Vorsteuerabzug bei Lieferung von Mieterstrom
KurzbesprechungUStG § 1 Abs 1 Nr. 1, § 2 Abs 1, § 3g, § 13b Abs 2 Nr. 5 Buchst b, § 13b Abs 5 S 4, § 15 Abs 1 S 1 Nr. 1, § 15 Abs 2 S 1 Nr. 1, § 15 Abs 3
EGRL 112/2006 Art 2 Abs 1 Buchst a, 112/2006 Art 2 Abs 1 Buchst c, 112/2006 Art 9, 112/2006 Art 168 Buchst a, 112/2006 Art 169
FGO § 118 Abs 2, § 126 Abs 2, § 135 Abs 2
EnWG § 42a
Streitig war, ob die Lieferung von Mieterstrom eine (unselbständige) Nebenleistung zur umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung darstellt oder ob es sich dabei um eine selbständige Hauptleistung neben der Vermietungsleistung handelt.
Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz, dass die Lieferung von Mieterstrom an Wohnungsmieter eine selbständige Hauptleistung neben der steuerfreien Vermietungsleistung ist, so dass die Umsatzsteuer aus der Anschaffung der Photovoltaikanlagen als Vorsteuer abziehbar ist. Das FG hatte zutreffend angenommen, dass es sich bei den streitgegenständlichen Lieferungen von Mieterstrom um selbständige Hauptleistungen handelt, die ‑ mangels Vorliegens unselbständiger Nebenleistungen ‑ nicht das Schicksal der umsatzsteuerfreien Vermietungsleistung teilen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist bei einem Umsatz, der verschiedene Einzelleistungen und Handlungen umfasst, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, um zu bestimmen, ob dieser Umsatz für Zwecke der Mehrwertsteuer zwei oder mehr getrennte Leistungen oder eine einheitliche Leistung umfasst. Jeder Umsatz ist zwar im Hinblick auf die Mehrwertsteuer in der Regel als eigenständige und selbständige Leistung zu betrachten; ein Umsatz, der eine wirtschaftlich einheitliche Leistung darstellt, darf aber im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden.
Eine einheitliche Leistung liegt vor, wenn mehrere Einzelleistungen oder Handlungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige untrennbare wirtschaftliche Leistung bilden, deren Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre. Das ist namentlich dann der Fall, wenn ein Teil oder mehrere Teile als Hauptleistung anzusehen sind, während andere Teile als eine oder mehrere Nebenleistungen einzustufen sind, die steuerlich ebenso zu behandeln sind wie die Hauptleistung.
Insbesondere ist eine Leistung als Nebenleistung einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für die Kunden keinen eigenen Zweck darstellt, sondern das Mittel, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen. In diesem Zusammenhang sind hinsichtlich der Vermietung von Immobilien zwei Fallgruppen zu unterscheiden:
- Für den Fall, dass der Mieter über die Möglichkeit verfügt, die Lieferanten und/oder die Nutzungsmodalitäten der in Rede stehenden Gegenstände oder Dienstleistungen auszuwählen, können die Leistungen, die sich auf diese Gegenstände oder Dienstleistungen beziehen, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt angesehen werden. Insbesondere wenn der Mieter über seinen Verbrauch von Leistungen, die in Abhängigkeit des Verbrauchs abgerechnet werden können, entscheiden kann, können die Leistungen, die sich auf diese Gegenstände oder Dienstleistungen beziehen, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt angesehen werden. Bei Dienstleistungen wie der Reinigung der Gemeinschaftsräume eines im Miteigentum stehenden Gebäudes sind diese als von der Vermietung getrennt anzusehen, wenn sie von jedem Mieter einzeln oder von den Mietern gemeinsam organisiert werden können und wenn die an den Mieter versandten Rechnungen die Lieferung dieser Gegenstände und Dienstleistungen getrennt von der Miete ausweisen.
- Für den Fall, dass die Vermietung eines Gebäudes in wirtschaftlicher Hinsicht offensichtlich mit den begleitenden Leistungen objektiv eine Gesamtheit bildet, kann demgegenüber davon ausgegangen werden, dass Letztere mit der Vermietung eine einheitliche Leistung bilden. Das kann unter anderem bei der Vermietung von Immobilien für kurze Zeiträume, insbesondere für die Ferienzeit oder aus beruflichen Gründen, die mit diesen Leistungen angeboten wird, ohne dass diese davon getrennt werden können, der Fall sein.
Vor diesem Hintergrund hat der BFH angenommen, dass die den Mietnebenkosten zugrunde liegenden Leistungen wie die Zurverfügungstellung von Wasser, Elektrizität oder Wärme, über deren Verbrauch der Mieter entscheiden kann und die durch die Anbringung von individuellen Zählern kontrolliert und in Abhängigkeit des Verbrauchs abgerechnet werden, grundsätzlich als von der Vermietung getrennt anzusehen sind.
Im Streitfall hatte das FG zu Recht angenommen, dass hinsichtlich der streitgegenständlichen Lieferungen von Mieterstrom, die der Steuerpflichtige an seine Mieter ausgeführt hatte, selbständige umsatzsteuerpflichtige Leistungen vorliegen. Insbesondere ergibt sich die vom FG aus den vertraglichen Vereinbarungen abgeleitete Freiheit des Mieters, seinen Stromlieferanten frei zu wählen, auch aus § 42a Abs. 2 des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG).
Die Würdigung des FG entspricht außerdem dem Grundsatz der Neutralität. Die Erfassung der Lieferung von Mieterstrom durch den Vermieter als selbständige Hauptleistung dient der Gleichheit der Besteuerung des Endverbrauchs; denn der Lieferer von Mieterstrom tritt in Wettbewerb mit anderen Stromanbietern, die Strom nur umsatzsteuerpflichtig als Hauptleistung anbieten können Da der Steuerpflichtige steuerpflichtige Lieferungen von Mieterstrom ausgeführt hatte, stand ihm der begehrte Vorsteuerabzug zu.
Bei der den Streitfall betreffenden Lieferung von Mieterstrom, den der Steuerpflichtige als Vermieter teilweise selbst erzeugt oder bei Bedarf als Reststrom von einem Energieversorger gegen Entgelt selbst bezieht, um ihn an seine Mieter gegen Entgelt weiterzuliefern, stehen die Kosten des Vermieters für die Anschaffung einer Photovoltaikanlage nicht im direkten und unmittelbaren Zusammenhang mit der umsatzsteuerfreien Wohnraumvermietung, sondern mit den umsatzsteuerpflichtigen Stromlieferungen.