Vorrangige Verrechnung von Altverlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften
Kurzbbesprechung
BFH v. 3. 12. 2019 - VIII R 8/16
EStG § 10d Abs. 4 S 4, § 20 Abs. 6 S 1, § 23 Abs. 3 S 9 u. 10, § 32d Abs. 4, § 43a Abs. 3,
FGO § 68
In den Streitjahren erzielten die Steuerpflichtigen Einkünfte aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG. Die Depotbank stellte über die hierbei erzielten Gewinne nach der Verrechnung mit den im jeweiligen Streitjahr erlittenen Verlusten eine Steuerbescheinigung aus. Die Steuerpflichtigen stellten in den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre jeweils den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG. Außerdem beantragten sie die Verrechnung der Altverluste i.S. des § 23 EStG a.F. mit den von der Depotbank bescheinigten Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 6 Satz 1, § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG.
Das FA verrechnete in den Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre die Altverluste antragsgemäß mit den von der Depotbank bescheinigten Gewinnen und stellte auf dieser Grundlage den verbleibenden Verlustvortrag aus den Altverlusten jeweils zum 31.12. der Streitjahre fest.
Mit Schreiben vom 09.04.2014 beantragten die Steuerpflichtigen, die in den Streitjahren erzielten Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG vorrangig mit den Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. und erst anschließend mit den Verlusten aus Kapitalvermögen des jeweiligen Streitjahrs zu verrechnen und die danach verbleibenden Verluste aus Kapitalvermögen der Streitjahre gesondert festzustellen. Hierzu legten sie dem FA Erträgnisaufstellungen u.a. für die Streitjahre vor. Weitere Nachweise wurden nicht erbracht. Das FA lehnte den Antrag ab. Der dagegen erhobene Einspruch blieb ebenso ohne Erfolg wie das anschließende Klageverfahren.
Im Revisionsverfahren hob der BFH die Entscheidung der Vorinstanz auf,, da das FG zu Unrecht davon ausgegangen war, dass für eine Verrechnung der Altverluste i.S. des § 23 EStG a.F. gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG nur der nach der Verrechnung durch die auszahlende Stelle verbleibende positive Saldo der Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 2 EStG zur Verfügung steht. Der Streitfall wurde an das FG zurückverweisen, weil der BFH mangels Spruchreife nicht abschließend über die Anfechtungsklage entscheiden konnte.
Nach der Rechtsprechung des BFH wird mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010, die gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG auf die Verluste aus Kapitalvermögen entsprechend anzuwenden ist, eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid ist. Daraus folgt, dass im Feststellungsverfahren des verbleibenden Verlustvortrags die Einkünfte nicht eigenständig zu ermitteln bzw. zu überprüfen sind. Dementsprechend muss der Steuerpflichtige seine Einwendungen gegen aus seiner Sicht unzutreffende Besteuerungsgrundlagen durch Einspruch bzw. Klage gegen den Einkommensteuerbescheid geltend machen. Wegen der inhaltlichen Bindungswirkung in Bezug auf die Verlustfeststellung ist der Steuerpflichtige durch einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid selbst dann beschwert, wenn es sich um einen sog. Nullbescheid handelt.
§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 ist auf alle Verluste anzuwenden, für die --wie im Streitfall-- nach dem 13.12.2010 eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wurde (§ 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010).Nach diesen Maßstäben sind die Steuerpflichtigen durch die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre beschwert. Sie begehren mit der vorrangigen Verrechnung der Altverluste i.S. des § 23 EStG a.F. mit Gewinnen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG im Ergebnis (soweit keine weitere Verrechnung mit laufenden Einkünften aus § 20 EStG in Betracht kommt) den Ausweis höherer Verluste gemäß § 20 Abs. 2 EStG in den Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre. Diese Verluste wären gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 im Rahmen der gesonderten Verlustfeststellungen zu berücksichtigen.
Zwar spricht der Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG für die Auffassung des FG, dass nur die nach der Verrechnung i.S. des § 43a Abs. 3 EStG "verbleibenden" Einkünfte aus Kapitalvermögen mit Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. verrechnet werden können. Jedoch ist die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 EStG vorrangig, aber nicht endgültig. Denn es muss gewährleistet sein, dass die in § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG angeordnete vorrangige und zeitlich befristete Verrechnung der Altverluste nicht durch das Steuerabzugsverfahren der Kapitalertragsteuer unterlaufen wird. Danach sind aufgrund des Antrags der Steuerpflichtigen auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG die Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG a.F. im Veranlagungsverfahren vorrangig mit den von den Steuerpflichtigen im jeweiligen Streitjahr erzielten positiven Einkünften i.S. des § 20 Abs. 2 EStG zu verrechnen.
Den Steuerpflichtigen wird dadurch ermöglicht, die Altverluste, die gemäß § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG lediglich bis zum Veranlagungszeitraum 2013 vorgetragen werden können, vorrangig vor anderen Verlusten aus Kapitalvermögen steuerlich geltend zu machen. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG macht somit eine Ausnahme vom Grundsatz, dass zunächst die positiven und negativen Ergebnisse innerhalb der einzelnen Einkunftsart miteinander zu verrechnen sind (horizontaler Verlustausgleich), bevor verbleibende positive und negative Ergebnisse verschiedener Einkünfte ausgeglichen werden und ggf. ein Verlustrück- oder Verlustvortrag gemäß § 10d EStG abgezogen wird. Diese Grundsätze hatte das FG nicht beachtet, so dass seine Entscheidung auch aus diesem Grund keinen Bestand haben konnte.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG bei der Verlustverrechnung § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zu beachten haben. Danach dürfen Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden, wenn eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt. Diese Regelung dient der Vermeidung eines doppelten Verlustabzugs. Eine solche Gefahr ist nur dann nicht gegeben, wenn ausgeschlossen werden kann, dass ein nicht ausgeglichener Verlust i.S. des § 20 Abs. 2 EStG von der auszahlenden Stelle gemäß § 43a Abs. 3 Satz 3 EStG auf das nächste Kalenderjahr übertragen wird. Dies können die Steuerpflichtigen durch geeignete Unterlagen, insbesondere durch Erträgnisaufstellungen der Depotbank, nachweisen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 10d Abs. 4 S 4, § 20 Abs. 6 S 1, § 23 Abs. 3 S 9 u. 10, § 32d Abs. 4, § 43a Abs. 3,
FGO § 68
In den Streitjahren erzielten die Steuerpflichtigen Einkünfte aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG. Die Depotbank stellte über die hierbei erzielten Gewinne nach der Verrechnung mit den im jeweiligen Streitjahr erlittenen Verlusten eine Steuerbescheinigung aus. Die Steuerpflichtigen stellten in den Einkommensteuererklärungen der Streitjahre jeweils den Antrag auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG. Außerdem beantragten sie die Verrechnung der Altverluste i.S. des § 23 EStG a.F. mit den von der Depotbank bescheinigten Einkünften aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 6 Satz 1, § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG.
Das FA verrechnete in den Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre die Altverluste antragsgemäß mit den von der Depotbank bescheinigten Gewinnen und stellte auf dieser Grundlage den verbleibenden Verlustvortrag aus den Altverlusten jeweils zum 31.12. der Streitjahre fest.
Mit Schreiben vom 09.04.2014 beantragten die Steuerpflichtigen, die in den Streitjahren erzielten Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG vorrangig mit den Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. und erst anschließend mit den Verlusten aus Kapitalvermögen des jeweiligen Streitjahrs zu verrechnen und die danach verbleibenden Verluste aus Kapitalvermögen der Streitjahre gesondert festzustellen. Hierzu legten sie dem FA Erträgnisaufstellungen u.a. für die Streitjahre vor. Weitere Nachweise wurden nicht erbracht. Das FA lehnte den Antrag ab. Der dagegen erhobene Einspruch blieb ebenso ohne Erfolg wie das anschließende Klageverfahren.
Im Revisionsverfahren hob der BFH die Entscheidung der Vorinstanz auf,, da das FG zu Unrecht davon ausgegangen war, dass für eine Verrechnung der Altverluste i.S. des § 23 EStG a.F. gemäß § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG nur der nach der Verrechnung durch die auszahlende Stelle verbleibende positive Saldo der Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 2 EStG zur Verfügung steht. Der Streitfall wurde an das FG zurückverweisen, weil der BFH mangels Spruchreife nicht abschließend über die Anfechtungsklage entscheiden konnte.
Nach der Rechtsprechung des BFH wird mit der Regelung des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010, die gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG auf die Verluste aus Kapitalvermögen entsprechend anzuwenden ist, eine inhaltliche Bindung des Verlustfeststellungsbescheids an den Einkommensteuerbescheid erreicht, obwohl der Einkommensteuerbescheid kein Grundlagenbescheid ist. Daraus folgt, dass im Feststellungsverfahren des verbleibenden Verlustvortrags die Einkünfte nicht eigenständig zu ermitteln bzw. zu überprüfen sind. Dementsprechend muss der Steuerpflichtige seine Einwendungen gegen aus seiner Sicht unzutreffende Besteuerungsgrundlagen durch Einspruch bzw. Klage gegen den Einkommensteuerbescheid geltend machen. Wegen der inhaltlichen Bindungswirkung in Bezug auf die Verlustfeststellung ist der Steuerpflichtige durch einen entsprechenden Einkommensteuerbescheid selbst dann beschwert, wenn es sich um einen sog. Nullbescheid handelt.
§ 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 ist auf alle Verluste anzuwenden, für die --wie im Streitfall-- nach dem 13.12.2010 eine Erklärung zur Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags abgegeben wurde (§ 52 Abs. 25 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2010).Nach diesen Maßstäben sind die Steuerpflichtigen durch die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre beschwert. Sie begehren mit der vorrangigen Verrechnung der Altverluste i.S. des § 23 EStG a.F. mit Gewinnen i.S. des § 20 Abs. 2 EStG im Ergebnis (soweit keine weitere Verrechnung mit laufenden Einkünften aus § 20 EStG in Betracht kommt) den Ausweis höherer Verluste gemäß § 20 Abs. 2 EStG in den Einkommensteuerbescheiden der Streitjahre. Diese Verluste wären gemäß § 20 Abs. 6 Satz 4 EStG i.V.m. § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 im Rahmen der gesonderten Verlustfeststellungen zu berücksichtigen.
Zwar spricht der Wortlaut des § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG für die Auffassung des FG, dass nur die nach der Verrechnung i.S. des § 43a Abs. 3 EStG "verbleibenden" Einkünfte aus Kapitalvermögen mit Altverlusten i.S. des § 23 EStG a.F. verrechnet werden können. Jedoch ist die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 EStG vorrangig, aber nicht endgültig. Denn es muss gewährleistet sein, dass die in § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG angeordnete vorrangige und zeitlich befristete Verrechnung der Altverluste nicht durch das Steuerabzugsverfahren der Kapitalertragsteuer unterlaufen wird. Danach sind aufgrund des Antrags der Steuerpflichtigen auf Überprüfung des Steuereinbehalts nach § 32d Abs. 4 EStG die Altverluste aus privaten Veräußerungsgeschäften gemäß § 23 EStG a.F. im Veranlagungsverfahren vorrangig mit den von den Steuerpflichtigen im jeweiligen Streitjahr erzielten positiven Einkünften i.S. des § 20 Abs. 2 EStG zu verrechnen.
Den Steuerpflichtigen wird dadurch ermöglicht, die Altverluste, die gemäß § 52a Abs. 11 Satz 11 EStG lediglich bis zum Veranlagungszeitraum 2013 vorgetragen werden können, vorrangig vor anderen Verlusten aus Kapitalvermögen steuerlich geltend zu machen. § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG macht somit eine Ausnahme vom Grundsatz, dass zunächst die positiven und negativen Ergebnisse innerhalb der einzelnen Einkunftsart miteinander zu verrechnen sind (horizontaler Verlustausgleich), bevor verbleibende positive und negative Ergebnisse verschiedener Einkünfte ausgeglichen werden und ggf. ein Verlustrück- oder Verlustvortrag gemäß § 10d EStG abgezogen wird. Diese Grundsätze hatte das FG nicht beachtet, so dass seine Entscheidung auch aus diesem Grund keinen Bestand haben konnte.
Bei seiner erneuten Entscheidung wird das FG bei der Verlustverrechnung § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG zu beachten haben. Danach dürfen Verluste aus Kapitalvermögen, die der Kapitalertragsteuer unterliegen, nur verrechnet werden, wenn eine Bescheinigung der auszahlenden Stelle i.S. des § 43a Abs. 3 Satz 4 EStG vorliegt. Diese Regelung dient der Vermeidung eines doppelten Verlustabzugs. Eine solche Gefahr ist nur dann nicht gegeben, wenn ausgeschlossen werden kann, dass ein nicht ausgeglichener Verlust i.S. des § 20 Abs. 2 EStG von der auszahlenden Stelle gemäß § 43a Abs. 3 Satz 3 EStG auf das nächste Kalenderjahr übertragen wird. Dies können die Steuerpflichtigen durch geeignete Unterlagen, insbesondere durch Erträgnisaufstellungen der Depotbank, nachweisen.