Vorbehalt der Nachprüfung erstreckt sich nicht auf gewährten Billigkeitserweis
BFH 12.7.2012, I R 32/11Die Klägerin ist eine GmbH mit kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr. Sie betrieb im Streitjahr 2007 die Erzeugung und Vermarktung von landwirtschaftlichen Produkten. Bis zum Streitjahr hatte sie ihr Feldinventar (d.h. die aufgrund der Feldbestellung auf den Feldern vorhandenen Pflanzenbestände) bilanziert. In der Bilanz zum 31.12.2007 machte die Klägerin erstmalig gem. R 131 Abs. 2 EStR 2001, R 14 Abs. 2 S. 3 EStR 2005 vom Wahlrecht der Nichtaktivierung des Feldinventars Gebrauch. Das Feldinventar wurde ausgebucht. Das Finanzamt veranlagte die Klägerin daraufhin im März 2009 erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Nach einer Außenprüfung vertrat das Finanzamt in einem auf § 164 Abs. 2 S. 1 AO gestützten Änderungsbescheid die Auffassung, dass das Feldinventar bilanziert werden müsse, weil ein Landwirt aufgrund der Bilanzstetigkeit an eine einmal erfolgte Bilanzierung des Feldinventars gebunden sei. Mit diesem Bescheid, der keine Ausführungen zur Billigkeitsregelung enthielt, hob die Behörde zugleich den Vorbehalt der Nachprüfung auf.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision des Finanzamtes blieb vor dem BFH erfolglos.
Die Gründe:
Der Änderungsbescheid konnte nicht auf § 164 Abs. 2 S. 1 AO gestützt werden. Dem stand eine bindende Entscheidung des Finanzamtes entgegen, im Streitjahr eine Einkommensminderung im Wege einer abweichenden Festsetzung aus Billigkeitsgründen zu gewähren.
Zwar erging die ursprüngliche Veranlagung des Streitjahres im März 2009 rechtswirksam unter Nachprüfungsvorbehalt. Da dieser Vorbehalt in der Zwischenzeit nicht aufgehoben worden war, konnte das Finanzamt seinen Änderungsbescheid auch grundsätzlich auf § 164 Abs. 2 S. 1 AO stützen. Eine Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme wird allerdings durch Verwaltungsakt getroffen. Auch wenn dieser gem. § 163 S. 3 AO mit der Steuerfestsetzung verbunden wird, ändert das nichts daran, dass es sich hierbei um eine gesonderte Entscheidung handelt. Mit Blick auf die Steuerfestsetzung ist dieser Verwaltungsakt ein Grundlagenbescheid, der eine Bindungswirkung auslöst, die gegebenenfalls nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO umzusetzen ist.
Der Ausspruch des Verwaltungsaktes war hier auch - den Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips entsprechend - inhaltlich hinreichend bestimmt. Die Klägerin hatte mit der Steuererklärung ausdrücklich einen Antrag auf Gewährung der Billigkeitsmaßnahme gestellt und das Finanzamt hatte die Steuer erklärungsgemäß (in Kenntnis des Hinweises zur Inanspruchnahme eines Bilanzierungswahlrechts) festgesetzt. Für den Steuerpflichtigen war also ersichtlich, dass die Steuer, wie von ihm beantragt, aus Billigkeitsgründen abweichend festgesetzt wurde. Eines ausdrücklichen Hinweises auf den Billigkeitserweis bedurfte es in Anbetracht dessen nicht. Gleichermaßen war unerheblich, ob das Finanzamt die beantragte Billigkeitsmaßnahme tatsächlich gewähren wollte.
Dem stand nicht entgegen, dass das Finanzamt die erklärungsgemäße Festsetzung mit der Nebenbestimmung des § 164 Abs. 1 S. 1 AO versehen hatte. Denn die mit dem Vorbehaltsvermerk verbundene Suspendierung der materiellen Bestandskraft des Steuerbescheides berührt den von der eigentlichen Steuerfestsetzung abzugrenzenden Gegenstand der Billigkeitsentscheidung nicht. Der Vorbehaltsvermerk des § 164 Abs. 1 AO erstreckt sich darauf weder unmittelbar noch mittelbar. Die Vorbehaltsfestsetzung ist dadurch auch nicht ihres Sinns - nämlich den Bescheid in der Sache "offen" zu belassen - beraubt, da der Nachprüfungsvorbehalt sich auf sämtliche (anderen) Besteuerungsgrundlagen der Festsetzung des Streitjahres bezieht und lediglich der Billigkeitserweis davon ausgespart wird. Die Klägerin musste damit aus der Existenz der Nebenbestimmung nicht darauf schließen, dass die Billigkeitsentscheidung noch ausstehe.
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