen, die unbeschadet ihrer tatsächlichen Festsetzung nach den gesetzlichen Vorschriften hätten festgesetzt werden müssen. Einzubeziehen sind daher Zinsen, deren Festsetzung trotz entsprechender Steuerfestsetzung bislang versäumt wurde.
Für den Fall einer bei einer früheren Steuerfestsetzung getroffenen Billigkeitsentscheidung, die z.B. durch eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen gem. § 239 Abs. 1 AO i.V.m. § 163 AO erfolgen kann, ist dabei wie folgt zu unterscheiden:
- Bei einer gem. § 233a Abs. 5 AO zu ändernden Zinsberechnung ist es grundsätzlich unerheblich, ob die Finanzbehörde ursprünglich festgesetzte Nachzahlungszinsen nach § 227 AO erlassen oder aus Billigkeitsgründen abweichend mit 0 € festgesetzt hat, da dem neu berechneten Zinsbetrag nach § 233a Abs. 5 Satz 3 AO die bisher festzusetzenden Zinsen hinzuzurechnen sind. Selbst wenn § 163 AO nicht - wie § 227 AO - das Erhebungsverfahren betrifft, kann es in diesem Zusammenhang ersichtlich nur auf die nach der Vorschrift des § 233a AO festzusetzenden Zinsen, nicht jedoch auf eine im Ermessen des Finanzamtes liegende abweichende Billigkeitsfestsetzung gem. § 163 AO ankommen.
- Anders ist es, wenn ein Zinserlass gem. § 239 Abs. 1 AO i.V.m. § 163 AO in der Weise geboten ist, dass jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft ist. Bei einer derartigen Ermessensreduktion auf null handelt es sich bei den in dieser Weise erlassenen Zinsen nicht um festzusetzende Zinsen i.S.v. § 233a Abs. 5 Satz 3 AO. Denn festzusetzende Zinsen sind nur rechtmäßige Zinsen, nicht aber auch Zinsen, die zwingend zu erlassen sind, so dass ihre Erhebung von vornherein rechtswidrig ist.
Im Streitfall stand der Klägerin im Anwendungsbereich von § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG Vertrauensschutz gem. § 176 Abs. 2 AO zu, so dass Änderungsbescheide gegen Bauunternehmer nur auf der Grundlage von § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG, nicht aber auch nach § 164 AO ergehen können. Ergeht der Änderungsbescheid gegen einen Bauunternehmer bei einer Leistungserbringung an einen Bauträger daher nicht nach § 164 AO, sondern nur gem. § 27 Abs. 19 Satz 1 UStG, steht der dem Bauunternehmer zu gewährende Vertrauensschutz bei einer Änderung nach dieser Korrekturvorschrift der Zinspflicht gem. § 233a AO entgegen. Denn eine Zinspflicht nach dieser Vorschrift ist sachlich unbillig, "wenn der Leistende bei der Ausführung seines Umsatzes in Übereinstimmung mit den zu diesem Zeitpunkt geltenden Verwaltungsanweisungen davon ausgehen konnte und musste, dass nicht er, sondern der Leistungsempfänger Steuerschuldner sei".
Dementsprechend erfolgte das vom Finanzamt ausgesprochene Unterbleiben einer Zinsfestsetzung auf der Grundlage von § 239 Abs. 1 AO i.V.m. § 163 Satz 2 AO im Rahmen einer Ermessensreduktion auf null, für die neben dem materiell-rechtlich zu gewährenden Vertrauensschutz für den Streitfall auch eine Selbstbindung der Verwaltung spricht. Soweit es für eine derartige Selbstbindung darauf ankommt, dass eine Billigkeitsrichtlinie der Verwaltung Recht und Billigkeit entspricht war dies für den Streitfall zu bejahen. Da insoweit eine abweichende Zinsfestsetzung aus zwingenden Billigkeitsgründen vorlag, wirkte der Billigkeitserlass unmittelbar auf die Zinsfestsetzung.