Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer sind verfassungswidrig
BVerfG 10.4.2018, 1 BvL 11/14 u.a.Einheitswerte für Grundbesitz werden nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes in den "alten" Bundesländern noch heute auf der Grundlage der Wertverhältnisse zum 1.1.1964 ermittelt und bilden die Grundlage für die Bemessung der Grundsteuer. Der Entscheidung liegen fünf Verfahren - drei Richtervorlagen des BFH und zwei Verfassungsbeschwerden - zugrunde.
Die Klägerinnen und Kläger der Ausgangsverfahren bzw. Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer sind Eigentümer von bebauten Grundstücken in verschiedenen "alten" Bundesländern, die jeweils vor den Finanzgerichten gegen die Festsetzung des Einheitswertes ihrer Grundstücke vorgegangen sind. In drei Revisionsverfahren hat der BFH die Verfahren ausgesetzt und dem BVerfG die Frage vorgelegt, ob die einschlägigen Vorschriften des Bewertungsgesetzes wegen Verstoßes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verfassungswidrig sind. Mit den Verfassungsbeschwerden wird im Wesentlichen ebenfalls eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes gerügt.
Die Verfassungsbeschwerden waren vor dem BVerfG weitestgehend erfolgreich.
Die Gründe:
Die Regelungen des Bewertungsgesetzes zur Einheitsbewertung von Grundvermögen sind mit dem allgemeinen Gleichheitssatz unvereinbar. Art. 3 Abs. 1 GG lässt dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung von Bewertungsvorschriften für die steuerliche Bemessungsgrundlage zwar einen weiten Spielraum, verlangt aber ein in der Relation der Wirtschaftsgüter zueinander realitätsgerechtes Bewertungssystem. Das Festhalten des Gesetzgebers an dem Hauptfeststellungszeitpunkt von 1964 führt allerdings zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen, für die es keine ausreichende Rechtfertigung gibt.
Die Aussetzung einer erneuten Hauptfeststellung der Einheitsbewertung über einen langen Zeitraum führt systembedingt in erheblichem Umfang zu Ungleichbehandlungen durch ungleiche Bewertungsergebnisse. Infolge der Anknüpfung an die Wertverhältnisse zum 1.1.1964 spiegeln sich die wertverzerrenden Auswirkungen des überlangen Hauptfeststellungszeitraums in den einzelnen Bewertungselementen sowohl des Ertragswert- als auch des Sachwertverfahrens wider.
Die aus der Überdehnung des Hauptfeststellungszeitraums folgenden flächendeckenden, zahlreichen und erheblichen Wertverzerrungen bei der Einheitsbewertung des Grundvermögens führen zu entsprechenden Ungleichbehandlungen bei der Erhebung der Grundsteuer; die Vereinbarkeit dieser Ungleichbehandlungen mit Art. 3 Abs. 1 GG richtet sich aufgrund des Ausmaßes der Verzerrungen nach strengen Gleichheitsanforderungen. Eine ausreichende Rechtfertigung für diese Ungleichbehandlungen ergibt sich weder allgemein aus dem Ziel der Vermeidung allzu großen Verwaltungsaufwands, noch aus Gründen der Typisierung und Pauschalierung.
Der Verzicht auf neue Hauptfeststellungen dient der Vermeidung eines besonderen Verwaltungsaufwands. Hierfür steht dem Gesetzgeber zwar ein erheblicher Gestaltungsspielraum zur Verfügung. Dieser deckt aber nicht die Inkaufnahme eines dysfunktionalen Bewertungssystems. Gründe der Typisierung und Pauschalierung rechtfertigen ebenfalls nicht die Aussetzung der Hauptfeststellung und ihre Folgen. Weder eine gemessen am Verkehrswert generelle Unterbewertung des Grundvermögens noch die vermeintlich absolut geringe Belastungswirkung der Grundsteuer vermögen die Wertverzerrungen zu rechtfertigen.
Der Senat hat die Fortgeltung der für verfassungswidrig befundenen Normen in zwei Schritten angeordnet. Zum einen gelten sie für die in der Vergangenheit festgestellten Einheitswerte und die darauf beruhende Erhebung von Grundsteuer und darüber hinaus in der Zukunft zunächst bis zum 31.12.2019. Bis zu diesem Zeitpunkt hat der Gesetzgeber eine Neuregelung zu treffen. Nach Verkündung einer Neuregelung gelten die beanstandeten Bewertungsregeln noch für weitere fünf Jahre fort, aber nicht länger als bis zum 31.12.2024. Diese ungewöhnliche Anordnung der Fortgeltung nach der Verkündung der Neuregelung ist durch die besonderen Sachgesetzlichkeiten der Grundsteuer geboten und von daher ausnahmsweise gerechtfertigt.
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