15.10.2014

Wann ist eine Behandlungsmethode wissenschaftlich anerkannt?

Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode dann, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Ob eine Behandlungsmethode als wissenschaftlich anerkannt anzusehen ist, muss das jeweilige FG aufgrund der ihm obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls feststellen.

BFH 26.6.2014, VI R 51/13
Der Sachverhalt:
Die Klägerin machte in ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2007 Aufwendungen i.H.v. insgesamt 12.228 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Ein Betrag i.H.v. 11.520 € entfiel dabei auf die im Streitjahr geleisteten Arztrechnungen im Hinblick auf eine an den Beinen sowie an den Armen operative Behandlung eines Lipödems (Liposuktion). Die Krankenkasse der Klägerin hatte die Kostenübernahme abgelehnt.

Zur Begründung führte sie aus, laut Aussage des medizinischen Dienstes der Krankenkasse handele es sich bei der beantragten Liposuktion um eine unkonventionelle Behandlungsmethode. Diese sei so lange von der vertraglichen Kassenleistung ausgeschlossen, bis der gemeinsame Bundesausschuss eine entsprechende Empfehlung abgegeben habe. Eine solche Empfehlung liege bisher nicht vor. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Die darauf eingelegte Klage vor dem Sozialgericht blieb erfolglos.

Das Finanzamt erkannte die geltend gemachten Aufwendungen für die Liposuktion nicht als außergewöhnliche Belastung an. Zur Begründung führte es aus, dass eine medizinische Indikation nicht gegeben sei. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision der Klägerin hob der BFH das Urteil auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.

Die Gründe:
Die Feststellungen der Vorinstanz trugen nicht die Folgerung, bei der Liposuktion handele es sich nicht um eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Behandlung des vorliegenden Krankheitsbildes.

Nach § 33 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Die Zwangsläufigkeit von krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel muss der Steuerpflichtige durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers nachweisen. In den abschließend geregelten Katalogfällen des § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 ist der Nachweis der Zwangsläufigkeit durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines medizinischen Dienstes der Krankenversicherung zu führen.

Ein solcher qualifizierter Nachweis war - aufgrund der in § 84 Abs. 3f EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 angeordneten verfassungsrechtlich unbedenklichen rückwirkenden Geltung des § 64 EStDV i.d.F. des StVereinfG 2011 - auch im Streitjahr bei krankheitsbedingten Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, wie z.B. Frisch- und Trockenzellenbehandlungen, Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie erforderlich. Infolgedessen war im vorliegenden Fall entscheidend, ob es sich bei der Liposuktion um eine wissenschaftlich anerkannte Methode zur Behandlung des bei der Klägerin diagnostizierten Lipödems handelte.

Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode dann, wenn Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. Dies wird angenommen, wenn "die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dies setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein.

Ob eine Behandlungsmethode als wissenschaftlich anerkannt anzusehen ist, muss das jeweilige FG aufgrund der ihm obliegenden Würdigung der Umstände des Einzelfalls feststellen. Das FG war im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gekommen, die von der Klägerin durchgeführte Liposuktion stelle keine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode dar. Es stützt diese Würdigung wesentlich auf ein vorgelegtes - negatives - amtsärztliches Zeugnis. Insoweit fehlte es an einer nachvollziehbaren Ableitung der gezogenen Folgerungen aus einer tragfähigen Tatsachengrundlage.

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